Erstellt am: 20. 11. 2015 - 09:33 Uhr
Verhungertes Finale
In den Auftakt der „Hunger Games“ Reihe bin ich seinerzeit völlig unvorbereitet gestolpert. Natürlich hatte ich, als jemand der all den Megasellern in den Buchhandlungsketten standhaft aus dem Weg geht, die Romanvorlage von Suzanne Collins nicht gelesen. Der „Young Adult“ Stempel, der auf pubertäre Gefühlsstürme abzielt, erwies sich ebenfalls nicht als anziehend, auch wenn ich selbst auf meine alten Tage nie erwachsen geworden bin.
Umso überraschender dann das Geschehen, das sich auf der Leinwand abspielte. Die zittrige Kamera der ersten Einstellungen erinnerte beinahe an rohes Indiekino, dazu passte die Wahl der Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence, die man anno 2012 eher aus düsteren Autorenkino-Dramen wie „Winter’s Bone“ kannte. Und vor allem faszinierte diese clevere, auf mehreren Ebenen funktionierende Geschichte, die Kinder in eine blutige Version des Dschungelcamps schickte. Scharfe Medienkritik und galliger Sarkasmus blitzten auf, eingebettet natürlich in knalliges Actionkino, aber durchaus bitterernst gemeint.
Constantin
Eine Action-Ikone für eine bessere Welt
Klar, von kleineren Fankreisen glühend verehrte Splatterspektakel wie der japanische Schocker „Battle Royale“ hatten ebenfalls schon Minderjährige in einen via Bildschirm übertragenen Kampf auf Leben und Tod geschickt. Aber „The Hunger Games“, bei uns als „Tribute von Panem“ veröffentlicht, brachte diesen Fight in die große Hollywood-Arena, ohne die Botschaft zu verwässern. Und die lautete: Aus unserer rigiden Auslese-Ära der Casting-Inszenierungen, Dschungelcamps und Daumen-nieder-Realityshows wird schon morgen eine Gesellschaft erwachsen, die Mord nebenbei zum Abendessen konsumiert.
Elmo
Dass Regisseur Gary Ross dabei nicht den drohenden Zeigefinger der Moralhüter, Kulturpessimisten und Jugendschützer schwenkte und trotzdem einen ganz unwehleidigen Humanismus ins Spiel brachte, all das euphorisierte mich schließlich ebenso wie die mitreißende Präsenz von Jennifer Lawrence. Mit ihrer Figur der Katniss Everdeen, dem Mädchen aus der absteigenden Mittelklasse des Distrikt 12, gab es endlich eine Antwort auf die Legionen männlicher (Anti-)Helden des boomenden Comickinos.
Hochemotional, aber weit entfernt von den Klischees weiblicher Hysterie, agierte diese umwerfende junge Frau, aber vor allem klug, konsequent, unangepasst und eigenwillig. Eine Action-Ikone für eine bessere Welt, nichts weniger. Geht sofort mit euren Töchtern ins Kino, befahl ich befreundeten Vätern, aber alle saßen ohnehin schon längst in den vorderen Reihen und hatten zuvor die Buchvorlagen verschlungen.
Constantin
Massenphänomen in der letzten Runde
Ich erspare mir es den schleichenden künstlerischen Niedergang der Saga danach zu beschreiben. Angefangen hat aber alles tatsächlich mit der Wahl von Francis Lawrence, einem Regisseur, der mit vergessenswerten Effektspektakeln wie „Constantine“ oder „I Am Legend“ schon bewiesen hatte, dass ihm das Zeug zum Genre-Innovator fehlt. Ab dem Sequel „The Hunger Games – Catching Fire“ vertrauten die Produzenten dem höchst durchschnittlichen Filmemacher das Schicksal von Panem an, was sich an den Kinokassen zugegeben auszahlte. Sofort war damit aber auch die formale Dringlichkeit weg, die der erste Teil ausstrahlte. Da konnten auch fantastische Schauspieler wie Donald Sutherland, Julianne Moore oder Philip Seymour Hoffman in einer seiner letzten Rollen nichts ändern.
Constantin
Inhaltlich klammerte sich Francis Lawrence auch bei „The Hunger Games – Mockingjay Part 1“ an die Vorlage, wie mir LeserInnen bestätigten. Trotzdem schockierten die grausamen postapokalyptischen Brot- und Spiele-Szenarien nicht mehr wirklich, stattdessen rückte die sülzige Lovestory zwischen Katniss und ihrem Teilzeit-Lover Peeta (der unerträgliche Kitschtyp Josh Hutcherson erwies sich von Stunde Null an als Archillesferse in der Besetzung) mehr in den Focus. „Mockingjay“ schaffte es dann wenigstens noch die moderne mediale Kriegsführung angemessen finster zu thematisieren, in der die richtigen Bilder mehr zählen als Opferzahlen.
Jetzt geht das Massenphänomen also in die letzte Runde. Wie schon bei anderen Blockbuster-Reihen wird man direkt ins Geschehen gestürzt, ohne Flashbacks oder Erklärungen. Millionen Fans in aller Welt brauchen aber auch keinerlei Rückblenden, sie wollen wissen was Katniss Everdeen am Ende ihrer Abenteuer erwartet. Nur diesen Eingeweihten kommt auch die finale Zweiteilung entgegen, die ansonsten dramaturgisch eher schadet. „The Hunger Games – Mockingjay Part 2“ leidet an Timingproblemen, behäbige Momente wechseln mit übertriebener CGI-Action ab, einem zähflüssigen Mittelteil folgt ein gehetzt wirkender Showdown.
Constantin
Krieg und Idylle
Wir tauchen direkt in den Bürgerkrieg in Panem ein: Diktator Snow, der Anführer der dekadenten Elite, lässt die aufständischen Distrikte bombadieren und versucht auf perfide Weise Zwietracht im gegnerischen Team zu streuen. Katniss, die Siegerin der Hungerspiele ist weiterhin die große Hoffnung der proletarischen Rebellenfraktion. Als Mockingjay, als leuchtendes Symbol der Revolution, soll sie den Massen Mut machen.
Aber Katniss Everdeen hat die Propagandaposen satt. Mit einem kleinen Team von Weggefährten will sie eigenhändig in die Hauptstadt eindringen und den tyrannischen Snow ermorden. Nur soviel sei angedeutet: Nach zweieinhalb Stunden heftiger kriegerischer Auseinandersetzungen, die manchmal an die Grenzen der pubertierenden Zielgruppe gehen und gleichzeitig aalglatt inszeniert sind, steht die Enttäuschung.
Constantin
Achtung, Spoiler
Ich verließ das Kino kopfschüttelnd, wirkt das Schlußbild nach vier „Hunger Games“ Filmen doch ästhetisch wie aus einem Disney-Animationsstreifen entliehen. Schwer hier darüber zu parlieren ohne gröbere Wendungen zu spoilen, aber: Meiner Meinung nach wurde mit einer ganz kurzen Sequenz die wichtigste renitente Frauenfigur des Actionkinos auf dem Altar der bürgerlichen Idylle geopfert.