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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

13. 11. 2015 - 15:47

Der philosophische Giftschrank

Woody Allen spürt in "Irrational Man" erneut dem perfekten Mord nach. Und begibt sich damit in eine düstere Kinotradition.

Was wäre, stelle ich jetzt mal in den Raum, wenn es keinen Gott gibt, kein Jenseits und keine Hölle, in der Sünder bestraft werden? Der nicht geringen Fraktion der Atheisten und Agnostiker wird diese Frage bestenfalls ein mildes Lächeln abringen. Was wäre aber weiters, wenn man Moral, Ethik und humanistische Werte als menschliches Regelwerk ablehnt?

Und, jetzt wird es ganz heikel, was wäre, wenn jemand auch die Rechtssprechung für sich nicht akzeptiert? Und wenn es dieser Person gelingen würde, allen irdischen Bestrafungsinstanzen zu entkommen?

Lauter Fragen aus dem Giftschrank von Philosophie und Weltliteratur, die das fragile Grundgerüst des Alltags schnell zum Einsturz bringen. Und die auch das Kino schon lange beschäftigen. Sehr frei nach Friedrich Nietzsche, Fjodor Dostojewski und dem Marquis de Sade haben Drehbuchautoren schon immer Killer erfunden, die sich genüßlich außerhalb sämtlicher gesellschaftlicher Vereinbarungen stellen. Selbststilisierte Outlaws, die den Mord als "schöne Kunst" betrachten, wie das Thomas de Quincey formulierte. Und aus reinem Vergnügen am Bösen töten.

Hannibal

NBC

Mads Mikkelsen als TV-"Hannibal"

Kino-Kannibalen und Studenten-Killer

Die James-Bond-Filme wimmeln bekanntlich vor solchen mythischen Verbrecherfiguren, das Comickino ebenso. Aber vor allem gehören die manipulativen Monstren in Menschengestalt zum Thriller- und Horrorgenre. Dr. Hannibal Lecter, ob in der legendären Verkörperung von Anthony Hopkins oder in der grandiosen TV-Variante von Mads Mikkelsen, mordet nicht aus Geldgier oder Leidenschaftsmotiven. Sondern weil er es kann. Und weil Hannibal the Cannibal weder an göttliche Instanzen noch weltliche Gesetze glaubt.

Die Kluft zwischen Realität und düsterer Fiktion könnte nicht größer sein. Im wirklichen Leben, merkt man bei der Beschäftigung mit mörderischen Fallstudien, gibt es in der gesamten Kriminalgeschichte kaum einen Dr. Lecter, keinen Joker oder Ernst Stavro Blofeld. Die Biografien berüchtigter Serienkiller, Amokläufer oder verbrecherischer Fädenzieher entpuppen sich als Minenfeld der psychischen und physischen Beschädigungen und sozialen Traumatisierungen. Der Kapitalismus in seiner pervertierten Form ist wiederum die Keinzelle des organisierten Verbrechens, aber auch Impulsgeber für unzählige monetär motivierte Gräueltaten von Einzelpersonen.

The Dark Knight

Warner

Heath Ledger als Joker in "The Dark Knight" (2008)

Nur ganz wenige Täter finden sich in der Kriminalgeschichte, die den perfekten Mord aus philosophischen Gründen begehen. Alfred Hitchcock hat so einen Fall verfilmt. „Rope“ (Cocktail für eine Leiche, 1948) folgt, scheinbar in einer einzigen langen Einstellung gedreht, dem Killerduo Leopold und Loeb, zwei Studenten, die einen jungen Kollegen im Rahmen eines Experiments ermorden. Eiskalt und ausgeklügelt. Schuld ist im Film ein Professor, der ihnen von der Überlegenheit der Elitemenschen predigt, die ihre unterlegenen Mitbürger ohne moralische Bedenken umbringen könnten.

Wenn sie sich dank ihrer Intelligenz dabei nicht erwischen lassen, doziert der von James Stewart gespielte Gelehrte, dann haben sie das "perfekte Verbrechen" begangen und sind auf dem besten Weg zum "Übermenschen" - Nietzsches so oft willentlich fehlinterpretierter Begriff wird zur pervertierten Blaupause für gelangweilte US-Collegeboys. Vom Grauen gepackt, offenbart der Professor angesichts der Leiche dem Mörderpaar, dass seine Vorträge bloß provokante Theorien waren und keinesfalls praktische Anleitungen für derartige Taten.

„Rope“ (Cocktail für eine Leiche, 1948)

Warner

„Rope“ (Cocktail für eine Leiche, 1948)

Mörderische Auswege aus bürgerlichen Fallen

Woody Allen - ein Regisseur, Schauspieler und Autor, der in Interviews immer wieder erklärt, dass er im Grunde an nichts glaubt, nur an den sicheren Tod, der uns alle eines Tages einholt – spickt seine Filme mit existentiellen Gedankenspielen, die bisweilen auch mit Mord liebäugeln. Im eiskalten „Crimes and Misdemeanors“ (Verbechen und andere Kleinigkeiten, 1989) lässt ein Zahnarzt seine Geliebte von einem Auftragskiller beseitigen, weil sie seine Ehe zu gefährden droht. Nach einer Phase der quälenden Selbstzerfleischung verdrängt der Protagonist erfolgreich seine Schuld – und das bürgerliche Leben geht weiter als ob nichts passiert wäre.

Rabenschwarz nähert sich der freundliche Misanthrop Woody Allen auch im gefeierten Beziehungsdrama „Match Point“ (2005) dem Thema. Diesmal muss Scarlett Johannsen dran glauben, die die Karrierepläne ihrer Liebhabers Jonathan Rhys Meyers empfindlich stört. Auch wenn der Zynismus des Films für mich stellenweise schwer erträgliche Züge annimmt: Woody Allen gelingt im Grunde eine stockdüstere Parabel über die Bourgousie, die für rationale Geschäftsziele irrationale Taten begeht, ohne mit der Wimper zu zucken.

Match Point

BBC Films

„Match Point“ (2005)

In Mr. Allens neuer Tragikomödie „Irrational Man“ werden nun keine Gründe mehr vorgeschoben, wenn es um den perfekten Mord geht. Joaquin Phoenix tritt als Philosophie-Professor auf, der sich wie sein Vorgänger in Hitchcocks „Rope“ am liebsten aus dem Giftschrank der Dichter und Denker bedient, aber nicht aus Koketterie. Das Leben ist tatsächlich ein schwarzes Loch für Abe Lucas, der davon träumt, seiner Krise mit einem unmenschlichen Akt zu entfliehen.

Kluge Bücher schreiben oder in afrikanischen Krisengebieten mithelfen: Nichts davon kann die innere Leere des Dozenten auffüllen, es bleibt der Alkohol und das leidliche Vergnügen an fiesen Onelinern. Würde in anderen Filmen aber sein soziales Umfeld auf den asozialen Abe Lucas mit Rückzug reagieren, scheint er in der Fantasiewelt von Woody Allen für viele Frauen anziehend zu werden. Mit jedem finsteren Satz, der auch zum Seriennihilisten Rust Cohle aus „True Detective“ passen würde, steigert sich seine Attraktivität beim anderen Geschlecht sogar. Impotenz hin, Bierbauch her.

„Irrational Man“

Warner

„Irrational Man“ (2015)

Banales Katz- und Maus-Spiel

Der „Irrational Man“ wird auf dem neuen Campus also bald von zwei unterschiedlichen Frauen verfolgt. Emma Stone verkörpert, in einer eher undankbaren Rolle, die junge naive Studentin, die dem morbiden Charme ihres Professors verfällt. Parker Posey spielt durchaus vergnüglich eine Professoren-Kollegin, die ihn unbedingt ins Bett zerren will. Beide Geliebten realisieren aber irgendwann, dass Abe Lucas seine Gespräche über den perfekten Mord ernst meint. Denn nur eine Gewalttat, glaubt der Neo-Existentialist, bringt ihn wieder dazu sich „zu spüren“.

Verspricht „Irrational Man“ Woody Allens bisher konsequenteste Auseinandersetzung mit den radikalen Fragen aus Crimes and Misdemeanors“ und „Matchpoint“, wird bald klar, dass es sich genau umgekehrt verhält. Nicht nur kann der Regisseur an die dunkle Sogkraft dieser Vorgängerwerke nicht anschließen. Sein neuer Film, der in der ersten Hälfte zumindest noch mit sarkastischen Witzen unterhält, plätschert bald nur mehr als banales Katz- und Maus-Spiel dahin.

„Irrational Man“

Warner

„Irrational Man“ (2015)

Zumindest ein Fazit lässt sich einer Figur wie der des armselig gezeichneten Freizeit-Übermenschen Abe Lucas abringen: Mythische Serienkiller-Schamanen und perfekte Kannibalen-Dinner sind von der Wirklichkeit ganz weit entfernt. Während Kunst und Fiktion mit übersteigerten Charakteren Grenzen auszuloten und Gänsehaut evozieren, erweist sich die Realität als Jammertal ganz und gar nicht perfekter Soziopathen.