Erstellt am: 19. 11. 2015 - 18:08 Uhr
Die wunderbare, alte Leier des Richard Yates
Das Wiederaufleben, Wiederentdecken von Richard Yates, das um 2000 einsetzt, wird das herannahende Ende der deutschen Neuerscheinungen hoffentlich nicht beschneiden. Nach einem mitreißenden Plädoyer Stewart O´Nans für seinen 1992 verstorbenen, scheinbar der Vergessenheit preisgegebenen Kollegen, schwappt die Yates Welle auch zu uns herüber. 2002 wird "Zeiten des Aufruhrs" (das in den 70ern nur in der DDR als "Das Jahr der leeren Träume" erschien) auf Deutsch aufgelegt, es folgen "Elf Arten der Einsamkeit" und stetig der Rest des Yatesschen Gesamtwerks.
Jerry Bauer
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Nächstes Jahr im November wird die DVA noch den Erzählband "Eine letzte Liebschaft" (sic!) herausbringen. "Cold Spring Harbor" (aus 1986) ist der letzte, vollendete Roman, der noch unübersetzt war und nun vorliegt.
Eröffnung
Achteinhalb Seiten braucht Richard Yates, um das Setting klar zu machen.
Charles Shepard ist ein gescheiteter Militärbediensteter. Zuerst verpasst er den Krieg, dann die Beförderung und als die sich schließlich doch noch einstellt, ist er gezwungen den Dienst zu quittieren. Seine Frau Grace hat wiederholte Nervenzusammenbrüche erlitten - und zwar aufgrund des Militärlebens. Die schicksalhafte Katze beißt sich in den (Hirten-)Schwanz.
Der Gedanke, irgendwo ganz neu anzufangen, wird verworfen. Die Familie lässt sich, auch weil sie einfach immer schon hier war, auf Long Island nieder. Am Rand des titelgebenden Städtchens "Cold Spring Harbor". Einziger Lichtblick: Der bis dato rüpelhafte Sohn Evan wird mit 17 zum Auto- und Mechanik-Aficionado, gutaussehend und scheinbar seine Probleme los. Es ist 1935.
Trug
Die Yateschen Lieblingsthemen sind alle da. In einem scheinbar endlosen, biografisch geprägten Zirkeltraining durchlaufen sie seine ProtagonistInnen: verdorbene Chancen, verpasste Gelegenheiten, Zusammenbrüche. Dazu reicht Meisterschreiber Yates jede Menge Alkohol, allzu hochtrabende Träume, falsche Hoffnungen (vor allem auch künstlerischer Art) sowie ziemlich angeschlagene bis psychotische Mutter- und Vaterfiguren.
DVA
Richard Yates' "Cold Spring Harbor" ist am 9. November in der Übersetzung von Thomas Gunkel bei der DVA erschienen.
Präzise und schnell wie in einer Short Story - die Yates ebenso wie die Langform beherrscht - ist alles abgesteckt. Und wieder bleibt die Frage, warum zu Lebzeiten lediglich seinem Debüt "Revolutionary Road" so etwas wie Erfolg beschieden war.
Der Lichtblick bei den Shepards währt - erwartbarerweise - nur kurz. Evan wird seine erste Liebe heiraten müssen, weil etwas Kleines unterwegs ist. Genauso schnell ist man und frau wieder geschieden und Ehefrau Nummer zwei wartet quasi schon ums Eck.
Abwärtsspirale
Als der immer schlechter sehende Vater Shepard seinen Sohn bittet, ihn in eine Augenklinik zu bringen, auch um die gemeinsame Fahrt für ein Gespräch zu nutzen, erleiden die beiden eine Autopanne. So lernt man Familie Drake kennen. Die Mutter eine klassische Yates-Figur, realitätsfern, alkohollustig, der Sohn ein Schulgespött. Tochter Rachel so weit ansprechend, dass sie Evans nächste Gattin wird und damit dem, gerade noch im Auto diskutierten, Collegestudium endgültig den Garaus macht.
Es folgen: ein weiteres Kind, Evans militärische Untauglichkeit plus ein fataler Zusammenzug.
Richard Yates' Biograf Rainer Moritz zählt "Cold Spring Harbor" zu den besten Werken des Autors, über die er außerdem schrieb: "doch auch schwächere Yates-Bücher sind besser als die meisten Nicht-Yates-Bücher."
Beidem stimme ich vorbehaltlos zu.