Erstellt am: 19. 11. 2015 - 17:11 Uhr
Old World Blues
Als am 10. November der langerwartete Computer- und Konsolentitel Fallout 4 veröffentlicht wurde, verzeichnete die Plattform Pornhub einen 10 prozentigen Rückgang ihres Traffics. In knapp mehr als einer Woche wurden bereits über 12 Millionen Exemplare des Spiels verkauft. In seiner 18jährigen Geschichte ist die Fallout-Reihe damit am Höhepunkt ihrer Popularität angelangt. Während sich die Presse hauptsächlich lobend über den neuesten Teil der Serie äußert, erntet Spieleentwickler Bethesda seitens der (PC-) User auch Kritik. Zusammengefasst: zu wenig Rollenspiel, schlechte Grafik, umständliche Bedienung, zu flache Story und Dialoge, Bugs. Auf der Spieleplattform Steam ist sogar zu lesen: „Das ist kein Fallout.“ Aber was ist es eigentlich, das Fallout zu Fallout macht?
Bethesda Softworks
Das postnukleare Setting...
...aller bisherigen Fallout-Teile ist dasselbe. In einem alternativen Amerika der 1950er Jahren setzt rasender technologischer Fortschritt ein, der auf der alltäglichen Nutzung von Atomenergie beruht, als Folge von Ressourcenknappheit. Die kulturelle Entwicklung allerdings stagniert. Selbst 2077, als die Menschen mit atomenergie-betriebenen Autos herumfahren und sich von Haushaltsrobotern Kaffee kochen lassen, ist alles noch im sogenannten Googie-Design gehalten. Im selben Jahr kommt es zum „großen Krieg“. Innerhalb von 2 Stunden feuern die USA und die Volksrepublik China ihr gesamtes atomares Arsenal aufeinander ab. Viele Menschen überleben in Bunkern, sogenannten Vaults, aus denen manche Jahrzehnte später erst wieder an die Oberfläche treten, in eine neue lebensfeindliche Welt.
Gerade diese Welt macht das Fallout-Setting so einzigartig. Schon vom ersten Teil 1997 an konnte man als Bunkerbewohner die neue Welt frei erkunden, die in ihrer Ästhetik schon vieles, was später v.a. ab Fallout 3 forciert wurde, beinhaltete: die technologischen und kulturellen Überreste aus der blühenden Googie-Vergangenheit, verrostete Technologien, verblichene, einst knallige Farben, der Hauch von verrottender Zukunft, in der nun Mutanten, Ghule und anderes durch radioaktive Strahlung verändertes Getier herumläuft.
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Popkultur und schwarzer Humor
Fallout zu spielen, bedeutete aber nicht nur das sogenannte Ödland zu erforschen, eine packende Geschichte zu erzählen, es bedeutete vor allem auch Spaß. In den Dialogen mit den NPCs hatte man immer zahlreiche Antwortmöglichkeiten zur Auswahl, die bei aller Düsternis immer eine ironische Brechung parat hatten. Meistens mittels Meta-Verweisen und zahllosen popkulturellen Referenzen in Form von Zitaten oder Anspielungen auf Star Trek, die Simpsons, Monty Python, der Pate, Bill Clinton und Monica Lewinsky, Star Wars, Austin Powers, He Man, The Kinks, Mad Max, The X-Files, um nur eine Bruchteil davon zu nennen. Beispielsweise entdeckte man am Weg durch die verstrahlte Landschaft ein Weltraum-Shuttle aus Star Trek und ein paar tote Red-Shirts daneben, oder musste an einer Brücke einem Wächter in Monty Python-Manier drei Fragen richtig beantworten, um nicht getötet zu werden.
Vault Boy – Pip Boy und Nuka Cola
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In den aufeinander folgenden Titeln der 18 Jahre Fallout-Geschichte hat man das Universum Stück für Stück weiter zusammengesetzt, miteinander vernetzt und ihm mehr und mehr Geschichte gegeben. Alles ist verknüpft, alles hat dadurch Tiefe und wird auch immer wieder Teil der Handlung. Als Fallout-Veteran fühlt man sich sofort zuhause wenn man in einem Schrank eine Flasche Nuka Cola findet, oder auf einen Außenposten der Brotherhood of Steel trifft. All diese Dinge wurden seit ihrem erstmaligen Erscheinen gehegt und gepflegt. Dazu gehört auch das Markenzeichen der Serie, der sogenannte Vault Boy.
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Angelehnt an Rich Uncle Penny Bags aus Monopoly erschien er zum ersten Mal im Handbuch zu Fallout 1 und in den Ingame-Darstellungen der verschiedenen Charakterboni und ist seither in jedem Teil vorhanden. Im Fallout-Universum ist er das immer grinsende Maskottchen der Firma Vault-Tec, das die Bevölkerung auf den bevorstehenden Atomkrieg vorbereiten sollte. Die glückliche Trickfigur mit dem ausgestreckten Daumen ist das Markenzeichen der Fallout-Reihe und steht mit seinem Grinsen im Angesicht des Todes für den schwarzen Humor der Serie. Und auch der Pip Boy ist etwas, das die Spieler von 1998 an begleitet. Der Pip Boy ist ein persönlicher am Handgelenk getragener Computer des Charakters, der dem Spieler gleichzeitig zur Verwaltung seines Inventars, Orientierung und Übersicht über die Charaktereigenschaften dient. Fallout 4 ist u.a. in einer special Pip Boy-Edition erschienen.
Der Weg zum Mainstream
Ein großer Bruch in der Spiele-Chronologie erfolgte als Interplay, Produzent der ersten beiden Fallout-Teile, insolvent wurde und die Rechte an Bethesda gingen. Nach Fallout 2 1998 sollte erst zehn Jahre später der dritte Teil folgen. Die größte Neuerung: aus dem bisherigen isometrischen RPG wurde ein Rollenspiel, das man von nun an in Ego-Perspektive spielen konnte. Das rundenbasierte Kampfsystem wurde optional. Von der Fan-Base wurde der Titel durchwegs positiv aufgenommen. Die First-Person-Perspective und das Game-Design verstärkten die in Teil 1 und 2 angelegte Ästhetik und Stimmung noch zusätzlich, ohne auf die altbewährten Rollenspielelemente wie Dialog oder Handlungsfreiheit zu verzichten. Zwischen dem nun erschienen Fallout 4 veröffentlichte Bethesda noch das Spin Off „Fallout: New Vegas“.
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Mehr Action weniger Rollenspiel
Mit Fallout 4 wagte sich Bethesda nun an zwei gravierende Veränderungen, die auch in den negativen Kritiken der User beklagt werden. Nr.1: Alle Dialoge im Spiel wurden ins Voice-Acting überführt, prinzipiell etwas, das die User vor dem Release freudig erwarteten. Was aber dem Voice-Acting zum Opfer fiel, ist eine vielfältige und differenzierte Auswahl an Dialogoptionen. Generell kann der Charakter nur noch die ungefähre inhaltliche Richtung der Antwort angeben und meist nur aus vier Möglichkeiten wählen: „ja“, „nein“, „sarkastisch“ und meist etwas wie „weiß nicht“.
Steam
Das macht die Dialoge flüssig und cineastischer, aber die Gespräche oft platt, eintönig und unlustig. Verständlich, das gerade Fallout-Veteranen dieses so prägende Feature der Reihe vermissen. Nr.2: Zusätzlich hat man das Gefühl (zumindest nach 15 Stunden Spielzeit), dass man in den Dialogen den Verlauf der Handlung nicht mehr wie in den anderen Teilen beeinflussen kann und man in eine Richtung gedrängt wird.
Eine Änderung, die jedenfalls Spaß macht, sind die neuen Sandbox-Elemente. So kann man sich aus im Ödland gesammelten Schrott Siedlungen bauen, die man dann auch von Angriffen von Raidern oder Supermutanten beschützen muss. Und auch Waffen und Rüstungen, wie die berühmte Powerrüstung können stark modifiziert werden. Besonders gelungen sind die Begleiter, die man für seine Reise durch die Postapokalypse wählen kann. Der Hund Dogmeat zum Beispiel, der mit wenigen Mouseklicks zum Vollführen von Tricks, Apportieren, Suchen etc. gebracht werden kann und dabei wie ein echter Hund agiert. Generell scheint man mit Fallout 4 mehr den Fokus auf Atmosphäre und Action als auf die Stärken von Rollenspielen gelegt zu haben. Stattdessen tritt auch der Shooter-Aspekt in den Vordergrund.
Fallout 4 noch Fallout?
Mehr Spieletipps auf fm4.orf.at/games
Fallout 4 bietet für Neulinge der Fallout-Reihe einen niederschwelligen Einstieg in die postnukleare Rollenspielwelt. Ein Rollenspiel light sozusagen, mit stärkerem Fokus auf Aktion und Sandbox, und weniger auf Handlung und Dialog. Aber: Noch immer liegt über allem die gewohnt fesselnde Atmosphäre einer Welt, die auch Fallout-Veteranen immer noch zum Entdecken einlädt. Die Fallout-Reihe ist im Mainstream angekommen und mit Teil 4 längst schon selbst eine popkulturelle Referenz.