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9. 11. 2015 - 16:00

Kufstein auf Durchzug

"Angstmache und Destruktivität der Politik bringt uns nichts!" Ein Lokalaugenschein im Kufsteiner Flüchtlingscamp des Roten Kreuzes.

von Philipp Landauer

Langsam rollt der Zug in Kufstein ein. Der kleine Bahnhof, der zum Grenzübergangspunkt von Österreich nach Deutschland umfunktioniert wurde, ist bereits in Sichtweite. Medien berichten gerne von chaotischen Szenen: der kleine Kufsteiner Bahnhof, der vor lauter Flüchtlingen aus allen Nähten platze, dazu Polizei und Bundesheer, die heillos überfordert seien.

Bis auf die zwei Reisenden, die hier austeigen, ist am Bahnhof allerdings niemand zu sehen. Beinahe menschenleer ist auch der Platz vor dem Bahnhof. Nur Peter Mader, der Sozialreferent des Roten Kreuzes in Tirol, steht da und erwartet mich. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Camp. Es liegt knapp hundert Meter vom Bahnhof entfernt auf einem großen Parkplatz und besteht aus einem Zelt für Asylsuchende in Österreich und einem Zelt für syrische Flüchtlinge. Mitarbeiter und Freiwillige des Roten Kreuzes und der Plattform Team Österreich arbeiten hier abwechselnd in Schichten.

Flüchtlingscamp in Kufstein

Philipp Landauer

"Wirst sehen, es is jetzt relativ ruhig", sagt Peter Mader, als wir durch ein Tor gehen, das aus Bauzäunen besteht und mit weißen Planen als Sichtschutz abgedeckt wurde. In der Mitte des Platzes wurde ein Regio Bus des Verkehrsverbunds Tirol geparkt und direkt dahinter befinden sich etwa fünfzig syrische Flüchtlinge in einem Korridor aus Absperrzäunen. "Servas, wie geht's?", begrüßt mich Mahmut am Anfang des Korridors. Er trägt eine Weste des Roten Kreuzes und ein Walkie-Talkie. Mahmut kommt aus Afghanistan, jetzt arbeitet er im Camp mit.

Auf dem Abstellgleis

Mahmut ist einer der 115 Asylsuchenden in Kufstein, die am 20. September von Salzburg hierher überstellt wurden. Eigentlich sollte er nach einer Woche einem Quartier zugewiesen werden. Doch er ist immer noch hier, wie auch die anderen Asylsuchenden, und anstatt nur herum zu sitzen, will er lieber nützlich sein: Er hilft bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge, übersetzt für die Behörden und achtet darauf, dass im Zelt der Asylsuchenden alles mit rechten Dingen zugeht. In dem Zelt sind die Feldbetten immer wieder zu Grüppchen zusammengerückt - man kennt sich mittlerweile. Am Eingang des Zelts befindet sich hinter Trennwänden die medizinische Versorgung des Roten Kreuzes und auf der anderen Seite ist die Kleiderausgabe. Alles ist schön sauber zusammengelegt und geordnet - aus Kufstein und Umgebung wurde großzügig warme Kleidung gespendet.

Kleiderspende in Kufstein

Philipp Landauer

Wo geht's hier nach Deutschland?

Mehrere Faktoren tragen zur Entstehung des offiziellen Grenzübergangspunkts Kufstein bei, denn eigentlich hätte Oberndorf in Salzburg ein weiterer Grenzübergang werden sollen. Mit den 115 Asylsuchenden, die im September hier im Zelt untergebracht wurden und kein Quartier bekommen haben, beginnt die Geschichte von Kufstein als westlichster österreichischer Grenzübergang für Flüchtlinge auf ihrer Reise nach Deutschland. Zumindest seitdem es wieder Grenzkontrollen in Europa gibt. Denn Kufstein war sozusagen immer schon ein inoffizieller Grenzübergang für Flüchtlinge - über den Brenner von Italien kommend durchquerten sie oft via Taxi Tirol, um dann bei Kufstein die Grenze zu passieren. Angesichts der Verlagerung des Flüchtlingsstroms von Italien zum Balkan hat sich auch das Augenmerk der Öffentlichkeit mehr gen Osten Österreichs gewendet.

Flüchtling in Kufstein

Philipp Landauer

Auch die Regierung hat dazu beigetragen, dass Kufstein offiziell zum Grenzübergang wird: Neben den 115 Asylsuchenden wurden immer wieder unangekündigt Busse oder Züge mit syrischen Flüchtlingen nach Kufstein geschickt. "Teilweise wissen wir gar nicht, wo diese Flüchtlinge die Grenze zu Österreich überschritten haben, sie sind einfach da und das Rote Kreuz muss sich dann darum kümmern", meint Peter Mader. Somit kam es hier zu einer Konzentration an Flüchtlingen.

Die Menschen wissen, dass sie hier nur zwei Kilometer von der deutschen Grenze entfernt sind und irgendwann hat ihre Geduld ein Ende und die Flüchtlinge wollen nicht mehr auf ein mögliches Quartier warten und ziehen bei Einbuch der Dunkelheit einfach los. Die Freiwilligen und das Rote Kreuz können sie nicht aufhalten, ihnen lediglich zur Seite stehen. Im Flüchtlingscamp sind daher Zettel angebracht - auf ihnen ist der Weg Richtung Deutschland eingezeichnet. Jede Nacht machen sich erneut Gruppen auf den Weg.

Als Konsequenz haben bayerische Behörden Anfang November einen Schlussstrich gezogen. Sie wollten sich die Kontrolle über ihre Grenze wieder zurück holen. Die Grenze bei Kufstein wurde für Flüchtlinge geschlossen, es kam zum Rückstau in Kufstein. Mittlerweile haben sich die österreichischen und deutschen Behörden jedoch darauf einigen können, 50 Personen pro Stunde über die Grenze zu lassen.

Essensausgabe

Philipp Landauer

Ein Kommen und Gehen

Seitdem wird das Zelt für syrische Flüchtlinge im Camp immer wieder aufs Neue gefüllt und wieder geleert. Rund 1.000 Menschen sind es über den Tag verteilt, die hier aus dem Osten Österreichs mit Bussen und Zügen ankommen, pro Stunde können dann 50 von ihnen die Reise nach Deutschland antreten. Sie werden mit dem Bus zum Bahnhof Kufstein gebracht, wo sie dann in einen Zug der deutschen Behörden steigen und endlich an ihr Ziel gebracht werden. "Das funktioniert jetzt einwandfrei", meint Herbert Thaler, Koordinator des Flüchtlingscamps in Kufstein. Ein Großteil der täglich ankommenden Flüchtlinge ist gegen Ende des Tages nach Deutschland überstellt worden. Immer wieder müssen aber auch Flüchtlinge für eine Nacht in Kufstein bleiben, wenn das Pensum von deutscher Seite her erreicht ist. Das Zelt der Flüchtlinge bietet 350 Menschen einen Schlafplatz. "Wenn es hart auf hart kommt, können wir auch 700 unterbringen", erklärt Herbert Thaler, "allerdings gibt es dann nur Sitzplätze." Er erhofft sich von der Politik, das den Menschen nicht antun zu müssen. Doch in Gedanken stellt er sich schon auf einen harten Winter ein.

Zelt der Asylsuchenden

Philipp Landauer

Die Realität wartet nicht

Das Camp in Kufstein wird bereits winterfest gemacht. Die versprochenen fixen Quartiere werden wohl vor dem nächsten Frühjahr nicht mehr gefunden. Im Camp sind Freiwillige und Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Team Österreich jedenfalls von der Politik enttäuscht. Man arbeitet hier nach dem Motto: was die Politik nicht zustande bringt, müssen wir durch Zusammenhalt schaffen. Peter Mader ist Stolz auf die Leistung Mitarbeiter im Camp, vor allem auf die der freiwilligen Helfer. Diese seien gleich doppelt wertvoll: sie spenden nicht nur ihre Arbeitskraft, sie dienen auch als Multiplikator. Die Freiwilligen erleben hier, wie harmlos und hilfsbedürftig die Menschen sind, die vor Tod und Terror flüchten und das wiederum tragen sie nach Außen, in ihre Familien, zu Freunden und Bekannten. "Sowas spricht sich herum", meint Peter Mader, "Angstmache und Destruktivität der Politik bringt uns nichts".

Flüchtlinge in Kufstein

Philipp Landauer