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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 11. 2015 - 12:32

Blockbuster im Kleinformat

Der Niederösterreicher Marco Kalantari dreht auf eigene Faust bildgewaltiges Science-Fiction-Kino. Sein neuer Kurzfilm "The Shaman" ist soeben online gegangen.

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Es gibt sie immer noch zahlreich, die Typen, die dir nachts in einem verrauchten Szenebeisl von ihrem überambitionierten Roman erzählen, von dem allerdings erst ein paar Zeilen geschrieben sind. Oder die von ihrer neuen Band schwärmen, die zwar den Rock’n’Roll revolutionieren soll, aber deren Gründung erst irgendwann bevorsteht. Und ich nehme an, dass gerade auch die Filmszene überbevölkert ist mit Möchtegern-Regisseuren, die ewig von kommenden Projekten faseln, aber nie irgendeines verwirklichen.

Marco Kalantari ist diesbezüglich eine erfrischende Ausnahme. Der Zwettler Regisseur redet nicht bloß von fantastischen Welten, die er filmisch erschaffen will. Kalantari setzt seine ziemlich spektakulären Träume konsequent um. Wohlgemerkt: Ohne ein Hollywood-Studio im Hintergrund. Aber mit einem Team von Freunden, Helfern und Sponsoren, das seine Visionen teilt. Angetrieben von seiner Leidenschaft für bildgewaltiges Science-Fiction-Kino drehte Marco Kalantari mehrere Kurzfilme und einen Spielfilm ("Ainoa", 2006), alles mit minimalen Budgets.

Marco Kalantari

Marco Kalantari

Marco Kalantari

Jetzt hat der seit geraumer Zeit in Tokio lebende Filmemacher aber sein Meisterstück abgeliefert. Seit heute steht der Kurzfilm "The Shaman" online, ein Blockbuster im Kleinformat, der schon formal ein wenig den Atem stocken lässt. Denn was Kamera, Sounddesign und Effekte betrifft, spielt Kalantari damit in einer Liga mit fettem Eventkino. Es sind aber auch die inhaltlichen Ideen, die faszinieren. Und vor allem strahlt "The Shaman" eine Atmosphäre aus, die den Regisseur für düstere Fernsehsagas ebenso prädestiniert wie für aufwändige Genrekino-Entwürfe.



Marco, du wolltest ausgerechnet in Österreich schon immer visuell aufregendes Genrekino machen. Bist du dir im Laufe deiner bisherigen Karriere damit oft wie ein totaler Outsider vorgekommen?

Ich denke jeder selbstbewusste Filmemacher sieht sich zu einem gewissen Grad gerne als Outsider. Wir sind allesamt chronische Individualisten. Wo Kalantari draufsteht, ist auch Kalantari drin. Gleichzeitig lebt Kino - und Kunst im Allgemeinen - von der Vielfalt. So gesehen habe ich mich immer als Teil der kreativen Welt rund um mich verstanden, egal wie anders diese aussehen mag. Ich bin also auch begeisterter Insider.

Muss man eine gewisse Besessenheit mitbringen, um eine Art von Kino bei uns umzusetzen, die im Fall von "The Shaman" mit aufwändigeren Hollywoodepen oder ambitionierten TV-Serien ästhetisch konkurrieren kann? Warst du oft auch mal so entmutigt, dass du alles hinschmeißen wolltest?

Soweit habe ich es nie kommen lassen, und die Unterstützung, die ich für alle meine Projekte in Österreich bekommen habe, war wirklich enorm. Von meinen ersten Anfängen in Zwettl, als die ganze Stadt unserer legendären Filmgruppe Y.E.P.Z. im wahrsten Sinne des Wortes Tür und Tor geöffnet hat, bis hin zu "Ainoa" und "The Shaman". Ich wage zu behaupten, es gibt wenig Orte, an denen Menschen mit soviel Liebe und Begeisterung ans kreative Werk gehen wie in Österreich. "The Shaman" ist nur dadurch möglich geworden, und deswegen haben wir den Film auch in Österreich produziert.

The Shaman

Marco Kalantari

Woher kommt deine Obsession für Science Fiction- und Fantasy-Themen, welche Kindheits- oder Jugenderlebnisse, welche Filme und Regisseure waren prägend für dich?

Ich finde jene Science Fiction spannend, die eine Projektion unserer jetzigen Leben in eine mögliche Zukunft darstellt. Eine visionäre Auseinandersetzung mit der Frage, wohin wir gelangen, wenn wir unseren momentanen Weg in dieselbe Richtung weitergehen. Ich bin fasziniert davon, Welten zu erschaffen. Diese Welten und die Figuren, die darin leben, stehen als Metapher für unser menschliches Potential, aber auch für unsere großen Unfähigkeiten.

Im Grunde bin ich Pessimist, was unsere Zukunft angeht. Doch ich konfrontiere diesen hausgemachten Pessimismus mit dem archaischen Element "Hoffnung" in meinen Geschichten, und schaue, was dabei herauskommt. Filme von Ridley Scott, James Cameron, David Fincher, Michael Mann und Francis Ford Coppola haben meine visuelle und konzeptionelle Arbeit beeinflusst.

Ich nehme jetzt mal an, mit deinen Projekten hattest du es auf der Filmakademie und bei Förderstellen nie leicht. Wann hast du dir gedacht, dass du die Sache mit Kurzfilmen in die eigene Hand nimmst?

Ich darf mich nicht beklagen. Ich habe immer Unterstützung von Förderstellen bekommen, allen voran die Stadt Wien und das Land Niederösterreich - wofür ich sehr dankbar bin, und habe auch meine eigenen Wege gefunden, um Projekte zu realisieren. Ein Kurzfilm bietet die Möglichkeit trotz relativ geringem Budgets große Bilder auf die Leinwand zu bringen und gleichzeitig das erzählerische Detail nicht aus den Augen zu verlieren. Bei "The Shaman" haben wir so ziemlich das Maximum ausgeschöpft.

Meine Philosophie war immer, dass bei einem Low-Budget-Projekt die Vorteile die Nachteile überwiegen. Man geht mit einer ungeheuren Freiheit und Unabhängigkeit ans Werk. Man muss im Gegenzug aber auch bereit sein, die komplette Verantwortung zu übernehmen. Kreativ, finanziell und menschlich.

The Shaman

Marco Kalantari

Mit "Ainoa" hast du 2004 deinen ersten Langspielfilm veröffentlicht. Wie waren die Reaktionen und wie erging es dir mit Vertriebsmöglichkeiten?

"Ainoa" war die beste Erfahrung meines Lebens. Ich habe dabei viel gelernt und auch einige Prügel bezogen. Ich war in vielerlei Hinsicht naiv, aber es war paradoxerweise auch gerade diese Naivität, die das Projekt überhaupt möglich gemacht hat.

Es hat sich gezeigt, dass man bei dieser Art von Film den Vertrieb so früh wie möglich planen und vorbereiten muss, lange bevor die erste Klappe fällt. Das haben wir bei "The Shaman" besser gemacht.

Du machst Werbespots, deren Bildgewalt ebenfalls an großes Kino erinnert. Hast du in diesem Bereich dein Handwerk dermaßen erlernt, dass du dich an "The Shaman" wagen konntest? Ist die Werbung, neben dem Einkommen, deine Experimentierzone?

Ich hatte das Glück, in Indien und China recht erfolgreich zu arbeiten und einige wirklich aufwändige Projekte zu drehen. Das ist schon ein Kraftakt und eine intensive Schule. Ich war immer stur und konsequent bei der Auswahl meiner Projekte und das hat mir im Laufe der Jahre ermöglicht, eine klare Handschrift zu entwickeln und auch zu lernen, mit komplexen Settings zurecht zu kommen.

Bildgewalt heißt nicht automatisch großes Budget, so vieles kann durch richtige Konzeption, Planung und kontrollierte Verwegenheit erreicht werden. Ich mag es schnell und effizient zu arbeiten, rasch zu entscheiden, präzise zu kommunizieren. Das habe ich auf jeden Fall durch meine Arbeit in der Werbung gelernt.

The Shaman

Marco Kalantari

Wie wichtig sind die Veränderungen im Bereich der digitalen Möglichkeiten für dich? Ermöglichen CGI-Effekte einerseits und soziale Netzwerke und Youtube andererseits erst die Art von Kino und Distribution, die du immer erträumt hast? Kommt da eine Revolution abseits der großen Studios und gigantischen Budgets auf uns zu?

Ich sehe mich eigentlich als recht konservativen Filmemacher. Ich bin - was manche überraschen wird - kein Freund von CGI-Effekten. Der Teil von "The Shaman", auf den ich am meisten stolz bin, ist die spektakuläre Konfrontation zwischen Susanne Wuest und Danny Shayler in der zweiten Hälfte des Films. Ich denke, ein guter Film sollte auf der großen Leinwand gesehen werden. Ich nutze die digitale Revolution und soziale Netzwerke wie jeder andere, um mein Publikum zu erreichen, und es ist vieles einfacher geworden. Gleichzeitig kommt damit aber auch ein stetig wachsender Berg an inhaltlichem Müll auf uns zu.

Gott sei Dank gibt es in all dem digitalen Chaos eine Konstante: Eine gute Geschichte ist immer noch eine gute Geschichte, die uns fesselt und inspiriert, weil sie uns Antworten auf die großen Fragen unserer Existenz erahnen lässt. Und eine schlechte Geschichte ist eine, die keiner hören will.

Wie stellt man so ein irres Projekt auf die Beine, mal in Kürzestfassung erzählt?

Man braucht vor allem Geduld, Respekt und Konsequenz. Und ein großartiges und hochmotiviertes Team. Filmemachen ist Teamarbeit. Wir hatten bei "The Shaman" über 100 Mitarbeiter aus elf verschiedenen Ländern, die alle mit unglaublich viel Herz und Liebe an die Sache herangegangen sind.

Ich muss als Regisseur eine klare Vision haben und in der Lage sein, meine Linie zu halten, selbst wenn es tagelang Watsch’n regnet. Wenn ich schon die Unterstützung von so vielen Menschen habe, die alle ihre Zeit und Energie für dieses Projekt opfern, dann ist es meine Verantwortung, ihnen einen außergewöhnlichen Film zurückzugeben.

The Shaman

Marco Kalantari

Nun spricht alles im Fall von "The Shaman" für einen großen Erfolg im Netz, alleine die Trailerviews sind schon enorm. Aber ist nicht für dich als Regisseur das Kino immer noch der zentrale Abspielort?

Absolut. Die Schnelligkeit und Multitasking-Qualität des Internets und auch des Fernsehens hat eine enorme Reichweite, bedeutet aber auch, dass das Publikum oft nur noch mit einem Ohr zuhört. "The Shaman" ist in der Hinsicht auch nicht unbedingt ein typischer "Internet Film", denn er entfaltet seine eigentliche Tiefe, wenn man sich ganz auf ihn einlässt. Kino ist besitzergreifend, es fordert so wie das Theater die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Es zwingt uns, für eineinhalb bis zwei Stunden unseren Alltag auszublenden und voll in die Geschichte einzutauchen. Es bietet uns dadurch ein viel intimeres emotionales Erlebnis. Kino hat auch einen entscheidenden Vorteil, es hat "Größe". Wir sagen ja gerne: "Den Film sollte man im Kino sehen." Diese Größe zu erschaffen ist eine Menge Arbeit, aber es macht mir einen Riesenspaß.

Das österreichische Genrekino erlebt mit Horrorfilmen, Alpenwestern und Thrillern in den letzten Jahren einen kleinen Boom. Glaubst du als Filmemacher davon zu profitieren? Gibt es noch ein österreichisches Element in deinen Filmen oder willst du, wie mit den englischsprachigen Schauspielern bei "The Shaman", ohnehin auf den internationalen Markt?

Ich lebe zwar schon seit vielen Jahren in Asien, aber ich bin Österreicher und das werde ich immer sein, und ich bin stolz darauf, denn alle meine Werte sind darin verwurzelt. Solange ich nicht kopiere sondern meinem Bauch folge, brauche ich mir über meine kreative Identität keine Sorgen machen. Ich bin jedoch sicherlich ein Filmemacher, dem es Spaß macht, Geschichten zu erzählen, die für Menschen auf der ganzen Welt relevant und spannend sind. Es geht ma ned ein, warum österreichisches Kino nur in Österreich funktionieren darf oder muss. Hätte ich "The Shaman" auf Deutsch statt auf Englisch gedreht, dann hätte ich trotzdem nichts anders gemacht.

The Shaman

Marco Kalantari

Welche Filme oder Serien haben dich in den letzten Jahren inspiriert?

Einer meiner Lieblingsfilme der letzten Jahre war David Finchers "Gone Girl", weil es im Grunde eine einfache Geschichte ist, ohne - sichtbare - Spezialeffekte, ohne großen Firlefanz. Meisterlich gespielt und inszeniert. Ich fand auch "Captain Philipps", "12 Years A Slave" und "Prisoners" sehr spannend.

Letzte, aber essentielle Fragen: Soll aus "The Shaman" ein Spielfilm werden? Ist der Film auch eine Art Visitenkarte für dich? Könnest du dir auch vorstellen, internationale Auftragsarbeiten oder TV-Serienfolgen in den USA zu inszenieren?

Ich habe keine Berührungsängste. Es gibt so viele gute Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. "The Shaman" war nie als pragmatischer proof-of-concept für einen Langspielfilm produziert, sondern steht als Film und als Geschichte absolut für sich selbst und ich denke, das spürt man auch, wenn man den Film sieht. Natürlich haben sich aufgrund unseres Auftritts beim Tribeca Film Festival und der enormen Resonanz des Trailers viele Türen geöffnet. Meine erzählerische Philosophie ist es immer zuerst die ganze Welt zu erschaffen in der meine Geschichte spielt. "The Shaman" hat dadurch enormes Potential bekommen.