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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

5. 11. 2015 - 09:49

Der letzte Analog-Agent

"Spectre" erweist sich als eleganter Abgesang an James Bond und Kino-Spione der alten Schule, die in der digitalen Ära obsolet werden.

Irgendwann ist es im neuesten James-Bond-Abenteuer soweit: Wir sind Zeuge eines streng geheimen Treffens von Männern und Frauen, die man wahlweise als mächtigste Kriminelle des Planeten oder kriminellste Mächtige bezeichnen könnte. Natürlich muss eine solche Versammlung in einem ehrwürdigen alten Palais in Rom stattfinden, inklusive schummriger Beleuchtung und einer Stimmung, die an dekadente Rituale in Stanley Kubricks schwülstigem Spätwerk "Eyes Wide Shut" erinnert. Genauso stellen sich kleine Verschwörungstheoretiker wohl die großen bösen Kontrolleure des Weltgeschehens vor.

Spectre

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Dabei wohnen wir keinem verschwiegenem Meeting von Illuminaten, Bilderbergern und Freimaurern bei. "Spectre" nennt sich die mysteriöse Vereinigung, deren zentrale Vertreter in dieser Szene an einem riesigen Tisch sitzen. Erdacht hat die Organisation der Autor Ian Fleming Anfang der sechziger Jahre, als der Kalte Krieg auch die Popkultur vereinnahmte. Gelangweilt von den immer gleichen russischen Gegenspielern wollte der Erfinder von James Bond seinen literarischen Helden gegen eine noch plakativere Gefahr antreten lassen. Also kreierte Fleming eine Art Terroristen-Supergroup, in der dunkle Mächte aus allen Erdteilen kooperieren.

Schon in "From Russia with Love", dem zweiten von unzähligen erfolgreichen Bond-Filmen, darf der Fädenzieher des "Spectre"-Imperiums seine weiße Katze kraulen und Mordbefehle erteilen, vorerst noch ins Halbdunkel gehüllt. In späteren Streifen mit dem legendären Sean Connery als 007 wird der Oberboss seine Identität enthüllen. Ernst Stavro Blofeld, beispielweise von Telly Savalas oder auch Donald Pleasance gespielt, kann als vernarbte Blaupause für eine ganze Generation schmierenkomödiantischer Fieslinge betrachtet werden, bis hin zu Dr. Evil in der verblödelten "Austin Powers" Reihe.

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Greatest-Hits-Compilation mit Verschwörungstouch

Mit Sean Connery als James Bond verabschiedete sich dessen Nemesis Blofeld ebenfalls von der Leinwand. Aber auch der Name "Spectre" tauchte in all den Agentenspektakeln mit Roger Moore oder Pierce Brosnan nicht mehr auf, ein schier ewiger Rechtsstreit hinderte die Produzenten die diabolische Gruppierung in eine Story einzubauen.

Dass man sich zuletzt doch hinter den Kulissen einigte, ist Regisseur Sam Mendes gerade recht gekommen. Für seinen zweiten Abstecher ins Bond-Universum, nach dem weltweiten Box-Office-Überhit "Skyfall", stürzt er sich geradezu auf das Thema einer Gruppierung, die gespenstisch unser aller ökonomischen Schicksale lenkt. Zum einen weil so eine abstruse Idee in einer Zeit, in der sich viele Menschen von der Komplexität der Politik überfordert fühlen, bei den Kinogehern wieder beklemmende Knöpfe drückt. Zum anderen aber natürlich, weil sich mit dem mythischen Begriff "Spectre" das Phänomen James Bond auf eine wirklich umfassende Weise aufrollen lässt.

Und genau darum geht es Mendes und seinem Hauptdarsteller Daniel Craig beim 24ten Leinwandeinsatz des britischen Starspions. Anstatt wie in "Casino Royale", "Quantum of Solace" und "Skyfall" bewusst viele der Klischees, die mit dem Protagonisten verbunden sind, zu umschiffen, mit ihnen zu spielen oder sie gar zu brechen, gibt es nun die Extradosis Bond. "Spectre" hat was von einer Greatest-Hits-Compilation, die viele zentrale Momente der Agentensaga zitiert, vor allem aus der Ära des besagten Sean Connery.

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Alte Hedonisten versus junge Karrieristen

Nachdem in "Skyfall" die Sache schon ganz persönlich wurde und der Film direkt auf die Biografie von 007 Bezug nahm, kommt es in der ersten direkten Fortsetzung innerhalb der Bond-Geschichte zur Kollision mit weiteren Gespenstern aus der Vergangenheit.

Vom Dienst suspendiert, nachdem der aalglatte Jungchef des Centre for National Security (Eisig: Andrew Scott) droht, das Doppelnull-Programm zu beenden, ermittelt unser Mann vom MI6 auf eigene Faust. Spätestens bei dem eingangs beschriebenen Zusammentreffen in einem römischen Palast wird James Bond dann mit "Spectre" und dessen Chef Franz Oberhauser (Erwartungsgemäß sinister: Christoph Waltz) konfrontiert, der ihn grinsend begrüßt.

Sam Mendes und sein Team von Drehbuchschreibern versuchen bei der Jagd nach den Hintermännern der Weltverschwörung einen ideologischen Haken zu schlagen. Auf der einen Seite stehen die sympathischen Oldschool-Geheimagenten der analogen Ära, unterstützt vom Computer Whizkid Q (Lässig: Ben Whishaw), die nach den alten Regeln spielen, Ganoven killen und wie Bond dem exzessiven Hedonismus frönen. Ihnen gegenüber stehen die slicken Karrieristen der digitalen Ära, die nach der totalen Überwachung aller Bürger streben.

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Lektion in Sachen Retrofuturismus

Ausgerechnet Ian Flemings reaktionärer Antiheld James Bond, von Daniel Craig mittlerweile mit absoluter Souveränität verkörpert, mutiert so zum Gesinnungskollegen von Edward Snowden (dazu passen Interviews, in denen die "Spectre"-Macher vor der NSA und Facebook warnen). Aber auch wenn sich der Film dabei etwas verbiegt im Rahmen seiner überlangen Laufzeit: Irgendwann funktioniert der Anflug von gutgemeinter Message im Rahmen des stylischen Actionkinos.

James Bond, der in "Spectre" zum sentimentalen Relikt einer vergangenen Zeit stilisiert wird, agiert nicht nur plötzlich Seite an Seite mit Datenschützern. Der zynische Womanizer von einst wandelte sich im Laufe der Craig-Filme auch zu einem Gentleman, der nicht gleich in der ersten Szene die Schlafzimmertür öffnet. Sondern sich zumindest einen dramatischen Augenblick Zeit lässt. Monica Bellucci (die leider zu schnell aus dem Film verschwindet) und Léa Seydoux vereinahmen als starke Frauen im Gegenzug die Leinwand mit ihrer atemberaubenden Präsenz, Naomi Harris ist die coolste Miss Moneypenny ever.

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Kurzum: "Spectre" verzettelt sich in zu vielen Anliegen und Wendungen, um der perfekte Bond-Film der Gegenwart zu sein, aber wir haben ja bereits "Casino Royale". Ein verdammt eleganter, den schimmernden Oberflächen huldigender Trip in die 007-History ist es dennoch geworden, eine Lektion in Sachen Retrofuturismus, voller charmanter Anspielungen, die nie aufdringlich werden. Eigentlich sowas wie der ideale Abschiedsstreifen des Duos Craig/Mendes, aber sag niemals nie. Ach ja, ob Ernst Stavro Blofeld in "Spectre" auftaucht, könnt ihr auf diversen Spoilerseiten nachlesen, ich sage nur: Eine weiße Katze wurde auf dem Set gesichtet.