Erstellt am: 8. 11. 2015 - 17:17 Uhr
"Ich interessiere mich für die Welt"
Jakob Brossmann entwirft Bühnenbilder für Theater- und Opernproduktionen, im Jahr 2010 hat er die Proteste an den Universitäten mit der Kamera begleitet, daraus ist der Dokumentarfilm "#unibrennt - Bildungsprotest 2.0" entstanden, er entwickelt Figurentheater und seit 2011 hat er sich mit der Mittelmeerinsel Lampedusa beschäftigt.
"Lampedusa im Winter" läuft seit Freitag im Kino.
Auf die Frage, warum er Filme macht, sagt Brossmann, er interessiere sich für die Welt. Und er halte insbesondere den Dokumentarfilm für einen wunderbaren Weg, sich selbst mit der Welt zu konfrontieren. Dabei hofft er, dass er das, was er bei diesen Konfrontationen entdeckt, mit Menschen teilen kann, die die Welt verändern wollen. Von dieser positiven, im wahren und besten Wortsinn gutmenschlichen Haltung ist sein Dokumentarfilm "Lampedusa im Winter" durchdrungen. Die Erzählung von einer Insel, die am Rande Europas mit alltäglichen Herausforderungen wie wohin eigentlich mit dem Müll? genauso kämpft wie mit der innereuropäischen Ideenlosigkeit in Bezug auf die ankommenden Flüchtlinge, hatte bei der Viennale Premiere und hat dort den Wiener Filmpreis gewonnen.
Viennale / Alexander Tuma
Im Abspann deines Films heißt es: "We highly recommend a trip to Lampedusa. The best time is between April and November". Du warst im Winter dort, also zu einer Zeit, in der das Wetter sehr schlecht ist und daher auch nicht so viele Flüchtlinge dort ankommen. Weshalb hast du dich für den Winter entschieden?
Jakob Brossmann: Im Winter fallen viele Druckfaktoren für die Bevölkerung von Lampedusa weg. Dafür werden andere Faktoren, die im Sommer unter der schönen Fassade des Tourisumus versteckt werden, im Winter viel deutlicher sichtbar: etwa die Abgeschiedenheit der Insel und der desolate Zustand, in den man die Insel auch von staatlicher Seite hineingezwungen hat. Lampedusa wird ganz gern vergessen, wenn nicht gerade die Flüchtlingskrise die Bilder über die Schirme speist.
Geografisch ist die Insel ja nicht so abgeschieden, es ist von Trapani mit der Fähre nicht so weit nach Lampedusa. Die Isolierung ist eher politischer Natur, habe ich den Eindruck.
Jakob Brossmann: Mit der alten, klapprigen Fähre, die man Lampedusa zugeteilt hat, sind es doch 10 Stunden Bootsfahrt und die sind im rauen Wintermeer gar nicht immer möglich. Aber es ist eine politische Entscheidung. Würde man im Zentrum sagen, wir wollen das Leben an der Peripherie genauso gut ausstatten, wie wir es hier im Zentrum machen, dann wäre das für die Lampedusani völlig anders. Aber der Wille dazu ist nicht da.
Viennale
Wie lange hast du recherchiert, bevor du gedreht hast?
Jakob Brossmann: Ich hab 2011 aufgrund der ersten Eindrücke, die der arabische Frühling von der Insel in die Medien gebracht hat, begonnen, mich für Lampedusa zu interessieren. Der arabische Frühling hat diese dramatischen Bilder bekannt gemacht und diesem Namen Lampedusa zu einer ominösen Berühmtheit verholfen. Und ich hab mich gefragt, was ist abseits dieser Fernsehbilder, wer steht da hinter dem Kameramann, wenn der dreht? Da hab ich angefangen zu recherchieren und festgestellt, es ist absurd, da ist eine Insel, über die weiß man nicht mehr, als dass es sie gibt und dass da viele Menschen ankommen. Wie geht die Bevölkerung damit um? Wenn man diese Bilder gesehen hat, hat man die Vorstellung, dass das Leben dort völlig zum Erliegen gekommen sein muss und dass es da um nichts anderes geht als um diese Flüchtlinge. Und dann findet man heraus, dass der Ort, der am allermeisten von Flucht und Migration betroffen ist, ein ganz normales Leben hat. Da leben 5.000 Leute, die gehen am Freitagabend genauso aus und trinken und feiern und die Kinder lernen Fußball spielen und am Sonntag gehen die alten Frauen in die Kirche und die alten Männer nicht. Das normale Leben dort ist nicht bedroht von den Tausenden Flüchtlingen, die ankommen, sondern es ist bedroht von europäischen Entscheidungen, die irgendwo weit weg in irgendwelchen Büros getroffen werden. Darüber, ob man das Lager auf Lampedusa umwandelt, darüber, ob man die Flüchtlinge von Lampedusa aus abschieben möchte oder nach wie vielen Stunden man sie weiterverlegt oder ob man Lampedusa eine Fähre gibt, die regelmäßig und auch verlässlich das Trinkwasser und auch die Gasflaschen auf die Insel liefert.
Die Bewohnerinnen und Bewohner von Lampedusa, das sagt auch eine Protagonistin im Film, werden zu ProtagonistInnen der Flüchtlingsthematik. Die Insel ist nicht sehr groß und jeder, der dort wohnt, ist gezwungen, sich in irgendeiner Form mit dieser Thematik, wenn sie auch gar keine Problematik sein muss, auseinander zu setzen.
Jakob Brossmann: Die Thematik ist für Lampedusa mittlerweile identitätsstiftend, es ist ein wesentlicher Teil von dem, was es bedeutet, Lampedusani zu sein. Das bedeutet, in wiederkehrenden Abständen mit wirklich dramatischen Ereignissen konfrontiert und eigentlich machtlos zu sein. Immer wieder wird es notwendig, das Versagen der Institutionen und des Staates abzufedern, so wie das jetzt auch in Österreich an der Tagesordnung ist, dass Privatpersonen auf den Bahnhöfen Menschen versorgen, die eigentlich von unserem Staat versorgt werden müssten, so ist das auf Lampedusa auch. Und trotzdem haben die Lampedusani das jetzt seit 20 Jahren, mit den immer wiederkehrenden Enttäuschungen, nämlich, wer sagt eigentlich Danke, außer den Flüchtlingen? Auch mit den schönen Begegnungen und den Freundschaften, die entstehen, die immer wieder zerbrechen müssen, weil die Lampedusani auf Lampedusa bleiben und die Flüchtlinge möglicherweise abgeschoben werden. Und die Lampedusani bekommen Botschaften des Schreckens der Welt jeden Tag in ihren Lebensraum und sie können eigentlich nicht wegschauen. Trotzdem gibt es viele, die den Mut nicht aufgeben und sich ihrer eigenen Hilflosigkeit entgegenstellen. Die Bürgermeisterin, die nicht einmal das Lager auf Lampedusa betreten darf, sagt im Film zu den Flüchtlingen, ich kann nichts gegen die falschen Gesetze tun, die wir in Europa haben, aber ich möchte, dass ihr ein Dach über dem Kopf habt, dass ihr eine warme Mahlzeit habt und ich möchte, dass ihr Lampedusa als eine Insel in Erinnerung habt, die euch das Leben gerettet hat und nicht als die Insel, die euch hat leiden lassen.
Viennale
In diesem Winter auf Lampedusa - tatsächlich hast du zwei Winter gedreht - geht die Fähre, die Lampedusa mit dem Festland verbindet, in Flammen auf und es wir keine akzeptable Fähre nachgeschickt, es kommt zu einem Streik der Fischer und es passieren Dinge, von denen man den Eindruck hat, sie könnten inszeniert sein, so wie in einem Spielfilm, der eine Realität verdichtet, um eine Problematik in ihrer Gesamtheit darzustellen. Ist das der Alltag auf Lampedusa? Wie viel davon ist inszeniert, um etwas zu verstärken?
Jakob Brossmann: Inszeniert ist nichts. Das ist ein schönes Kompliment, dass der Film den Sog erzeugen kann, den ein Spielfilm hoffentlich manchmal erzeugt. Lampedusa ist abseits der ganzen Flüchtlingsfrage ein Ort des permanenten Notstands. An einer Stelle zählt die Bürgermeisterin das auf. Es gibt den Notstand des Wassers, den Notstand des Mülls, den Notstand der Schule, den Notstand des Transports und zu all dem kommt dann noch die Herausforderung, sich diesen Fragen zu stellen, die die Flüchtlinge mitbringen. Und natürlich verdichtet so ein Film Eindrücke, die man über eine längere Zeit sammelt. Dabei war mir aber auch ganz wichtig, dass es nicht um die Suche nach spektakulären Bildern geht und dass es nicht immer um die Flüchtlinge geht, weil ich glaube, dass das für uns Europäerinnen und Europäer ganz wichtig ist, zu sehen, dass die Bedrohung unserer Lebensrealität nicht von außen kommt, sondern von unserem europäischen Umgang miteinander, also von innen. Lampedusa ist nicht bedroht von den Flüchtlingen, die ankommen, sondern die lampedusanische Realität dreht sich viel mehr darum, wie gehen wir auf der Insel damit um, dass es denen am Festland eigentlich scheißegal ist, wie's uns geht, dass die uns immer die schlechteste Fähre schicken, dass die uns nicht genug Geld schicken, um unsere Schule zu renovieren, dass die uns kein ordentliches Krankenhaus ermöglichen. Und ich finde, das hat fast etwas Tröstliches, dass es dort etwas gibt, dass wir beeinflussen können als Demokratinnen und Demokraten.
Dein Film ist einer der wenigen, die sich mit der Flüchtlingsthematik aus Sicht der Bevölkerung, zu denen Flüchtlinge kommen, beschäftigt. Du porträtierst in erster Linie diejenigen, die der Thematik gegenüber positiv gestimmt sind oder eine Gleichgültigkeit haben. Wie ist grundsätzlich die Stimmung?
Jakob Brossmann: Ist doch fast traurig, dass man als ÖsterreicherIn die Grundannahme hat, dass dort, wo Flüchtlinge auftauchen, automatisch Xenophobie und Rassismus entstehen. Wer sagt denn, dass das ein naturgegebenes Gesetz ist? Es ist traurig, dass wir das so erwarten, weil man uns das eingebläut hat.
Ich finde, man erlebt es hier täglich, man sieht es täglich.
Jakob Brossmann: Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, dass man Flüchtlinge und Probleme miteinander assoziiert, und das ist aber nicht natürlich, sondern das ist gemacht und gewollt, ist mein Eindruck.
Ja, es ist immer von der Flüchtlingskrise und der Flüchtlingsproblematik die Rede, es findet schon in der Wortwahl der Berichterstattung eine Wertung statt. Aber das ist nicht nur in Österreich so.
Jakob Brossmann: Ja, das ist in ganz Europa so eine selbst erfüllende Prophezeiung des rechten Boulevards, Flüchtling ist gleich Problem. und natürlich gibt es auf Lampedusa Arschlöcher, die gibt es überall, aber die mehrheitliche Stimmung, und das hat mich überrascht, ist eine, die die Hilfe in den Vordergrund stellt, die versteht, dass niemand gerne und freiwillig die Überfahrt macht, sondern dass da eine tiefe Verzweiflung und eine große Not dahinter steht und dass das Menschen sind, Schiffbrüchige, denen man als MeeresbewohnerIn helfen muss, weil auch ein uralter Ethos dazu auffordert und weil es menschlich einfach das ist, was an der Reihe ist.
Inwiefern hat für dich die Recherche, die Beschäftigung und der Aufenthalt in Lampedusa persönlich den Blick auf die Ankunft der Flüchtlinge, die wir jetzt hier erleben, verändert?
Jakob Brossmann: Es hat mir viele Dinge und Fragen, die man gerne von sich wegdrückt, stark vergegenwärtigt, insbesondere auch meinen Blick auf Europa. Wir leben in dieser Blase, in der auch ein unglaublicher Druck herrscht, die wir als selbstverständlich wahrnehmen. Der Blick von Lampedusa aus hat mir gezeigt, dass wir eine andere Form des Zusammenhalts mit dem Rest der Welt beginnen müssen zu denken. Wir haben kaum einen Eindruck davon, was draußen in der Welt wirklich los ist und wie sehr unser Reichtum und unser Lebenswandel und das, was wir für erstrebenswert halten, eine Last ist für die Welt, und gleichzeitig haben wir kaum eine Idee, was die Möglichkeiten von unserem Europa eigentlich wären. Wenn wir uns damit befassen, hätten wir die Möglichkeiten, für sehr, sehr viele Menschen ein sehr viel besseres und glücklichers Leben zu ermöglichen, und ich glaube, dass das auch uns selbst helfen würde. Es würde unser eigenes Leben lebenswerter und glücklicher machen.