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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

23. 11. 2015 - 19:00

"Nicht drücken, sondern ziehen!"

Zwei befreundete junge Menschen suchen in Cornelia Travniceks neuem Roman "Junge Hunde" nach sich selbst, aber auf gänzlich unterschiedliche Weise.

travnicek

DVA

"Junge Hunde" von Cornelia Travnicek ist bei DVA erschienen.

"Kann ein Mensch ganz bei sich sein, wenn er nicht weiß, woher er kommt?" Diese Frage ist am Buchrücken von "Junge Hunde" zu lesen und bleibt auch im Roman zu großen Teilen unbeantwortet. Denn die Antwort kann vieles sein, nur nicht Ja oder Nein. Das müssen auch die beiden Protagonist_innen in "Junge Hunde" im Laufe der Geschichte einsehen.

Die Sache mit den Eltern

Da ist Ernst, der sich nach China aufmacht, um dort seine leibliche Mutter zu suchen. Als Baby wurde Ernst adoptiert und ist seither im Schatten des nie in Betrieb genommenen AKWs Zwentendorf aufgewachsen. Mit einem Imker als Vater - ausgerechnet, wo das Bienensterben doch nirgends so hoch ist wie in China - und einer sinophilen Mutter, die alles versucht, um dem Sohn seine chinesische Herkunft näher zu bringen, nur die ursprünglichste Herkunft, die leibliche Mutter, hilft sie ihm nicht zu finden.

Und dann ist da Ernsts beste Freundin Johanna. Sie muss während Ernsts China-Reise das Haus ihrer Eltern auflösen und verkaufen, weil der Vater an Alzheimer erkrankt und die Mutter in Peru auf Selbstfindungstrip ist. Ja, in diesem Roman sind fast alle auf der Suche nach sich selbst.

Genau in diesem Chaos aus Umzug, Krankheiten und allgemeinem Familienwahnsinn entdeckt Johanna, dass auch ihre Existenz nicht so in Stein gemeißelt ist, wie sie es - im Gegenzug zu Ernst - immer angenommen hatte.

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Reuters/Heinz-Peter Bader

Publikumspreis-Gewinnerin Cornelia Travnicek beim Bachmannpreis 2012.

Nach der Arbeit nimmt Johanna zu Hause, während sich ihr Abendessen in der Mikrowelle dreht, das Foto zur Hand, das sie im Zimmer ihres Bruders gefunden und mit nach Wien gebracht hat, wie um das Grauen des nachmittäglichen Tagtraums mit dem Betrachten dieser Abbildung zu mildern. Aber das Foto in ihrer Hand verhält sich auf einmal wie ein Milchgebiss: Teile fallen aus. Sie kann sogar sehen, wie es sich verändert.

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Wie ein Milchgebiss

Nicht nur die Dinge, an die sich Johannas dementer Vater zu erinnern glaubt, scheinen immer mehr zu verschwimmen, auch die Wahrheiten in den Leben der beiden jungen Leute verschwimmen zusehends. Der Roman wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive. Einmal ist man dabei, wenn Ernst durch China stolpert und nie anzukommen scheint, dann ist man dabei, wie Johanna durch den Keller ihres Elternhauses stapft und nie wegzukommen scheint.

Dass die beiden nicht erkennen, wie ähnlich ihre Situationen sind, ist die Tragik der Geschichte und die Tragik der Freundschaft zwischen Johanna und Ernst. Aber es ist auch bezeichnend, dass jede_r von ihnen diesen Weg alleine beschreiten muss, ohne die Hilfe des_der anderen.

Doch auch die Komik kommt nicht zu kurz in diesem Buch: "Nicht drücken, sondern ziehen!", ist die an Johanna gerichtete Weisheit einer buddhistischen Nonne. Während Johanna noch überlegt was das bedeuten könnte, hört sie die "Weisheit" ein zweites Mal und zwar von der Verkäuferin im Supermarkt, die den Satz einem Mann entgegenbrüllt, der die Tür nicht aufbekommt.

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CC BY 2.0 | Tim Douglas | flickr.com/octavaria/

So sieht der echte "junge Hund" im Buch aus. CC BY 2.0

Radiotipp

Cornelia Travnicek wird morgen ab 08.30 Uhr in der FM4 Morningshow zu Gast sein.

All in one

Cornelia Travnicek schlägt in "Junge Hunde" Bögen von Themen wie Imkerei über Adoption und Alzheimer, über Asien bis hin zu Schwalbennestern und auch zu echten jungen Hunden, Möpsen natürlich, denn die stammen aus China. Und das alles fügt sich überraschenderweise locker zusammen.

Aber so ist das ja mit dem Leben: auf ein einziges Thema fokussiert es sich selten. Als dann gegen Ende des Buches noch schnell ein Absatz zur Flüchtlingsthematik auftaucht, scheint es kurz ein wenig zu gewollt, doch dann fügt sich auch das ins Bild, denn sich selbst wieder zu finden, nachdem man Schreckliches erfahren hat, ist wohl Teil des Heilungsprozesses.