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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 11. 2015 - 15:57

Flüchtlinge in Tempelhof

Auf der Suche nach Freiflächen für Unterkünfte hat der Berliner Senat nun das Flugfeld Tempelhof im Visier. Im Gebäude sind dort bereits einige Hangars mit Zelten ausgestattet. Doch was ist mit dem Flugfeld?

Auch diese Woche ist in Berlin die sogenannte "Flüchtlingskrise" das große Thema. Wobei diese "Flüchtlingskrise" - nicht nur in Berlin - eher eine Krise der Institutionen und der Verwaltung ist. Aber Worte machen Politik. So würde man wohl kaum die Tatsache, dass Kindergartenplätze fehlen, mit dem Schlagwort "Kleinkinderkrise" umschreiben – denn Eltern haben ja ein Recht auf Kinderbetreuung. Das Recht auf Asyl ist allerdings auch gesetzlich festgeschrieben.

"Berlin ist am Limit!", heißt es hier in diesen Tagen. Etwa 50.000 Geflüchtete sollen in der Stadt sein, aber im Stadtbild bemerkt man sie, zumindest in den Bezirken mit hohem Migrantenanteil und internationaler Bevölkerung, kaum. Wer nicht gerade beruflich mit ihnen zu tun hat, sich ehrenamtlich oder politisch engagiert oder Deutschunterricht gibt, der wird in Berlin kaum mit geflüchteten Menschen zusammen kommen. Die "Flüchtlingskrise" hat keinerlei Auswirkungen auf den Berliner Alltag und bringt den Einwohnern keinerlei Nachteile. Aber es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die Stadt verändern wird.

Tempelhof

Auf der Suche nach Freiflächen für Unterkünfte hat der Berliner Senat nun das Flugfeld Tempelhof im Visier. Im Flughafengebäude sind bereits die Hangars 1, 2 und 3 mit Zelten ausgestattet, dort sind schon mehrere tausend Flüchtlinge untergekommen. Nun geht es um das über 300 Hektar große, unbebaute Flugfeld. Das Gelände des Flughafen Tempelhofs spielte stets eine große Rolle in der deutschen Militär- und Luftfahrtgeschichte, auch in der deutschen Fußballgeschichte. Das ab 1936 entstandene Flughafengebäude war nach seiner Fertigstellung für zwei Jahre das flächengrößte Gebäude der Welt, und die Gesamtlänge des bogenförmigen Teils des Gebäudes ist mit 1,2 Kilometern auch heute noch eines der längsten Gebäude Europas. Die alten BerlinerInnen verbinden mit dem Flughafen Tempelhof auch noch die Zeiten der Berliner Luftbrücke, als die Stadt über Tempelhof von den Alliierten aus der Luft versorgt wurde.

Tempelhof Berlin, Rollfeld

danielfoster437 / flickr / CC BY-SA 2.0

Und so ist es doch mehr als eine Ironie der Geschichte, wenn der Flughafen Tempelhof mit seiner berühmten, auch zwischendurch unguten, wechselhaften Geschichte zum größten Flüchtlingslager Berlins umfunktioniert wird. Beim Einzug der Geflüchteten in die Hangars gab es, wie immer, zuerst Bedenken. Denn eigentlich wollte Zalando die Bread & Butter Modemesse im Januar 2016 dort abhalten. Zalando begrüßte die Unterbringung der Geflüchteten, befand jedoch eine Fashion Show neben Notunterkünften pietätlos und will stattdessen im Januar dort ein Charity Event für Refugees organisieren.

Eine weitere "Notmaßnahme zur Bewältigung der Flüchtlingskrise" des Senats stößt allerdings auf Kritik. Denn nun soll auch das Tempelhofer Feld temporär mit Traglufthallen bebaut werden. Ursprünglich waren auf dem einstigen Flughafengelände 1.500 Wohnungen, ein Bildungscampus und die Zentral- und Landesbibliothek geplant, bis der Volksentscheid von 2014 diesen Plänen ein Ende bereitete.

Flüchtlingszelte in einem Hangar in Berlin Tempelhof.

Reuters

Auf den ersten Blick spricht überhaupt nichts dagegen, auf einem 200 Meter breiten Streifen dort Traglufthallen aufzubauen, die im Gegensatz zu Zelten immerhin beheizt werden können. Und ist es nicht besser, die Geflüchteten in Traglufthallen unterzubringen, als immer mehr Sporthallen zu Unterkünften umzufunktionieren?

Doch auch für die Errichtung temporärer Hallen müsste das Tempelhof-Gesetz geändert werden, und das lehnen Grüne, Linke und Piraten im Abgeordnetenhaus ab. Die Traglufthallen könnte man schließlich auch auf dem betonierten Platz vor dem Flughafen errichten. Zudem dürfe die Flüchtlingsunterbringung nicht gegen den Volksentscheid ausgespielt werden. Tatsächlich engagieren sich auch viele "100% Tempelhof"-Aktivisten in der Flüchtlingshilfe.

Flüchtlingsbetreuung in einem Hangar in Berlin Tempelhof.

Reuters

Ohne Zweifel gibt es in Berlin sehr viele leerstehende Gebäude, die sowieso geheizt und gewartet werden. Am Alexanderplatz steht ein Hochhaus, das ehemalige "Haus der Statistik", leer, und in ganz Berlin sind eineinhalb Millionen Quadratmeter Bürofläche nicht vermietet.

Auf lange Sicht werden sich aber auch die BerlinerInnen überlegen müssen, was wichtiger ist: ein riesiges, freies Feld mitten in der Stadt oder billige Wohnungen für die vielen Neuankömmlinge, Studenten und Haushalte mit kleinem Einkommen? Und wäre es nicht eine schöne Utopie, dass neben den Geflüchteten auch die BerlinerInnen, die jetzt durch teure Mieten aus ihren Kiezen vertrieben werden, neue, erschwingliche Wohnungen an diesem begehrten grünen Ort mitten in der Stadt finden könnten?