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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 11. 2015 - 14:04

The daily Blumenau. Friday Edition, 06-11-15.

Opfer, Mitläufer, Täter. Und deren Benennung. Mit seitlichem Montags-Nachwort.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Siehe dazu auch: Wednesday Edition, 07-10-15: Der ewige Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Rechts

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Der Anlass, mir dieses völlig fremde Facebook-Profil genauer anzusehen, war ein betrüblich-widerlicher. Der Typ, der einer Journalistin, die seine Weltsicht nicht teilt, sublim mit sexuellen Gewaltfantasien droht, lud aber dazu ein. Ich habe dann nach in solchen Profilen durchaus auffindbaren Zeichen eines Kippens gesucht. Dieses Kippen von einem (vielleicht eh nur scheinbar) normalen Charakter in einen wütend-geifernden Extremisten.

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Im konkreten Fall lag der Übergang ganz offen da: Die vielen Bilder von diversen Medieval-Festivals sprachen eine deutliche Sprache. Und das wiederum öffnet eine neue Tür, hinterfragt einen aktuell heiß diskutierten Denkansatz. Ich komm gleich wieder auf den Widerling und seine Geschichte, davor aber das:

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Ein seitliches Nachwort... Montag ist etwas Bemerkenswertes passiert: einige Repräsentanten der österreichischen Mittelalter-Szene haben sich gemeldet (alles zwischen erbost und helfend), in aller Deutlichkeit abgegrenzt, (glaubhaft) auf den grundsätzlich mehrheitlich anderen Ansatz ihrer Veranstaltungen gepocht und auch darüber gejammert, dass ihnen die sattsam bekannten Untaten des betreffenden, längst ausgestoßenen schwarzen Schafes jetzt wieder einmal auf den Kopf fallen würden.
Nun gibt es solche und solche Rechtfertigungen und glaubhafte Versicherungen. Die, die ich im Laufe des Tages gelesen und gehört habe, waren ernst gemeint.

Und ich muss sagen, dass mir das einiges an Hoffnung gibt: dass sich nämlich eine Szene (nehmen wir Gruft & Goth mit dazu, dann kommen auch für Österreich genug zusammen) ihrer Aufgabe jenseits des reinen Eskapismus, nämlich der des menschlichen Umgangs und des friedlichen Zusammenlebens stellt. Und das nicht erst wenn ein Ehemaliger ertappt wird, sondern wohl schon länger. Und auch mit den Mitteln, um die es mir geht: denen der klaren Benennung, auch szeneintern.

Wie umgehen, lautet die Frage hinter dieser Debatte, wie umgehen mit den (noch) Unentschlossenen, den noch Erreichbaren, jenen, die zwischen global interagierender Weltoffenheit und nationalistischer Isolation schwanken, die sich zwischen Hoffnungen und Ängsten treiben lassen und noch nicht entschieden haben, wo sie letztlich stehen werden angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung? Die Überzeuger, die niemanden aufgeben wollen/können, gehen zu einem Gutteil davon aus, dass die Desinformierten Opfer sind, die dann wegen falschen Umgangs xenophoben, menschenverachtenden Mundstuhl absondern.

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Ich habe mit dieser offensiven Versteherhaltung meine Probleme. Ich denke, dass es den kleinen Teil der noch Erreichbaren eher verstört (und noch stärker in die schutzgebende, nationalchauvinistische Wagenburg treibt), wenn man ihn als Opfer anspricht. Dass es womöglich sinnvoller ist, zu konfrontieren, mit Schock zu arbeiten, diese Gruppe als das zu benennen, was sie ist: Täter.

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Diese ganz prinzipielle Frage ist seit Jahren Thema. Auch etwa in der Phone-In-Sendung Bonustrack. Da gab es über lange Zeit (vor allem in den Nullerjahren) hinweg ein umstrittenes Narrativ: dass nämlich die einstmals (in den 80ern) jugendkulturell ganz weit vorne und widerständisch (bei Camus und Sartre) angesiedelten Gruftis zwischenzeitlich von immer schon dem dumpfen Blut-und-Boden-Genre zugehörigen Eskapisten. die sich bei einschlägigen (deutschen) Festivals als altgermanische Herrenrasse aufführen, aufgesogen und so von den an solchen Orten massiv werbenden Rattenfängern der rechtsextremen Esoterik und eindeutigen Neonazi-Vorfeldgruppen einkassiert wurden und ganz tief im braunen Sumpf steckten.

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Dieser klaren Ansage wurde gern widersprochen: Eskapismus müsse nicht im Nationalismus enden, Politikferne wäre doch per se kein Nachteil, Spaß an Tradition sei unideologisch und überhaupt. Eh. Auch.

Die Kontakte mit den damaligen Mitläufern erzählten mir, dass Rettung - wie aus jeder Sekten-Geiselhaft - nur dann möglich war, wenn sich die Erkenntnis, in einem solchen Umfeld einer menschenverachtenden Sache zu dienen, durchgesetzt hatte. Und meiner Erfahrung nach war das deutlich besser durch Konfrontation als durch Opferverständnis möglich.

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Der Widerling, der selbst ein mittelalterliches Männlichkeitsverständnis noch deutlich unterläuft, wenn er die eingangs erwähnte Kollegin bedroht, wäre von all dem nicht anzusprechen gewesen. Seine Abtauchen in ein autoritär-nationalistisches Denksystem hinein war - wohl aufgrund einer zu eindeutigen Vorprägung - unvermeidlich.

Mir zeigt diese Rückbesinnung auf Debatten von vor zehn Jahren, als es galt, den Anfängen dessen, was die unterprivilegierten und die machtpolitisch unzufriedenen Ränder unserer Gesellschaft jetzt an virtuellen Ängsten überschwemmt, zu wehren, dieselben Basisprobleme wie jene, die jetzt diskutiert wurden. Und dass damals in diesen Feldern mit Gutzureden, Verständniszeigen und Opferbestreichelung eher nichts erreicht wurde. Deutlich weniger jedenfalls als bei der klaren Ansprache, der deutlichen Benennung.

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Es könnte also heute wieder dasselbe gelten: Sagen, was ist, ist besser als Behübschen und Schönreden.

Ja, von "der Politik" lässt sich das leicht fordern, dass sie gefälligst klar ansagen soll, was Sache ist, was es braucht, wieviel es kosten wird, und wer welche Opfer bringen sollte. Nur: Genau dasselbe gilt auch für den Einzelnen. Auch und vor allem im Umgang mit der menschgewordenen Xenophobie, den Hatern und nationalistischen Maulhelden; und auch mit jenen, die nur danebenstehen und glänzenden Auges "Jawoll!" sagen oder auch nur (vielleicht sogar intellektuell verkleidetes) Verständnis zeigen und sich selber als "Man-wird-ja-noch-seine-Meinung-sagen-dürfen"-Mitläufer und somit automatisch schuldfrei begreifen.

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Denn die Mitläufer und die Versteher und die Gutheißer der Menschenverachtung sind nicht die Opfer jener, die nicht verstanden haben, effektiv genug um sie zu werben. Sie sind nicht die Opfer einer Politik, die sie seit Jahrzehnten auf dem weltweit bestmöglichen Lebensstandard hält. Sie sind gar keine Opfer, sondern Täter.

Es ist ein bisschen so, wie sich Gesamt-Österreich von 1945 bis vor kurzem als erstes Nazi-Opfer verstanden hat: von Eichmann bis runter zum kleinen Blockwart, dem Herrn Karl.

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Der, der zu Hass aufruft und Menschen bedroht, ist Täter. Der, der das gutheißt, ist ebenso Täter. Und der, der das liked auch. Täter. Es gibt in Fragen der verneinten Menschenwürde und des verweigerten Mitgefühls keine Opfer und keine Mitläufer; nur Täter.

Auch Täter brauchen Verständnis und in weiterer Folge Resozialisierung, klar. Um aber dorthin zu kommen, braucht es einen ersten Schritt: und der muss sein, dass Täter ihre Täterschaft erkennen. Mitläufertum ist keine Kategorie. Unterstützung kein Kavaliersdelikt. Und Opfer sind ausschließlich die, die man selber attackiert, niemand anderer. Nicht der Täter selber.