Erstellt am: 18. 11. 2015 - 14:48 Uhr
Terror Error
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Ich hab das mit den Attentaten in Paris mitbekommen, als ich gerade mit Freunden Bier in einem Wiener Irish Pub trank. Im Fernsehen haben sie aufgehört, das nie enden wollende Fußballspiel zu zeigen, und schalteten auf CNN um. Etwas Schlimmes war in Frankreich passiert.
Zu dieser Zeit war mein Vater dort. Nicht in Paris, aber etwa 100 Kilometer von dort entfernt. Ich rief ihn ganz impulsiv an. Er ging lange nicht ran und das vergrößerte mein Unbehagen. Als ich endlich seine Stimme am Telefon hörte, erschien er mir verärgert. Warum ich ihn wohl zu dieser Stunde anrufe? Ich hätte ihn davon abgehalten, in einem der wenigen zu so später Stunde noch offenen Geschäfte eine Flasche Wein zu kaufen.
APA/dpa/Caroline Seidel
Er war gerade am Überlegen, ob er einen Wein aus der Loire-Region oder aus dem Elsass nehmen solle. Am Ende nähme er doch den Riesling aus dem Elsass, sagte er. Ich erklärte ihm, dass ganz Frankreich Kopf stehe und dass Paris von Attentaten erschüttert worden sei. Mein Vater meinte, dass er gerade keine Attentate aus dem Fenster beobachten könne, und seine einzige Sorge sei, dass er den Abend ohne Riesling auskommen müsse. Er meinte, er rufe mich später an.
Ein bisschen später hörte er sich wieder normal an. Er habe sich zwei Flaschen Riesling gekauft. Dann fing er an, mir zu erklären, aus welcher Region genau dieser Wein sei und auf welcher Seite der Hügel die Trauben gewachsen seien. Das ärgerte mich ein bisschen. Wen interessiert das, wenn die demokratischen Werte in Gefahr sind?! Die Terroristen haben das Herz Frankreichs angegriffen. "Das Herz Frankreichs schlägt wegen des Weins!", sagte mein Vater. "Solang es Wein gibt, ist alles in Frankreich in Ordnung!" Aber nach diesem Terror hätten die Leute Angst, ihren Wein auf dem Markt zu verkaufen, meinte ich.
Mein Vater blieb kurz still. "Morgen oder spätestens übermorgen werden alle Bauern der Gegend wieder auf dem Markt sein. Sie werden ihren Wein, Kraut, Porree, oder ihre Enten verkaufen. Nicht weil sie keine Angst um ihr Leben haben, sondern weil sie um ihr Leben kämpfen müssen. Ich muss jetzt meinen Wein kühlen."
Ich ließ ihn mit seinem Wein alleine. Die ganze Nacht schaute ich Nachrichten. Die französischen Sender, BBC, CNN und sogar das bulgarische Fernsehen. Alle kämpften um die besten Nahaufnahmen der Pariser Massaker. Wie man es erwarten konnte, sind die meisten Attentäter französische Staatsbürger. Sie sind so alt wie ich oder jünger.
APA/AFP/JOEL SAGET
Was sie wohl dazu getrieben hat, den Abzug zu drücken? Die soziale Isolation? Sie und ihre Eltern haben doch selber entschieden, in Europa zu leben. Der niedrige soziale Status? Wenn man sich nicht bemüht, die sozialen Abgründe zu verlassen, dann bleibt man ewig dort. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Der Wunsch, die Anonymität zu verlassen und berühmt zu werden? In der heutigen Welt ist es unmöglich zum Herostratos zu werden. Und wie wird man berühmt, wenn man nur Stücke von dir finden kann? Vielleicht wurde ihr ganzes Leben lang auf sie mit dem Finger gezeigt? Das kenne ich auch.
Seitdem ich in Wien lebe, muss ich mich ständig rechtfertigen, dass ich in Bulgarien geboren wurde. Ich muss mich rechtfertigen für die Korruption und die organisierte Kriminalität, die in meinem Geburtsland herrschen. Ich kenne einige Bulgaren, die deswegen nationalistische Megalomanen geworden sind. Laut ihnen sind alle Österreicher engstirnig, alle Deutschen kalt, alle Franzosen schleimig, alle Skandinavier überheblich und alle Amerikaner dumm. Man baut einen Zaun um sich herum, der irgendwann so hoch wird, dass man nur den Himmel sehen kann. Und dort sitzt Gott, der Gerechtigkeit verteilt.
Die Attentäter meinen, dass sie im Namen Gottes Menschen getötet haben. Der französische Autor Stendhal meinte: "Die Idee von Gott ist die nützlichste Idee alle Tyrannen."
Am nächsten Morgen rief ich wieder meinen Vater in Frankreich an. Ich fragte ihn, wo er sei. "Am Markt!", sagte er. "Ich werde mich nicht von den Terroristen verstecken. Ich werde weiter ins Kino, ins Theater und zum Markt gehen!" Danach fing er an, etwas über Entenfleisch zu labern. Das Leben geht normal weiter.