Erstellt am: 5. 11. 2015 - 16:35 Uhr
Stadt/Land/Bund?
Täglich kommen neue Refugees in Österreich an. Viele ziehen weiter nach Deutschland, aber einige von ihnen stellen auch in Österreich einen Antrag auf Asyl. Die Bundesländer kommen ihren Quoten, was die Bereitstellung von Unterkünften für Asylwerbende betrifft, weiterhin nicht nach.
Darum hat der Nationalrat das Durchgriffsrecht beschlossen: Damit kann der Bund seit 1. Oktober auf eigenen bzw. ihm zur Verfügung stehenden Grundstücken Quartiere für hilfs- und schutzbedürftige Fremde bereitstellen. Eine gesonderte Widmung muss dafür nicht vorliegen.
Voraussetzung für das Durchgriffsrecht ist allerdings, dass das betroffene Bundesland seine Flüchtlingsquote nicht erfüllt und in einem Bezirk weniger Asylwerber untergebracht sind, als es dem im Gesetz verankerten Richtwert von 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung entspricht. Soweit die Fakten. Wie sich das in der Realität gestaltet, zeigt sich derzeit im steirischen Leoben.
Rechts ein großes Möbelhaus, links die Bahntrasse. Dazwischen steht eine ehemalige Fachmarkt-Filiale, zu der gestern Nachmittag Sozialarbeiter für Bewerbungsgespräche mit der Firma ORS eingeladen sind. Das Unternehmen wird hier zukünftig bis zu 450 Menschen betreuen, die einen Asylantrag in Österreich gestellt haben. In der Halle arbeiten bereits Asylwerber im Auftrag von ORS und stellen Betten auf.
Unbefugten ist der Zutritt verboten, mahnt ein handgeschriebens Plakat am Eingang des flachen Baus, wo acht DIN-A4-Blätter mit Kleingedrucktem ausgehängt sind und informieren: Ein Bescheid erklärt das Durchgriffsrecht des Bundes und damit die künftige Nutzung und den Umbau der Halle. Der Bescheid, so heißt es, ergeht "nachrichtlich an die Gemeinde Leoben zwecks Kundmachung an der Amtstafel der Gemeinde" und "nachrichtlich an die Bezirkshauptmannschaft Leoben".
Ein Anruf bringt Auskunft
So haben der Leobner Bürgermeister und sein Stellvertreter, beide von der SPÖ, davon erfahren: mittels Schreiben vom Innenministerium am 19. Oktober. "Unser Bürgermeister ist dann sofort in den betroffenen Ortsteil gegangen und hat mit den Menschen darüber gesprochen. Wir versuchen, ständig zu informieren. Wobei ich schon sagen muss, dass die Informationen vom Innenministerium sehr dürftig sind", sagt der Vizebürgermeister Maximilian Jäger in ruhigem Ton. Er ist auch im Bereich der Integration tätig. 25.000 EinwohnerInnen zählt Leoben, die zweitgrößte Stadt der Steiermark. Unter ihnen sind seit einem halben Jahr 87 AsylwerberInnen.
Ob die einstige Verkaufshalle als Grundvorsorgungslager dienen wird oder als Durchzugslager fungieren soll, von dem aus die Menschen wieder auf andere Quartiere verteilt werden, weiß die Stadt nicht. Aber für Transitquartiere ist bislang eigentlich das Rote Kreuz zuständig, der Bund hat damit nichts zu tun. Ein Anruf beim Innenministerium bringt sofort Auskunft und Bestätigung. Den Beamten vor Ort wiederum leiht man sein Mobiltelefon, um Klarheit zu schaffen, warum man hier als Journalist vorstellig wird. Sie haben noch keine Diensthandys. Haben wir das Telefonieren verlernt, fragte schon kürzlich die deutsche Ausgabe von Wired.
"Ein unzumutbarer Zustand", findet der Vizebürgermeister
Die Halle verfügt über eine Heizung. Toilette- und Duschmöglichkeiten würden noch geschaffen werden, sagt Adi Hirner, er ist für das Innenministerium vor Ort und koordiniert die Adaption der Halle. Ob sich die Duschen im Gebäude befinden werden oder Sanitärcontainer aufgestellt werden, wieviele Toiletten es am Ende geben wird, das werde alles derzeit vom Innenministerium geprüft. "Vermutlich" wird es bei den Feldbetten in der Halle bleiben. Bierbänke und -tische stehen in Gruppen. "Alle Überprüfungen, die für den Betrieb einer Halle in der Größe für Flüchtlinge notwendig sind, wurden gemacht", sagt Hirner. Die Bezirkshauptmannschaft und die Stadt verweisen jedoch auf eine weitere Begehung kommende Woche.
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"Ich denke, dass es der beste Weg sein wird, wenn sie auf kleinere Quartiere aufgeteilt werden", findet der Leobener Vizebürgermeister Jäger. "Man muss sich vorstellen: In einer Halle mit 450 Menschen, die dort dann praktisch leben, das ist ein unzumutbarer Zustand".
Unmittelbare AnrainerInnen gibt es nicht, aber ein Wohnbau ist in Sichtweite, einer der größten Gemeindebaus Leobens.
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Wenn die Länder nicht ausreichend Quartiere zur Verfügung stellen, nützt das Durchgriffsrecht dem Bund, Ersatzquartiere zu schaffen. In Althofen, Ossiach und wie heute bekannt wurde in Klagenfurt sowie in Steyregg in Oberösterreich und in Bergheim in Salzburg wird das Durchgriffsrecht neben Leoben bereits angewendet.
Seitens der Stadt habe man sich schon mit verschiedenen Wohnbauträgern zusammengesetzt, ob kleinere Quartiere zu schaffen wären. Und es gäbe immer wieder Besitzer von Häusern, die über die BH beantragen, dass die als Flüchtlingsquartiere zur Verfügung gestellt werden.
Aber was kann die Stadt konkret für jene 450 Menschen tun, die sehr bald in dieser adaptierten Fachmarkt-Filiale schlafen, essen, leben werden? "Vom Rechtlichen kann ich mir das nicht vorstellen", antwortet Vizebürgermeister Jäger. "Es werden natürlich auch in Leoben sehr viele freiwillige Helfer die Flüchtlinge unterstützen. Die Problematik, die mir bekannt ist, ist, dass Helfer nicht in das Lager hineindürfen. Da bedarf es Gespräche mit der Betreiberfirma".
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