Erstellt am: 20. 11. 2015 - 15:43 Uhr
Geborgte Feder oder die vierte Dimension
Der englische Autor Max Porter wählt für seinen ersten Roman einen recht düsteren Ausgangspunkt, ein Stoff, den er seit Jahren mit sich herumgetragen hat: Die Mutter stirbt plötzlich und hinterlässt einen Vater mit kleinen Zwillingen.
Der sich daraus entwickelnde Plot bietet ungezählte Möglichkeiten, sich in tränenschweren Klischees zu verlieren. Max Porter hält mit einer oszillierenden Form, mal Novelle, Essay, mal Gedicht oder Stück für zwei Stimmen dagegen und umschifft sich anbietende Untiefen in punkto Innenschau souverän und elegant, auch wenn es manchmal deftig wird.
Hanser Verlage
Max Porters Debüt zeichnet das Auf und Ab der Tage nach, kleine Bewegungen in der Befindlichkeit nach dem Verlust eines geliebten Menschen, Alltägliches, und manchmal bleibt die Zeile leer. Nichts. Sprachlosigkeit. „Trauer war wie die vierte Dimension, abstrakt vage bekannt.“ Ein Weiterkommen scheint unmöglich, einfach nicht zu bewältigen.
Dann platzt ein großer, schwarzer Vogel zur Vordertür herein und hüllt den Vater in seinen, modrigen, nach Verwesung riechenden Flügel. Und bleibt. So lange sie ihn brauchen. Seine üppige Präsenz als Kommentator, Begleiter und Figur, die der Familie den Spiegel auch mal brutal vorhält, hilft ihnen ebenso wie die fantastische Wunschvorstellung.
So lange bis sie das Fehlen der Mutter oder das, was ihr Fehlen aus ihren Herzen gerissen hat, dieses Stück, auch annehmen können. Oder zumindest akzeptieren.
„Viele sagten: ihr braucht Zeit; in Wirklichkeit brauchten wir Waschpulver, Läuseshampoo, Fußball-Sticker, Batterien, Bogen, Pfeile, Bogen, Pfeile.“
Zu gleichen Teilen kommen in dem dreiteiligen Werk der Vater, die beiden Jungs, die ihre Trauer und den Alltag und die veränderte Situation beschreiben und Krähe zu Wort, erzählen unterschiedliche Episoden. Die Jungs wundern sich über die Stille, die sie umhüllt als ihnen der Vater vom Tod der Mutter erzählt, hätten vielmehr heulende Sirenen erwartet. Der Vater, vermutlich Literaturwissenschaftler, hat noch 14 Monate Zeit um eine Abhandlung über Ted Hughes´ „Krähe“ zu schreiben, kann aber nur „ ich vermisse meine Frau“ an Stelle der durchgestrichenen Kapitelüberschriften setzen.
Ted Hughes als Leitmotiv
Der britische Schriftsteller und Poet Laureate Hughes ist nicht nur Faszinosum für den Vater der Geschichte, Max Porter ist seit seinem 20. Lebensjahr ein Ted Hughes Nerd. Er borgt sich dessen mythologische Gestalt der Krähe für seinen eigenen Roman aus. Eigentlich ziemlich gewagt. Denn er nennt seine Geschichte dann auch noch in Anlehnung an Emily Dickinsons Gedicht „Hope is the thing with feathers“ - Trauer ist das Ding mit Federn.
Wahrscheinlich ist das in der englischsprachigen Welt ein größerer Stolperstein als in seiner deutschen Übersetzung, da Hughes´ Werk hier nicht so bekannt ist. Wenn gleich die Krähe, die Hughes nach dem Selbstmord seiner Frau Sylvia Plath geschrieben hat, als mythische Figur, der große schwarze Vogel, keine Unbekannte ist.
Max Porter, 34, hat selbst 3 Kinder, aber dazu auch eine Frau, und arbeitet als Lektor, hat lange Zeit als Buchhändler gearbeitet, davor Kunstgeschichte studiert und durch Zufall eine Lektorin kennengelernt, die sein Buch veröffentlichen wollte. Ein Blick in eine Familie, der plötzlich ein essentieller Teil fehlt, die versucht ihr Gleichgewicht wieder zu finden ohne den Glauben an die Welt zu verlieren. Max Porter pokert hoch, berührt und überzeugt mit Eigenständigkeit in einem gar schmalen Band.