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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

27. 11. 2015 - 12:20

Der Popstar mit der Todeskralle

Heute würde Bruce Lee seinen 75. Geburtstag feiern: Eine Heiligsprechung des coolsten Actionstars aller Zeiten.

Zeitzeugen erinnern sich vielleicht an jenen historischen Moment, als die Martial-Arts-Welle in den 70er und frühen 80er Jahren auch über heimische Vorstadtkinos und Provinz-Lichtspielsäle hinwegrollte. Und sogar auf den damals nur von zwei Programmen beherrschten Bildschirm überschwappte. Man(n) akzeptierte den weisen TV-Shaolin-Mönch Kwai Chang Caine als heimlichen Erziehungsberechtigten. Warf sich bei Schulhof-Streitereien gerne in cartoonmäßige Kampfposen. Trug schimmernde Kimonos, auf deren Rücken Drachen aufgenäht waren. Kaufte sich die Disco-Single "Kung Fu Fighting" von Carl Douglas.

Aber am omnipräsentesten war natürlich unter Buben diverser Altersstufen der Einfluss von Bruce Lee. Unter manch schneidiger Glockenhose, hautengem T-Shirt und verspiegelter Pilotenbrille verbarg sich ein versteckter Kampfkunst-Novize. Man konnte sie zumeist an den bronzenen Bruce-Lee-Medaillons oder an ihrer Lektüre erkennen, an Zeitschriften mit herrlichen Titeln wie "Karate Journal" oder "Drachen - Das Kampfsportmagazin". Wo außer hymnischen Bruce Lee-Lobpreisungen auch viel Lehrreiches über die Karate-Technik der Schlagersänger Christian Anders und Heino zu lesen war.

Bruce Lee

Warner

"Enter The Dragon" (Der Mann mit der Todeskralle)

Massenkult im Osten und Westen

Aber selbst wenn der Autor dieser Zeilen beinahe Tränen verdrückt bei der kindlichen Erinnerung an den knallgelben Bruce-Lee-Trainingsanzug, der ihm eines Tages vom Postboten überreicht wurde: Die Bedeutung des kleinen Drachen, wie wir Fans ihn nannten, geht weit über nostalgische Sentimentalität hinaus. Bruce Lee konnte nicht nur so elegant und blitzschnell wie kein anderer dutzende Gegner in den Boden stampfen. Mit seinem charismatischen Auftreten, seinem Humor und seinem unverwechselbaren "Jeet Kune Do"-Kampfstil veränderte er das Bewusstsein von Kinobesuchern und verhalf dem Hongkong-Kino zu weltweiter Popularität.

Bruce Lee

Golden Harvest

Lee schaffte es mit nur vier Filmen das rassistisch verzerrte Image der Chinesen im Westen zu ändern. Er war auch drauf und dran Hollywood zu erobern. Jenen Ort, der seinen Landsleuten damals nur Rollen als Koch, Rikscha-Kuli oder Verbrecher zubilligte. Als er 1973 dann überraschend im Alter von 32 Jahren auf mysteriöse Weise starb, vermutlich durch einen Gehirnschlag, trauerten aber nicht nur in Asien Millionen um ihr Idol. Auch im Westen entstand ein Massenkult um Bruce Lee, vornehmlich bei Teenagern aus Arbeiterschichten.

Fast zwangsläufig stieß die proletarische Verehrung für Bruce Lee und die Kung Fu-Welle bei den Kritikern in ihren Musentempeln ebenso wie bei selbsternannten Jugendschützern auf Ablehnung. Die Filme wurden als Gewaltverherrlichung gebrandmarkt, man warnte vor dem Hongkong-Superstar als gefährliches Vorbild für labile Nachwuchs-Fighter. Viel später schrieben dann renommierte Filmjournalisten glühende Essays über die revolutionäre Artistik, die in Streifen wie "Fist Of Fury" (Todesgrüße aus Shanghai, 1972) oder "Enter The Dragon" (Der Mann mit der Todeskralle, 1973) auf der Leinwand passierte.

Bruce Lee

Golden Harvest

"Way Of The Dragon" (Die Todeskralle schlägt wieder zu)

Die Sprache von Muskeln und Sehnen

Die echten Bruce Lee Filme:
Die Todesfaust des Cheng Li (The Big Boss)
Todesgrüße aus Shanghai (The Fist of Fury)
Die Todeskralle schlägt wieder zu (The Way of the Dragon)
Der Mann mit der Todeskralle (Enter The Dragon)
Bruce Lee - Sein letzter Kampf (Game of Death)

Wenn man Bruce Lee´s wenige Filme ansieht, vergisst man die stereotypen Handlungsschemata schnell. Hier steht der bloße drahtige Körper im Vordergrund. Es sind kinetische Meisterwerke, wo mit einer Grazie und Virtuosität gekämpft wird, die auch im zeitgenössischen Action-Kino immer noch allein da steht. Lee benötigte kaum Dialoge, ihm genügte die Sprache seiner Muskeln und Sehnen, das Knacken der Fingerknochen, der seltsame katzenhafte Kampfschrei, der zum Trademark wurde.

Bruce Lee

Warner

"Sein Ausdruck beim Niederkämpfen seiner Gegner lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Zeitweise wirkt er wie in sexueller Ekstase verloren, und wenn er schlägt, folgt der Wille der Kraft seines Hiebes; der Anblick dieser Konzentration und Befriedigung ist vernichtend" schrieb mal ein Journalist über den Little Dragon. Gleichzeitig sind Lee’s Filme alles andere als Non-Stop-Fighting-Orgien wie der Großteil des Kung-Fu-Kinos, die Regisseure setzten seine furiosen Ausbrüche ganz sparsam und gezielt ein. Der Racheakt, fast immer zentrales Motiv im Easterngenre, wird rausgezögert bis zum finalen blutigen Klimax.

Spürt man seiner Faszination nach, stößt man aber noch auf andere zentrale Facetten von Bruce Lee. Man merkt, vor allem im Kontrast mit manchen hölzern agierenden Hongkong-Schauspielkollegen, wie sehr er den rebellischen Gestus eines Marlon Brando oder James Dean fürs Actionkino adaptierte. Durch die Fanliteratur und Dokus geistert aber auch der asketische Hobbyphilosoph oder der introvertierte Liebhaber von Westcoast-Rock’n’Roll und lustigen Zigaretten.

Bruce Lee

Golden Harvest

"Game of Death" (Bruce Lee - Sein letzter Kampf)

Die Re-Definition von Cool

Die bizarrsten Bruceploitation-Filme, featuring "Bruce Lai", "Bruce Le" oder "Bruce Li"
Bruce Lee, D-Day at Macao
Bruce Lee Fights Back from the Grave
Bruce Lee Vs. the Supermen
Bruce Lee in New Guinea
I Love You, Bruce Lee
Black Dragon Revenges the Death of Bruce Lee
The Clones of Bruce Lee
They Call Me Bruce?

Bruce Lee - und das macht sein Vermächtnis so extrem zeitgemäß - steht für das Niederreißen von Grenzen, für Ambivalenz, für Gegensätze, die sich ergänzen. Ein Freigeist im allerschönsten Sinn, der sich nie in eine Ecke drängen ließ, der immer zwischen den Welten pendelte, zwischen Osten und Westen, Hongkong und Hollywood, Kampfkunstschulen, Lebensanschauungen und Genres.

Last but not least: Dass er bei aller Besessenheit, mit der Lee seine Ziele verfolgte, stets eine enorme Gelassenheit ausstrahlte (und predigte), ist es, was ihn wohl am meisten von den groben Lackeln des westlichen Actionkinos abhebt. Wie ein Elefant im Porzellanladen wirkte schon der Fleischberg Chuck Norris, als er sich in "The Way of the Dragon" dem Meister aus Hongkong stellte. Bruce Lee war dagegen "die Re-Definition von Cool", wie die legendäre britische Stylebibel "The Face" einst bemerkte. Unzählige Rock’n’Roller und Hip Hopper verehren ihn, die Beastie Boys widmeten ihm seinerzeit ein Manifest im Printformat. "Bruce Lee war für die 70er was Jim Morrison für die 60ies war", notierte ein gewisser Herr Tarantino, "ein begnadeter Popstar".