Erstellt am: 28. 11. 2015 - 11:58 Uhr
Kulturprekariatsrealismus
Endzeit also. Aber nicht so, wie man sie erwarten würde. Also mit Bomben und Granaten und Lichtblitzen und Untoten und Überschwemmungen und Erdbeben und Menschen, die einander zertrampeln. Endzeit ist in der gleichnamigen Webserie des Geschwisterpaars Jan und Anna Groos eher als Befindlichkeit zu verstehen, eingedampft aus der Krisen-Rhetorik und allgemeinen Verunsicherung unserer elenden Gegenwart.
Groosproduktion
Bio. Bobo. Baba.
Der Künstler an sich gilt als feinsinnig: Und so meint auch Daniel (Jan Groos), dass die Welt, in der er lebt, bald ein Ende haben wird. Er probt den Aufstand gegen die seiner Meinung nach jedweden Individualismus verunglimpfende, verunmöglichende Kulturindustrie und wirkt dabei wie ein naiver Adorno-Anhänger, der in seinem eigenen prekären Leben den Beweis dafür sucht und findet, dass Fun tatsächlich ein Stahlbad ist.
Erlösung winkt im Nachlass seines verstorbenen Onkels, der diverse Überlebens-Utensilien für erwartbare Katastrophen und/oder Ausnahmezustände gehortet hat. Zermürbt von der Kunstwelt - seine Freundin leitet einen Off-Space - beschließt er, die Endzeit in den Menschenköpfen zu einem lukrativen Geschäftsmodell auszubauen und mit der populären "Zurück zum Ursprung"-Lebensphilosophie zu verquicken.
Groosproduktion
"Endzeit" ist durchaus gewitzt in seiner lebendigen, launigen Verquirlung von mehr oder minder schlüssigen Argumenten für den Weltzerfall, aufgefangen beim Intellektuellen-Stammtisch im Bobo-Beisl ums Eck, so scheint’s zumindest. Problem ist dabei, dass all die Paranoia und der angesammelte Alltags-Zynismus in eine Figur, eben den Daniel, gegossen werden, dem man bald mal wünscht, dass es ihn mit seinen hochtrabenden Weltverbesserungsmaßnahmen auf die Goschen haut. Nicht, weil er nicht recht hat mit dem, was er sagt. Sondern weil er für seine anfänglich ideologischen, später geschäftsmodell-tauglichen Überzeugungen das Glück seiner kleinen Familie aufs Spiel setzt. Letzten Endes werden seine Visionen vom Ego zerfressen und der Utopist findet sich just an der Stelle wieder, die er in Folge Eins noch aggressiv weggebissen hat.
Groosproduktion
Futur Imperfekt
Der Web-Serie an und für sich haftet ja immer das Stigma der Wertlosigkeit an. Einerseits, weil die einzelnen Folgen für gewöhnlich kostenfrei im Internet zu haben sind und uns die Marktwirtschaft gelehrt hat, dass alles, was nix kostet, auch wertfrei zu sein hat. Andererseits, weil die Form in den vergangenen Jahren tatsächlich ein Tummelplatz diverser selbsternannter Regie-Wunderkinder war, die befreit von kommerziellen Verwertungsketten und Qualitätskontrollen den vertrauensvollen Zuschauer mit einer Unmenge von Furchtbarkeiten kaputt geschlagen haben.
Jeder bewegtbildinteressierte Mensch tut allerdings gut daran, diesem Projekt eine Chance zu geben. Nicht nur ist "Endzeit" hinsichtlich seiner inszenatorischen Einfälle, der durchwegs guten, bisweilen genialen Besetzung, den improvisierten, lebensnahen Dialogen und seinem launigen Drehbuch ein gutes Stück weit besser als neunzig Prozent der österreichischen Kinofilme. Sondern man hat es bei den Geschwistern Groos augenscheinlich auch mit immens wendigen, schlauen und witzigen Geschichten-Erzählern zu tun, die im lockeren Gewebe ihres Siebenteilers Seitenhiebe aufs Kunstgewerbe und die Internet-Kultur unterbringen, ohne dass die Dramaturgie darunter leiden würde.
Groosproduktion
Insgesamt ist "Endzeit" dann doch etwas zu lässig, etwas zu brav, etwas zu intellektuell, etwas zu g’schaftig, um so wirklich einzuschlagen, im Kopf und im Bauch. Aber was rede ich? So summa summarum reißt man die Augen auf, während das Kiefer gen Boden klappt, ganz einfach weil da plötzlich so viel da ist an Form und Inhalt, was dem heimischen Film abgeht. Also, liebe Produzenten und Produzentinnen, da sind zwei Groose Talente im Anmarsch. Zur Strafe für diesen ungemein blöden Wortwitz geh‘ ich nächstes Monat zu mindestens fünf Vernissagen. Ehrenwort.
Folge 1
Die sieben Folgen kann man auf endzeit.at ansehen