Erstellt am: 6. 11. 2015 - 13:48 Uhr
Ahoi Pop Festival
Ahoi! Pop Festival
3. bis 7. November 2015 im Posthof Linz
Die meisten laufen zwar scharenweise davon, wenn ich das Mikro auspacke und nach den Konzerten ein paar Stimmungen und Apres-Gig-Gespräche fürs Radio einfangen will, aber jene, die nicht dringend ihre Jacke abholen, ihren Bus erwischen und ihre Freundinnen an der Bar treffen müssen, erzählen mir über ihren Konzertabend mit einem Funkeln in den Augen. "Ich bin da wegen der Abwechslung", meint ein Gast. "Wir haben unsere Handys nicht mit! Wir haben nur Bargeld eingesteckt und Radlschlüssl. Taschen sind so unpraktisch beim Konzert. Schlecht für die Schulter", meinen zwei enthusiasmierte Besucherinnen nach dem Gastspiel von Boy.
Valeska Steiner, die Sängerin von Boy, nimmt ihr Publikum immer sehr genau unter die Lupe, sagt sie im Interview: "Ich glaube, es ist ihnen gar nicht so bewusst, dass sie auch angeguckt werden. Ich finde, dass wir ein großes Glück haben, weil das Publikum uns wirklich sehr sympathisch ist. Ich glaube, als Band kann man sich's nicht wirklich aussuchen und wir haben's da gut getroffen. Das sind meistens Leute, bei denen man denkt: Mit dir könnt ich nachher noch ein Bier trinken und das wär nett!" Dann spricht sie über die modernen Zeiten der Handyfotografie. Ich denke an ein Konzert von George Ezra, bei dem ich sitzend von der letzten Reihe aus beobachtet habe, wie bei "Budapest" 90% von den Gästen ihre Handys in die Höhe gehalten haben, um die Performance von dem "einen Song, den man kennt" abzufilmen. Es war traurig irgendwie, nach dem Song konnte man die gesenkten Köpfe sehen, wie sie Filter bedienen und auf Likes warten. Man hat ein großes Verständnis für die "People make pictures to prove that they exist"-Philosophie. Aber auch für die Besucherin, die zu mir meint, bei Konzerten macht sie eher die Augen zu und tanzt. Fan sein, noch immer das schönste Hobby, das es gibt.
Getanzt wurde auch. Und gesungen.
Matthew E White
"Live shows and records are fundamentally different but both of them revolve around a catalogue of songs that you're playing. Some things work and some things don't. The show is pretty laid-back and soulful and relaxed", meint der Singer/Songwriter Matthew E White im Interview, als ich ihm erzähle, wie sehr es mich freut heute die fleischgewordene Live-Version seiner Songs hören zu können. Matthew E White mag das Wort "Fan" nicht, er findet "Listener" besser und erzählt mir, wie ihn mal ein Fan bei der Post aufgehalten hat, um ihm zu erzählen, wie er und seine Frau bei der Geburt ihres Kindes, während der Wehen stundenlang nur seine Musik gehört hätten. Ihr Kind sollte zu den Klängen von "Brazos" und "Will You Love Me" geboren werden. "I feel those people for whatever reason have chosen the music that I make to represent an important moment of their lives and in a way it's unkind to them if I don't try to give the same amount of seriousness back to them", meint der Musiker zu dieser Fan-Anekdote aus seinem geerdeten Leben.
Susi Ondrusova
Listener also. Zuhören. Es ist schwierig einen geeigneten Platz im Konzertsaal zu finden, an dem sich Menschengruppen nicht laut unterhalten. Nach den Gigs von Husky und Ganes, die am Mittwoch vor Matthew E White aufgetreten sind, scheint das Publikum etwas rastlos. Die Musik ist leise. Auf der Bühne steht statt einer Band der Sänger an der Gitarre und sein Begleitgitarrist. Es wird keine Gospel-Einlagen gegeben. Nicht, dass es nicht schön ist, aber ich schmunzle darüber, wie altmodisch mir die Formation auf der Bühne vorkommt.
Über zeitlose Musik haben wir nämlich auch gesprochen, nach einer kurzen Brandrede, dass Kendrick Lamar der zur Zeit spannendste Musiker auf Erden ist, merkt Matthew E White an, dass er sich schon sehr altmodisch fühlt, wenn er seine E-Gitarre an den Verstärker schließt. So war das Konzert auch eines, das man wahrscheinlich am Lagerfeuer, einer rauchigen Hotelbar oder einer Kirche eher genossen hätte. Nichts gegen die Alben natürlich. Voller Angst denke ich schon an Jose Gonzalez, der ähnlich flüsternd und stoisch seine Konzerte absolviert. Würden mir am Donnerstag im Posthof die Knie einknicken, weil ich als Fan und Listener unter Bewegungsdrang leide? Nein!
Lang lebe das Schlagzeug, pardon Percussions! Bei Jose Gonzalez ist alles taktvoll und auf dem Punkt. Mehrstimmige Harmonien. Perfektion. Zum Sich-fallen-Lassen ohne einzuknicken. "Der geht viel mehr ins Herz", meint eine Besucherin. Im Raucherhof warten schon die Fans und Listeners auf Gramatik, der dann hinter seinem Turntable-Tisch, an der Seite von Keyboard, Laptops und seinem Live-Bassisten den Donnerstag zu einer Samstags-Party verwandelt. Mit EDM und Hip und Hop. Vielleicht der auffälligste Bruch in der Programmierung, aber auch das ist Ahoi Pop: Abwechslung eben.
Christoph Thorwartl
Während Jose Gonzalez bei seinem Set, wenn ich seine stillen Bühnenansagen richtig verstanden habe, einen neuen Song gespielt hat, muss Konstantin Gropper, der Mann hinter Get Well Soon, die Frage nach den neuen Songs verneinen. Das neue Album "Love" ist schon aufgenommen, die neue Single "It's Love" schon draußen, aber man habe wenig Zeit gehabt zum Proben.
Get Well Soon Live 2016: FM4 Indiekiste am 9. März im PPC Graz und am 10. März in der Ottakringer Brauerei.
So gibt es am gestrigen Abend ein Set quer durch das Schaffenswerk (aka Hits), ein Careless Whisper Cover, "Krudes" und ein bisschen Reden. Dass die Band, die immerhin schon drei Alben veröffentlicht hat, gestern ihr allererstes Linz-Konzert gespielt hat, ist eigentlich ein Skandal. Dass ihr Linz-Debüt im Rahmen vom Ahoi Pop Festival passiert ist, umso schöner. Man darf gespannt sein auf das neue Album. Als ob ein Get Well Soon Konzert nicht eh schon eine Herzensangelegenheit wäre, drehen sich die neuen Songs alle um das Thema Liebe. Und es ist nicht kitschig. Große Kunst. Man darf gespannt sein!
Heute, Freitag, geht es am Ahoi Pop Festival weiter mit Fink, Friska Viljor und morgen, am Samstag dann das Finale mit Tocotronic, Schnipo Schranke und British Sea Power. Mehr Infos unter posthof.at.