Erstellt am: 30. 11. 2015 - 11:54 Uhr
Von der Ente zum Schwan zum Überflieger
Sänger Austin Williams erzählt, dass er froh wäre, den Sound seiner Band Swim Deep gefunden zu haben. Ganz sicher ist er noch nicht, aber das geht für ihn völlig in Ordnung. Auf der Suche danach wollte er sich den leicht verrosteten Indiepopstempel vom Sgt. Pepper-Jackett klopfen. Dann lieber doch ein bisschen mehr Trash, Glam, 80ies-Style. Seine Bandkollegen sind da die Experten, wie er sagt. Die kennen sich aus, feiern vor allem Kraftwerk, die Pioniere im Krautrock-Synthie-Experimentalzirkus. Seine Wurzeln ganz abzuschütteln, egal um welchen Lebensbereich es geht, schafft man aber ohnehin nicht, so Austin Williams. Es war ihm nicht das wichtigste Anliegen, alles komplett zu verwerfen, was er in den letzten Jahren musikalisch aufgebaut hat. Lieber wollte er ein wahnsinnig gutes, neues Album aufnehmen. Hat funktioniert.
Sony Music
Verträumt war gestern
Swim Deep sind die Band, die seit ihrem Debüt 2013 namens "Where the heaven are we" im Gedächtnis leise zwitschernd da hängen geblieben sind, wo Bloc Party zu elektronisch, die Drowners zu tough und Peace zu schrullig sind. Lieber mehr Dreampop, mehr Weichspüler. Rückblickend war es dem Quintett aus Birmingham vielleicht selbst ein bisschen zu wischi-waschi, ein bisschen zu austauschbar, ein bisschen zu abgeschliffen. Immerhin hätten sie, so Austin Williams, ihr Debüt einfach mal nebenbei eingespielt. Zwar natürlich mit großer Ambition, aber ohne viele Gedanken daran zu verschwenden, wo sie sich in der englischen Musikszene positionieren wollen.
Sony Music
Vergleiche mit "Screamadelica" von Primal Scream und "Primary Colours" von The Horrors sausen durch die Presse, als "Mothers" Anfang Oktober veröffentlicht wird. Interessanterweise war es bei beiden genannten Beispielen auch so, dass die Bands den Vogel nicht mit ihrem Debüt sondern erst mit nachfolgendem Material abgeschossen haben. Auch wenn es nicht ganz korrekt wäre, Swim Deeps Debütalbum als verwaschenen, belanglosen Indiepop abzutun (das beweisen die Singles "King City" und "The Sea"), ist "Mothers" im Gegensatz dazu ein Monster von einem Album. Swim Deep sind jetzt also warm gespielt.
Swim Deep
Mothers ist Anfang Oktober bei Sony Music erschienen.
Gitarre? Synthesizer!
Änderungen in der Musik, zuvor aber noch in der Bandbesetzung: 2011 gegründet, waren Swim Deep zu dritt, mittlerweile sind sie zu fünft. Seit 2013 steht die Band dank Unterstützung von Multiinstrumentalist James Balmont als Quintett auf der Bühne. "Mothers", das Ergebnis einer vierwöchigen Jamsession im Brüsseler Studio, ist ein Feuerwerk aus Synthesizern geworden. Die Gitarre bleibt dabei deutlich im Hintergrund: Garagenrock ist zwar dabei, wichtiger aber noch ist das rumpelnde Klavierspiel, viel Hall, viel Atmosphäre.
"Aaahs", "Uuuhs", Gekreische. Schelle, Rassel, Diskokugel. Percussions liebt Sänger Austin Williams fast noch mehr als seine fast stet ins Falsett hochgezurrte Stimme. Der Sound ist überladen, pathetisch und hinreißend, der Titel macht Programm. "Mothers" ist das Schlagwort, das die elf Stücke pompös einläutet, gemeint als "ode to creation". Als Anspielung auf den musikalischen, den künstlerischen Schaffensprozess an sich. Hymnen, verpackt in eine wattebauschartige Klangwolke aus Synthesizern.
Have I said why I love the sunrise?
It’s ‘cause it’s only gonna get lighter
Sonnengebet und großes Theater: der Opener "One Great Song And I Could Change The World" funktioniert wie der Ruf in den Wald. Ein shout out nach einer mitreißenden Popoper – die Antwort wird in zehnteiliger Form zurückgefeuert. Dabei spannt sich der Bogen von impulsivem Shalala-Ding-Dong ("To My Brother") über fantastisch motowneske Spice Girls-Anleihen ("Namaste") bis hin zu Nimm-mich-doch-bitte-in-den-Arm-Aufforderung ("Is There Anybody Out There").
Fast seufzend meint Austin Williams, er sei jetzt eben erwachsen geworden. So wie seine Bandkollegen. Das wollte er auch auf dem zweiten, weitaus experimentelleren Album festhalten. Swim Deep pfeffern mit dessen Ankündigung gleich noch ein trotziges Statement nach: Wenn das zweite nicht wie das erste klingt, wird auch das dritte nicht wie das zweite klingen. Es bleibt also spannend. Wer weiß - vielleicht wird’s ja eine Hiphop-Platte. Kanyes "Yeezus" findet die Band nämlich ganz ausgezeichnet. Wie auch immer, Swim Deep beweisen: Change the running system. It will run even faster.