Erstellt am: 12. 11. 2015 - 10:28 Uhr
Am Anfang war der Schrei
Wenn die "lustigste Frau Wiens" Stefanie Sargnagel den Wanda-Zeremonienmeister Marco Fitzthum als "Tier, Beelzebub, und Satan" tituliert, dann ist Dave Grohl der fleischgewordene Messias, der Gesalbte, der auf unsere erbärmliche Welt geschickt wurde, um mit seinem Rock Blinde zu heilen und Gehörlose wieder hören zu lassen.
Dave Grohls Haupt ziert allerdings kein Rosenkranz, er trägt noch nicht mal einen Lendenschurz. Vielmehr thront der Gesalbte auf einem eigens konstruierten Altar, der ein bisschen an einen Rollator erinnert. Der Rückenlehne entsprießen Hälse von Gitarren, anstatt des Heiligenscheines prangt ein ikonisches Foo-Fighters-Logo über dem Messianischen Kopfe. Der Grund, warum Grohl in den Klauen dieses Sessels rocken muss, ist ein trivial irdischer: es donnerte ihn im Juni während einer Show von der Bühne runter, Grohl brach sich das Bein, trägt seitdem Spezialschiene. Dann wird halt im Sitzen alles kurz und klein geholzt.
Franz Reiterer
Stadthalle statt See Genezareth
Nun beschränkt sich Grohls Arbeitsbereich an diesem lauen November-Abend auf die Wiener Stadthalle, der trübe See Genezareth weicht einer heterogenen Menschenmasse, derer 16.000 Einzelne - der 60-jährige Black-Sabbath-Fan ist ebenso gekommen wie ein per Skateboard angereister Verkehrt-herum-Kapperl-Träger. -Die ersten Gläubiger standen schon um 15:30 vor der Stadthalle. Alle wollen sie erleuchtet werden, alle bitten sie um Vergebung ihrer Sünden. Die heilige Messe beginnt pünktlich um halb 9, wie es sich geziemt. Ein in erlauchten Fachkreisen auch als "Hausmeister" bekanntes Potpourri aus Trommelwirbel, Gitarren-Feedback und knarzendem Tiefton-Brei eröffnet die Show. Und dann: der Schrei. Grohl ist da, er ist lebendig, er schreit wie am Spieß. Der Vorhang fällt, "Everlong" aus dem zweiten Evangelium nach Foo "The Colour and the Shape" eröffnet den Hit-Reigen.
Die Foo Fighters befinden sich seit eineinhalb Jahren on the road, am 19. November endet die "Sonic Highways World Tour" in Barcelona.
Zwar ist es kurzzeitig ein bisschen eigenartig, den sonst so unverletzlich wirkenden Grohl da an diesem spacigen Thron gefesselt zu sehen, die Verwunderung weicht nach der Zeit allerdings einer teils komödiantischen Begeisterung. Grohl schmeißt es hin und her, er erinnert mich an einen Opa auf der Couch, der sich beim Sonntags-Tatort ein paar Pillen seiner party-süchtigen Enkel hineinbetoniert und danach den Elektro-Schocker im Medizinschrank auf seine Funktionstüchtigkeit testet. Dem obligatorischen Schrei folgt ein hechelndes "Monkey Wrench" und man fragt sich, warum der Grohl denn so dermaßen wütend ist und dem Wiener Publikum aggressives Balzgebrüll vors Gesicht donnert. Erst mit Fortdauer des Konzertes wird klar: 1. diese Band hat erstaunlich viele Hits angesammelt über die Jahre, 2. die Foo Fighters verzichten gänzlich auf den bei ähnlich gelagerten Stadion-Kollegen Green Day, Coldplay oder The Killers so beliebten Firlefanz: es gibt kein Feuerwerk, kein Konfetti, noch nicht mal einen ejakulierenden überdimensional großen Penis, wie bei Rammstein. Die Foo Fighters konzentrieren sich aufs Rocken, Dave Grohl aufs Schreien.
Auf der Suche nach dem Zauber
Da die Foos aber ja aus Amerika kommen und Dave Grohl vom Rock-Gott auf die Erde geschickt wurde, um für unsere Sünden zu rocken, hält auch an diesem Abend eine gewisse Animationskultur Einzug. Drummer Taylor Hawkins macht den Freddie Mercury, das Publikum singt die Melodien mit, es macht Spaß. Dave Grohl schaltet sich ein, brüllt ins Mikro, er verzichtet auf Melodien, ein einfacher Schrei genügt. Seine Verehrer tun es ihm gleich und wundern sich nicht, dass vom aktuellen Album "Sonic Highways" bloß zwei Lieder über die Stadthallen-Köpfe hinwegfegen.
Es gibt zwei kurze erleuchtete Momente, an denen man das Gefühl hat, Dave Grohl wirklich nahe zu sein, an denen er Wasser in Wein verwandelt oder endlich diese verdammten Fische austeilt. Die Anonymität der proppevollen Stadthalle wird ausgeblendet, wenn Grohl "Big Me" der Tourcrew widmet oder das selten gespielte "Wheels" vorträgt, man sitzt dann mit ihm, bierkippend, an der Bar und sinniert über das Leben und die Liebe, ehe ein kräftiger Schrei die Träumerei beendet und einen "All my life" in den Gehörgang brüllt.
Franz Reiterer
Grohl fragt "Do you like Rock and Roll Music?", er hätte aber auch sagen können: "Do you love pudding and spinache?", es wär wurscht gewesen. Na klar mögen wir Rock and Roll Music, Hauptsache du segnest uns noch ein paar mal. Ich frage mich dann selber so, während "This is a call", was den Zauber dieser Band eigentlich ausmacht? Ist es tatsächlich Grohls messianische Erscheinung? Oder die, mit Verlaub, stumpfe Eindimensionalität von brachialem Gitarrengewitter? Oder doch das von Grohl vermittelte Gefühl, er wär ein Hawara von uns, einer, der am Boden blieb und das alles wirklich nur wegen der Musik durchmacht? Ich komme nicht dahinter. Aber wenn der Heiland im Lied "Walk" singt, dass er nicht sterben will, dann würde ich ihn am liebsten wie ein Teddybärchen drücken, ihm ein Snickers gegen die Schreie geben und sagen: "Dave, mach dir keine Sorgen. Am dritten Tag stehst du ja sowieso wieder auf."