Erstellt am: 27. 11. 2015 - 19:15 Uhr
Tear us apart
Eigentlich ist alles gut. Emma lebt in Wien und hat einen Job an der Uni - als Kommunikationswissenschaftlerin. Samuel stammt aus Nicaragua und versucht, in Österreich Fuß zu fassen. Als seine Aufenthaltsgenehmigung abläuft, heiratet das junge Paar. Emma wird schwanger, gemeinsam blicken sie ihrer Zukunft entgegen. Doch dann stirbt Samuels Vater plötzlich, sein Tod verändert alles. Die beiden fliegen nach Nicaragua zum Begräbnis, doch aus dem geplanten Kurz-Aufenthalt wird ein Umzug in ein neues Leben.
Literaturverlag Droschl
Samuel will das Erbe seines Vaters antreten und dessen Möbelfirma übernehmen. Gegenseitige Vorwürfe werden laut, die Beziehung kriselt. Samuel sei ja nur wegen Emma in Wien geblieben, wo er keinen ordentlichen Job hatte und wo die Winter viel zu kalt und zu lang waren. Wäre er damals in Nicaragua geblieben, hätte er sicherlich schon lange einen guten Job, vielleicht sogar ein Haus. Jetzt wäre es an der Zeit, dass sich Emma ein bisschen aufopfert, ihren Job aufgibt und das Kind in Nicaragua zur Welt bringt. Der Druck auf Emma steigt - von Innen wie von Außen, sie ringt um Selbstbestimmung.
"Und ich, die ich ihn in Österreich kennengelernt hatte, spürte, wie sich sein Land plötzlich zwischen uns zu schieben begann wie eine alte Liebschaft aus seiner Vergangenheit."
FOMO - Fear of Missing Out
"Territorien" ist ein moderner Roman und beschreibt eine Generation, die alles will, aber keine Entscheidung treffen kann. Emma kämpft mit ihrer eigenen Unzufriedenheit, mit einer inneren Unruhe. Sie strebt nach Autonomie, versucht, aus dem gefühlten Gefängnis von Samuels Familie in Nicaragua auszubrechen, sucht nach Prioriäten und windet sich. Emma und Samuel werden sich gegenseitig immer fremder, Samuel verändert sich zunehmend in eine ihr unbekannte Person und die interkulturellen Differenzen machen ihre junge Ehe auch nicht leichter. Und doch will Emma Samuel nicht verlassen.
Aus dem Affekt beschließt Emma, Dinge zu tun, die sie am nächsten Tag schon wieder bereut, zwischen Sehnsucht und Abstoßung, Autarkie und Verständnis. Die Zeit für einen Richtungswechsel, für eine alles entscheidende Veränderung wird knapp: mittlerweile ist Emma hoch schwanger, ihr droht der Verlust ihrer geliebten Altbauwohnung und ihre Stelle an der Uni wird nachbesetzt.
"Es gibt ja dieses englische Wort, das derzeit so modern ist: FOMO - Fear of Missing Out. Ich glaube, das ist absolut ein Segen, aber auch der Fluch unserer Generation, dass wir alles haben können. Und ich glaub, dass das ganz besonders auf die Frauen zutrifft, weil Männer oft nicht vor so vielen Entscheidungen stehen wie wir Frauen. Es stellt sich kein Mann die Frage: Kind oder Karriere? Dieses Problem existiert für Männer faktisch nicht", meint Autorin Susanne Gregor.
Territorien ist ein feministischer Roman, der ganz ohne Geschlechterkampf auskommt und nie melodramatisch wird. Der Stream of Consciousness lässt eine Vielzahl an Emotionen auf den Leser einprasseln, denen man sich nicht entziehen kann. Ob Emma und Samuel zusammen bleiben, oder ob sie nach der Geburt des gemeinsamen Kindes getrennte Wege gehen?
Susanne Gregor
"Ich glaube an offene Enden, mit vollem Herzen. Auch mein erstes Buch hat ein offenes Ende. Ich glaube nicht wirklich daran, in einem Buch zu einem Ende zu kommen, weil ja auch das Leben nicht zu einem Schlussstrich kommt. Das Leben wär ja langweilig, wenn man gleich immer weiß, wohin es geht. Den Weg suchen, irren und fünf mal falsch abbiegen, das ist für mich auch das Interessante an Literatur. Ich will über keine rationalen Menschen lesen, die das Leben irgendwie durchschaut haben, sondern ich will staunen darüber, wie wir leben und wie wir uns entwickeln."
Obwohl sie den Begriff Heimat in ihrem Buch so gut es geht vermieden hat, klingt das Thema in "Territorien" immer wieder an. Literarisch hat sich Susanne Gregor bisher nur unterbewusst mit der Heimat - auch der eigenen - auseinander gesetzt. Mit neun Jahren ist sie mit den Eltern aus der Slowakei, der ehemaligen Tschechoslowakei, nach Oberösterreich in ein Dorf gezogen, ohne ein Wort Deutsch zu können. Ihr Vater hat kurzerhand ihren Namen von Zuzanna Gregorova in Susanne Gregor geändert, damit es ihr in der Schule leichter fällt, sich zu integrieren.
"Das hat mich auf jeden Fall sehr geprägt. Es war geografisch ein kleiner Schritt, aber es war ein Umzug von der Stadt aufs Land, in eine andere Sprache, in eine andere Kultur und natürlich auch von Ost nach West, was damals eine große Entfernung war. Meine Eltern haben aber immer dafür gesorgt, dass wir oft in die Slowakei fahren. Und das war so wichtig und so gut, weil ich dadurch nie das Gefühl hatte, dass ich jetzt wirklich etwas verloren habe. Bei jedem Zurückkommen habe ich gesehen, es steht alles noch da, die Leute sind die Gleichen, die Sprache bleibt. Und dadurch habe ich eine Entwurzelung im besten Sinne erfahren, weil ich gelernt und gespürt habe, ich bin hier wie dort die Gleiche und es passiert eigentlich nichts. Und das ist eine sehr fundamentale Erfahrung für mich gewesen und eine, für die ich sehr dankbar bin."