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Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

26. 11. 2015 - 16:11

Freiheit oder Sicherheit

Terroranschläge rufen stets dieselben Reaktionen hervor: Kriegsrhetorik, Überwachungsambitionen, Angst. Wir sollten lernen, anders zu reagieren.

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"Wie nach 9/11 und wie nach jedem Anschlag gibt es dasselbe erbärmliche Ritual: Es wird danach gerufen, die Sicherheitsmaßnahmen maßlos aufzurüsten", sagt Kirsten Fiedler von der European Digital Rights Initiative - EDRI. Der Ruf nach mehr Überwachung kam nach den Anschlägen in Paris wie das Amen im Gebet.

Und immer noch fragen sich viele, wie die Attentäter unerkannt ihren Anschlag vorbereiten konnten. Zahlreiche Vermutungen werden in den Raum gestellt: Sie wären über eine PlayStation 4, sichere Messenger-Apps oder über andere verschlüsselte Systeme in Verbindung gestanden. Nichts davon ist bewiesen, aber bis jetzt kann man auch nichts ausschließen. Was jedoch ziemlich sicher ist: Kurz vor dem Anschlag soll einer der Attentäter eine SMS versendet haben. Eine Technologie, die nicht gerade für ihre Verschlüsselung bekannt ist.

Blumen und Kerzen zum Gedenken an die Opfer von den Anschlägen in Paris

APA/AFP/BERTRAND GUAY

Vorratsdatenspeicherung und andere Maßnahmen

Jetzt steht die Verschlüsselung diverser Dienste wieder im Kreuzfeuer der Kritik und auch die politischen Rufe nach Vorratsdatenspeicherung und anderen fragwürdigen Maßnahmen werden lauter.

Déjà-vu: Die Vorratsdatenspeicherung hat es in Österreich schon gegeben, sie wurde jedoch vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig eingestuft und mit Juli 2014 nach kurzer Laufzeit wieder eingestellt. Ähnlich war es in Deutschland, und auch dort erlebt sie ein Revival: Erst diesen Oktober hat man eine "Light"-Variante der Vorratsdatenspeicherung auf Schiene gebracht. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch diese wieder ein Fall fürs Verfassungsgericht wird.

Deutschlands Nachbar Frankreich ist einen Schritt weiter: Im europäischen Vergleich habe Frankreich nach zahlreichen Gesetzesänderungen der letzten Jahre inzwischen die meisten Möglichkeiten zur Überwachung von Kommunikation, erklärt Kirsten Fiedler. "Das alles hat aber die Anschläge nicht verhindern können."

Die mangelnde Selbstkritik der Politik

Viele hinterfragen die Überwachung und ihre (In-)Effizienz, nur die Politik scheint säumig und wenig selbstkritisch, meint die Datenschützerin. "Man will einfach schauen, wem man jetzt die Schuld in die Schuhe schieben kann." Das münde schließlich in populistischen Gesten, mit denen die Politik zeigt, "dass sie nicht inaktiv ist", sagt Kirsten Fiedler. Zu oft würden dann ineffiziente Gesetze geschrieben, unbescholtene Bürger überwacht und vor allem eines: Grundrechte verletzt.

Monitor mit Handy-Verbindungen und Internetverbindungen, Symbolbild für Vorratsdatenspeicherung

APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Einschränkungen von Verschlüsselung oder Hintertüren in Systemen wären aus Sicht der Datenschützerin eine Katastrophe: "Journalisten oder Menschenrechtler in repressiven Ländern sind ja auf diese Techniken angewiesen. Und wir benutzen ja auch alle Verschlüsselung, zum Beispiel beim Online-Banking oder wenn wir etwas online einkaufen."

Die Gefahr, die daraus erwächst, ist, dass diese Aushöhlung der Grundrechte einfach irgendwann ignoriert und Überwachungsmaßnahmen als Normalität angesehen werden könnten.

"Die Rhetorik hat sich nicht geändert"

Terror ist in Europa kein neues Phänomen. Gemessen an den Opferzahlen hat der alte Kontinent in dieser Hinsicht sogar schon deutlich düsterere Zeiten hinter sich. Was sich geändert hat, sind die ideologischen Hintergründe.

Mit der Auflösung von Gruppen wie der IRA, den Roten Brigaden oder der RAF sind ab Anfang der 1990er-Jahre die Opferzahlen und Anschläge zurückgegangen. Spätestens seit den Anschlägen in Madrid 2004 erlebt man eine Zurückverlagerung des Terrorismus nach Westeuropa.

Obwohl im Vergleich zu den 1970er- und 1980er-Jahren die Zahlen der Terroropfer in Westeuropa signifikant gesunken sind, scheint die Angst vor Terroranschlägen mit jedem Mal zu steigen. Für den Historiker und Terrorismusforscher Thomas Riegler gibt es dafür einen einfachen Grund: "Der heutige Terrorismus ist viel sichtbarer als früher." Medien dienen als Verstärker und die mediale Dauerpräsenz schaffe deutlich mehr Bedrohungsbewusstsein.

Auch die Rhetorik und die Maßnahmen der Politik tragen wohl einiges dazu bei. "Im Handeln der Politik sieht man jedenfalls Kontinuität", meint Riegler. Stets erklärt man nach einem Terrorakt dem Terrorismus den "Krieg". "Immer werden dieselben Schlagworte verwendet. Das ist in gewisser Weise ein Manko, weil es den Terrorismus größer macht, als er ist", beklagt der Terrorismusforscher.

Politik und Gesellschaft sollten daher ihre Reaktionen auf Terror hinterfragen. "Die Politik muss weg von dieser Kriegsebene und den Konflikt auf der Ebene der Geheimdienste austragen - mit Undercover-Ermittlern und Infiltration", meint Thomas Riegler. Die Geschichte habe gezeigt, dass diese Instrumente wirksamer sind, um terroristische Zellen von Innen zu zerlegen. "Das dauert zwar seine Zeit, verspricht aber mehr", erklärt Riegler. Bei der IRA habe diese Taktik funktioniert.

Wir sollten uns von Fanatikern weder verunsichern bzw. von der Angst leiten lassen, oder dem Terror mit Gleichgültigkeit entgegnen. Was es laut Riegler braucht, ist ein gesundes Risikobewusstsein: "Man darf natürlich nicht vergessen, dass etwas passieren kann, aber rein statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit von einem Möbelstück erschlagen zu werden höher, als bei einem Terroranschlag zu sterben."