Erstellt am: 8. 11. 2015 - 14:44 Uhr
Das Wochenende am Ahoi Pop Festival
Die schlechte Nachricht zuerst: Weil sie mittlerweile die Editors und The Cure supporten dürfen, mussten The Twilight Sad ihr Ahoi-Pop-Konzert absagen. Das ist besonders schade für alle, die die Schotten schon im Jänner im B72 in Wien erleben durften. Die wissen nämlich, dass das eines der besten Konzerte des Jahres war. Weitere Absagen gibt es auch von Jaws und Champs. Die Stimmung am Linzer Hafen lässt sich davon aber nicht runterziehen: Gut gelaunt macht sich das Ahoi-Pop-Publikum auf ins Wochenende, auf eine letzte Schifffahrt von der Introversion zur Euphorie.
Christoph Thorwartl
Den Freitag läuten She Drew the Gun, der derzeitige Tour-Support des Headliners Fink, besonders bezaubernd ein. Wie Schattentheater präsentiert sich die Band auf der Bühne und rezensiert seine Songs als Gedichte im Farbnebel der Bühnenlichtshow. Dass da Bright-Eyes-Lyrics hinter der Gruppe auf die Leinwand projiziert werden, ist auch kein Zufall.
Christoph Thorwartl
Bei Friska Viljor geht’s da schon lauter, ekstatischer und vor allem positiver zu. Die Schweden sind heute die People's Champions, die Halle ist komplett voll, Fans haben Konfetti und Luftschlangen mitgebracht. Das Publikum weiß, was es erwarten darf, die Band liefert genau das ab. Mit beeindruckend tightem Sound präsentieren sich die Richard-D.-James-Lookalikes als kraftvolle Rock'n'Roll-Kombo und erinnern dabei an die frühen Mando Diao – und wie bei denen reicht oft ein einfaches "La la la" aus, um die Menge zum Jubeln zu bringen.
Christoph Thorwartl
Fink lässt den Blues und den Pop in die Herzen. Die Songs der Platte "Hard Believer" klingen größer als die Bühnen, auf denen sie gespielt werden.
Als Fink die Bühne betritt, wird es wieder dunkler und atmosphärischer. Zum Abschluss des Abends lädt uns der Brite ein, mit ihm gemeinsam durch die Nacht zu fallen. Sein Sound schleicht sich leise und kalt an, simple Gitarren, minimalistische Drums, bevor er sich in einem Reverb- und Echo-Nebel auflöst. In der Halle ist es komplett still, am Ende jedes Tracks bricht das Publikum aber in Begeisterungsstürme aus. Fink erzählt uns von seiner Vergangenheit, von seiner mehrmaligen persönlichen Neuerfindung, die auch in seiner Musik zu hören ist. In Linz war er auch schon, damals als DJ, und nennt das Publikum "Linzianer". Die finden das cool. Vor der Türe wird dann noch heftig diskutiert: War das Konzert zu kurz, zu lang, war's wie erwartet? Alle Menschen, mit denen ich spreche, teilen mir mit, heute nur wegen Fink gekommen zu sein. Dementsprechend zufrieden sind sie dann auch. Zu Recht.
Christoph Thorwartl
Schnipo Schranke sehen das schöne Linz mit ähnlich naiver Faszination wie ich – und verbringen den Samstagnachmittag damit, die Haribo-Fabrik zu besuchen. Der Shop dort hat aber leider zu, wie ich später erfahre. Live erinnern die Hamburger dann doch an die Dresden Dolls, mit Drums und Piano und ein bisschen Microkorg. Schnipo Schranke versteht man oder nicht. Die Leute in Linz sind heute von Anfang an auf ihrer Seite. Das Make-Up im Gesicht ist verschmiert, die "Pisse"-Halskette leuchtet im Bühnenlicht und die Schnipos schaffen es mit ihrer Dekonstruktion von Pop letzten Endes doch auch richtig authentisch zu wirken.
Christoph Thorwartl
Tatsächlich ist es während dem Konzert der beiden gefühlt voller in der Halle, als während dem ersten quasi Headliner British Sea Power. Dass die große Naturfreunde sind, ist weitgehend bekannt, die Bühne heute darf auch darauf hinweisen und ist dekoriert mit allerlei Buschwerk. Die Band selbst robbt kampfbereit daraus hervor, die Gitarren wie Gewehre haltend und präsentiert routiniert ihren genreübergreifenden Sound. Das klingt einmal wie Coldplay-Stadion-Rock, ein anderes Mal wie Nick Caves Birthday-Party-Post-Punk. "Thanks for coming to the show, we don't play in Linz much", wird dem Publikum mitgeteilt. Irgendwann tanzt jemand im Grizzly-Bär-Kostüm in der Menge, es wird ordentlich einander mit Bierbechern zugeprostet und zum Abschluss wirft Yan Scott Wilkinson noch seine Gitarre in die Luft.
Christoph Thorwartl
Bis wir zusammen sind, bis wir...
Die großen 10 Tocotronic-Lieder über die Liebe
Bei Tocotronic geht’s dann natürlich um die Liebe und um die Tatsache, wie konsistent gut der Output der Band immer noch ist. Songs vom roten Album sind reichlich in der Setlist vorhanden, vor allem "Zucker" kann aufgrund seiner beeindruckenden Lichtshow überzeugen. "Das nächste Lied ist nicht nur ein Lied über die Liebe, sondern auch über den Alkoholismus", sagt Dirk vor "Du bist ganz schön bedient". Das Publikum jubelt. "Ah, da gibt's in Linz anscheinend Identifikationspotenzial". "Die ganze Menschheit geht daran zugrunde. Zugrunde an der Gemütlichkeit", singt Dirk während "Samstag ist Selbstmord". Das Publikum geht auch gerade ein bisschen an seiner eigenen Gemütlichkeit zugrunde.
Ahoi Pop Festival
Die Zusammenfassung von Mittwoch und Donnerstag gibt's hier zu lesen.
Letzten Endes liefern die Tocos dann eine Best-of-Show, "Explosion" fehlt da aber leider, genauso wie "Hi Freaks". Dafür wirft Dirk wie British Sea Power vor ihm auch seine Gitarre in die Luft. Die fliegt aber nicht ganz so hoch wie bei den Briten. Zugaben gibt’s zwei Stück, mit "Kapitulation" als letzte Nummer, einen dritten Encore gibt es heute nicht. Aber das passt schon, das Publikum hat kapituliert. Und geht zufrieden hinaus in den Nebel. Wir sehen uns dann beim nächsten Ahoi Pop dort wieder, im schönen Linz, mit seinen charmanten Bewohnern. Schiff Ahoi!