Erstellt am: 18. 11. 2015 - 18:02 Uhr
"Besser in LehrerInnen als in Security investieren"
Nach den Terrorangriffen in Paris letzten Freitag und den 89 Toten beim Eagels of Death Metal-Konzert im Bataclan werden Rufe nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen bei Konzerten laut - zumindest in den USA. Das Rolling Stone Magazine berichtet, dass die zwei großen amerikanischen Veranstaltungsagenturen Live Nation und A.E.G. bereits über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen nachdenken.
Der deutsche Konzertveranstalter und Rock-am-Ring-Erfinder Marek Lieberberg schätzt die Lage im Visions-Interview relativ nüchtern ein: "Wir haben ausreichende Sicherheitsvorkehrungen in einer normalen Situation. Für eine terroristische Situation ist keiner von uns gewappnet, und zwar in keinem Bereich des öffentlichen Lebens. Wir können uns nicht mit bloßen Händen oder Metalldetektoren gegen Kalaschnikows oder Bomben zur Wehr setzen."
Wie gehen die großen Konzertlocations in Wien mit der Terror-Gefahr um?
Die Szene Wien hat heute folgendes auf Facebook gepostet:
Liebe Konzertbesucherinnen und Besucher im Gasometer, der SiMM City und der Szene Wien!Jede unserer Veranstaltungen...
Posted by ((szene)) Wien on Wednesday, November 18, 2015
In der Arena Wien sieht man das entspannter. Der Booker, Musiker, Kritiker und Vereinsobmann der Arena Wien, Rainer Krispel war heute im Connected-Studio zu Gast und hat mit Esther Csapo über die aktuelle Situation gesprochen - und darüber, ob in Österreich auch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen wie in den USA geplant werden?
Rainer Krispel: Mir ist nichts bekannt, formell wurde noch nichts an mich herangetragen. Man muss dazu sagen, dass das Veranstaltungsgesetz insbesondere in Wien relativ streng ist - was man auch durchaus diskutieren kann. Die meisten Clubs und Veranstalter haben von sich aus ein gesteigertes Interesse daran, dass sich ihre Zuschauer und Zuschauerinnen wohl und sicher fühlen. Und nach den Vorfällen in Paris glaube ich nicht, dass es Sinn macht, dass wir uns jetzt alle Metalldetektoren anschaffen und wir sozusagen unsere Securities hochfahren - was ja auch eine finanzielle und eine Ausbildungsfrage ist. Da müssten wir uns auch ansehen, wie Securities überhaupt ausgebildet sein müssen, wer das alles überhaupt machen darf und so weiter. Also das kann’s ja wohl so nicht sein. Und ich glaube, man muss die Dinge schon auf den Boden holen. Ich bin jetzt 48 Jahre alt und in der Schule wurde mir immer die Neutralität Österreichs als ein großes Gut vermittelt. Die USA sind ein kriegsführendes Land und Frankreich hat eine koloniale Vergangenheit. Gerade Frankreich hat unter anderem in den Vorstädten von Paris seit Jahrzehnten echte Problemzonen - ich sag jetzt nicht gezüchtet, weil das ein zu zynischer Ausdruck ist - aber zumindest keine Rezepte gefunden, das auszuhebeln.
Das heißt du siehst auf uns hierzulande bei Konzerten oder Festivals keine verstärkten Sicherheitsmaßnahmen zukommen - wie Metall-Detektoren oder ein größeres Polizeiaufgebot?
Ich sehe zuerst einmal, dass sich das bei uns in der Arena nicht vereinbaren lässt. Wir verstehen die Arena trotz allem Pragmatismus im Veranstalten als einem emanzipatorischen Weltbild und letztendlich auch einem linken Weltbild verpflichtetes Gelände - und das verträgt sich nicht. Die Menschen, die uns besuchen - zu was mache ich sie denn dann?
Verdächtig?!
Zu einem Sicherheitsrisiko! Wenn wir jetzt bei uns hocheskalieren - und dass muss man bitte aus Paris auch lernen - diese hochgezüchteten Sicherheitsapparate haben doch jetzt wieder versagt.
Also mehr Sicherheit bedeutet jetzt nicht zwangsweise weniger Gefahr?
Genau. Ich will jetzt in keinster Weise diese Tür aufmachen, ob uns das nicht vorgeführt werden soll - aber es ist ja auch denkmöglich. Es wird uns gezeigt, wie angreifbar wir sind - und dann wird argumentiert, dass wir jetzt noch mehr investieren sollen. Investieren wir das Geld oder mehrere Innenministerinnen-Gehälter in Schulbildung, in Lehrerinnen- und Lehrer-Gehälter, in Pädagoginnen- und Pädagogen-Gehälter. Ich glaub, das ist die viel nachhaltigere Security-Arbeit als Metalldetektoren. Man kann sich auch anschauen, wer mit Sicherheitsbedarf verdient. Was sind das für Firmen? Wem gehören diese Firmen?
Gibt’s da auch eine Verunsicherung bei den Bands? Werden vom Management und von den Agenten andere Sicherheitsvorkehrungen gefordert, damit die Bands überhaupt spielen? Ist dir da was zu Ohren gekommen?
Charlie Hebdo
Das wird sich weisen, ob das kommt und wie das definiert wird. Wenn ich jetzt Sicherheitskonzepte vorlegen muss, die durchstrukturiert sind wie bei einem Besuch eines Außenministers, dann bin ich irgendwann an der Grenze der Machbarkeit. Dass es legitim ist, dass ich nachfrage, was macht ihr denn da? – diese Auskunft würde ich ja auch meinem Publikum geben.
Ich glaube tatsächlich, es ist jetzt unsere BürgerInnen-Pflicht auf Konzerte zu gehen, uns zu amüsieren und kulturelle Diskurse weiterzutreiben.
Quasi ganz im Sinne des Satireblatts Charlie Hebdo, die getitelt haben: "Sie haben die Waffen, wir den Champagner!"
There we go! Bring in the Champagne!
Danke für das Gespräch.