Erstellt am: 9. 11. 2015 - 19:00 Uhr
Nachhaltigkeitsdebatte um TTIP und TPP entbrannt
Am Freitag stellte EU-Kommissarin Cecilia Malmström den EU-Vorschlag für ein neues Kapitel im Freihandeslabkommen TTIP in Brüssel vor. Dies sei der "bisher überhaupt ambitionierteste Vorstoß" der EU für "nachhaltige Entwicklung" in einem Handelsabkommen, sagte Malmström. Bei Handel gehe es schließlich nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um Werte, betonte die Handelskommissarin. Zum selben Thema war tags zuvor eine Nachhaltigkeitsdebatte in den USA ausgebrochen, nachdem der Text des pazifischen Schwesterabkommens TPP veröffentlicht worden war. Der weist keinerlei Anzeichen von Nachhaltigkeit auf, im Gegenteil.
Auf insgesamt mehr als 6.000 Seiten kommt der Begriff "Klimawandel" nicht einmal vor, bezüglich internationaler Umweltabkommen fällt TPP sogar weit hinter die noch aus der Ära George W. Bush stammenden, verpflichtenden Mindesstandards von 2007 zurück. Sechs von sieben dieser auch von den USA unterzeichneten Abkommen seien in TPP nicht umgesetzt, das geht aus einer Analyse des Umweltkapitels durch die älteste Umweltorganistion der USA, den "Sierra Club", hervor.
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Public Domain
"Soll" und "Kann"
Die elfte TTIP-Runde in der letzten Oktoberwoche verlief insofern untypisch, weil es diesmal an Leaks durch die Gegner des Abkommens fehlte. Stattdessen wurde mit Malmströms Vorstoß die Position der TTIP- Befürworter geleakt.
Das von Malmström vorgestellte Nachhaltigkeitskapitel setzt diese internationalen Abkommen zum Umweltschutz in TTIP hingegen um, laut einer parteiübergreifenden Vereinbarung im US-Kongress von 2007 müssten diese Abkommen aber auch seit 2007 in jedem US-Freihandelsvertrag umgesetzt werden. In TPP ist dies jedoch nicht der Fall. Der Text zeigt vielmehr dieselbe Tendenz, die auch in den geleakten Abschnitten aus TTIP und dem Freihandelsabkommen TISA auffällig ist.
Wenn in einem solchen Abkommen Einschränkungen für den Handel angesprochen werden, dominieren "Soll"- oder gar "Kann"-Bestimmungen. Wird in Sachen Arbeits- oder Umweltschutz einmal zu eindeutigen und starken Formulierungen gegriffen, dann fehlen in der folgenden Textpassage die zur Durchsetzung nötigen Konsequenzen, mögliche Sanktionen werden - wenn überhaupt - in der Regel nur als singulär-nationalstaatliche Optionen gelistet.
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Public Domain
TPP, Japan und der Walfang
Im Abschnitt über nachhaltigen Umgang mit den Meeren verpflichten sich beide TTIP-Vertragsparteien, "die Meeresressourcen zu konservieren, zu pflegen und nachhaltig zu nutzen", wie das in den internationalen Verträgen von UNO und Welternährungsorganisation festgehalten sei, heißt es in den EU-Vorschlägen zur Nachhaltigkeit. Unter diesen im Schwesterabkommen TPP nicht umgesetzten Verträgen ist etwa die internationale Konvention zur Regulation des Walfangs, die vom TPP-Mitgliedsland Japan von Beginn systematisch umgangen wurde.
Das darin seit 1985 enthaltene Verbot des Walfangs für kommerzielle Zwecke wird dadurch umschifft, dass die japanische Walfangflotte offiziell im wissenschaftlichen Auftrag unterwegs ist. Desgleichen wird auch die Konvention zum Schutz der bedrohten Thunfische in TPP zwar angesprochen, aber nicht umgesetzt. Das zog heftige Kritik von Umweltschutzorganisationen aus den USA nach sich.
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Citizen.org
Abholzung, Meeresverschmutzung
"Anstelle einer Verpflichtung für die jeweiligen Staaten, die regionalen Fischereiabkommen zu befolgen, um illegale Fänge vom Markt fernzuhalten, fordert der Text die Unterzeichnerstaaten auf, diese Verträge 'nicht zu unterlaufen'", so die Analyse von Citizen.org. Statt eines Walfangverbots, das die USA selbst unterzeichnet hatten, entthalte der Vertrag "eine unverbindliche Liste von Maßnahmen, die zum langfristigen Schutz von Walen und Haien gesetzt werden sollten, heißt es weiter.
In all diesen Fällen schreibt TPP ganz einfach vor, dass die bestehenden, nationalen Regeln beibehalten werden müssten, also nicht weiter verschlechtert werden dürften. Bei einer Steigerung des Handelsvolumens etwa mit Mexiko, das laut US-Kongress systematisch gegen den MARPOL-Vertrag zur Reinhaltung der Meere verstößt, werde bei einem solchen, unveränderten Status auch das Ausmaß der Verschmutzung steigern, warnt der Sierra Club. In Peru wiederum, wo nach Erkenntnissen der Regierung 78 Prozent der exportierten Tropenhölzer illegal gerodet werden, werde das Ausmaß der Abholzung tropischen Regenwaldes weiter steigen, konstatiert Citizen.org.
Österreichs Lebensmittelbranche gegen TTIP
Aktuell dazu in ORF.at
Heimische Lebensmittelbranche warnt vor TTIP.
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spar.at
Parallel zur Veröffentlichung des Nachhaltigkeitskapitels durch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström gingen die großen österreichischen Lebensmittelhändler mit äußerst kritischen Stellungnahmen zum selben Thema an die Öffentlichkeit. Wie ORF.at am Freitag berichtete, forderte Spar-Direktor Gerhard Drexel, den Agrar- und Lebensmittelsektor vollständig aus TTIP herauszunehmen. Obst aus den USA, das mit giftigen, in der EU verbotenen Pestiziden wie Diphenylamin behandelt sei, könnte durch TTIP nämlich ganz einfach auf den europäischen Lebensmittelmarkt gelangen. Mit Alfred Berger, dem Chef des niederösterreichischen Molkereiverbands und Bernhard Ölz, Direktor des gleichnamigen Backwarenkonzerns, meldeten sich zwei weitere Größen aus der Lebensmittelbranche zu Wort. Beide warnten vor einer Überschwemmung des kleinen österreichischen Markts mit Milch- und Getreideprodukten, die mit gentechnischen Maßnahmen verändert wurden und einer generellen Abwärtsspirale bei der Lebensmittelqualität.
"Lex Chlorhuhn" und Antibiotika-Resistenz
Das neue TTIP-Kapitel zur Nachhaltigkeit und die EU-Vorschläge zur Bekämpfung von Resistenzen gegen Antibiotika im Volltext.
Das allgemeine Regelwerk zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen im neuen EU-Entwurf enthält auch ein konkretes Vorhaben, das von der Öffentlichkeit bis jetzt unbeachtet blieb. Der ebenfalls am Freitag präsentierte EU-Maßnahmenkatalog gegen die steigende Resistenz von immer mehr Erregern gegen Antibiotika ist nichts anderes als eine "Lex Chlorhuhn". Ein Schlüsselfaktor für die Zunahme ist der zunehmende Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung von Rindern, Schweinen und vor allem von Geflügel. Tierzucht solle so gestaltet sein, dass keine Gesundheitsgefährdung entsteht, heißt es im EU-Vorschlag: "Wir müssen den Routineeinsatz von Antibiotika beenden, der dazu dient, schlechte Tierhaltung zu kaschieren."
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Public Domain
Laut OECD sterben pro Jahr in den USA wie in Europa rund 25.000 Menschen an den direkten Folgen von Antibiotika-Resistenzen. Dennoch ist es äußerst fraglich, ob sich die USA auf dieses Nachhaltigkeitskapitel einlassen, da sich Maßnahmen gegen den Einsatz von Antibiotika direkt auf die Fleischproduktion in den USA auswirken würden. Dort dominiert weitgehend ungeregelte Massentierhaltung unter Einsatz von Antibiotika und Wachstumshormonen, während artgerechte Tierzucht absolut selten ist. Das ist kein Wunder, weil etwa die Kälbermast unter Einsatz von Hormonen und Antibiotika laut Drexel doppelt so profitabel ist. Die strengen und in den letzten Jahren mehrfach verschärften Vorschriften Österreichs und anderer EU-Staaten bei der Tierhaltung werden jedoch dazu führen, dass heimische Produzenten angesichts der halb so teuren Fleischimporte aus den USA ihre bisherigen Marktanteile verlieren werden.
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Public Domain
Ausblick auf TTIP-Runde 12
Dass Malmström einen Tag nach der Veröffentlichung des TPP-Abkommens mit solchen Vorschlägen an die Öffentlichkeit ging und die Großen aus Lebensmittelbranche sich hierzulande parallel dazu so eindeutig über das Abkommen äußerten, lässt annehmen, dass es in der elften TTIP-Runde Ende Oktober auch inhaltlich ausführlicher um dieses Thema ging, als die EU-Zusammenfassung verrät. Für die zwölfte TTIP-Verhandlungsrunde in der zweiten Jännerwoche 2016 darf man daher mehr zu diesem Thema zu erwarten. Aufgrund der himmelhohen Unterschiede in den Ansätzen beiderseits des Atlantiks besteht hier das weitaus größte Konfliktpotential.