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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

4. 11. 2015 - 15:19

Die Karawane zieht weiter

Der Salzburger Hauptbahnhof hat als Knotenpunkt der Flüchtlingsbewegung ausgedient. Die Versorgungs-Infrastruktur wird näher an die Grenze verlegt. Die HelferInnen ziehen mit.

Kommt man am Salzburger Hauptbahnhof an, erinnert fast nichts mehr daran, dass hier vor ein paar Wochen einer der größten Knotenpunkte am Weg der Refugees durch Europa war. Ein paar Hinweistafeln auf Arabisch und Farsi hängen noch in der Unterführung, daneben Zettel mit Fotos von Menschen, die auf der Flucht von ihren Familien getrennt worden sind.

Zettel, mit denen vermisste Personen gesucht werden

Simon Welebil / FM4

Nicht winterfest

Aus den tausenden Flüchtlingen, die hier bis vor kurzem untergebracht wurden, sind einige hundert geworden, die noch in der Tiefgarage des Bahnhofs untergebracht sind. Und auch diese Betten werden in den nächsten Tagen abgebaut, das Quartier kann nicht "winterfest" gemacht werden, wie es technisch ausgedrückt wird. Konkret heißt das, dass es im Inneren des Bahnhofs und in der Tiefgarage eisig kalt ist.

Man habe versucht, die Tiefgarage zu beheizen, erklärt mir Robert Leitner der Einsatzleiter vom Roten Kreuz, aber das wäre nicht möglich gewesen, ohne die Garage zuzumachen und damit auch alle Fluchtwege zu verschließen. Unvorstellbar im Fall einer Panik.

Einsatzleiter Robert Leitner in einem improvisierten Büro

Simon Welebil / FM4

Viele Eindrücke

Robert Leitner ist hier seit fast 10 Wochen im Einsatz. Seit dem 31. August, genau 22:17, wie er mir erzählt. Während dieser Zeit hat er viel erlebt und mitansehen müssen, von Flüchtlingen mit Schussverletzungen über von der Sonne verbrannte Kleinkinder bis zu den komplett durchfrorenen Menschen in den letzten Tagen. Viele von ihnen wurden in einem großen beheizten Sanitätszelt versorgt, das am Bahnhofsvorplatz errichtet worden ist. Gemeinsam mit Mannschaftszelten für die HelferInnen von Rotem Kreuz, Cartias, Bundesheer und anderen Freiwilligen und mehreren Toilettencontainern. Überhaupt sind optisch hier am Bahnhofsvorplatz die Ereignisse der letzten Wochen noch am präsentesten.

Bundesheer Jeeps und ein Sanitätszelt vor dem Salzburger Hauptbahnhof

Simon Welebil / FM4

Der Einsatzleiter führt mich von seinem "Büro" aus durch die Zelte, von denen die meisten mittlerweile leer sind. Sanitäter des Roten Kreuzes und des Bundesheeres versehen hier noch Dienst, aber sie haben kaum mehr PatientInnen. Im größten Zelt hängen Bilder von Kindern, die hier behandelt wurden. Am Vorplatz wärmen sich einige Refugees in den ersten Sonnenstrahlen, die auf den Platz fallen. Bald wird der Platz wieder anderen gehören.

Bilder von Flüchtlingskindern im Sanitärzelt

Simon Welebil / FM4

Veränderung der Flüchtlingsströme

In den letzten Tagen haben sich die Flüchtlingsströme in Österreich, und auch in Salzburg, verlagert. Seit die Refugees nicht mehr über Ungarn den Osten Burgenlands erreichen, kommen sie auch nicht mehr massenweise mit Zügen am Salzburger Hauptbahnhof an. Die Refugees, die in Spielfeld in der Steiermark die österreichische Grenze betreten werden großteils mit Bussen weitertransportiert, vorbei an der Stadt Salzburg in ein Transitlager direkt an der Autobahn und näher an der deutschen Grenze, in eine alte Halle der Asfinag.

Mobile Toiletten mit Benutzungshinweisen auf Arabisch

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Nur mehr vereinzelt kommen Refugees mit Zügen in Salzburg an. Mal 50, mal weniger, kein Vergleich zu Spitzenzeiten, wo zehntausende hier durchgekommen sind. Andere kommen mit Taxis direkt zum Bahnhof. Insgesamt sind es nur mehr ca. 200-400 Menschen pro Tag. Sie sollen in Zukunft in einem großen beheizten Bierzelt ein Zwischenquartier bekommen, ohne Betten, nur mehr mit Sitzgelegenheiten, Robert Leitner nennt es "eine große Bushaltestelle". Sobald genug Refugees beisammen sind, um einen Bus zu füllen, würden sie dann in das Transitlager an die Grenze gebracht.

Stolz auf den humanitären Einsatz

Für Leitner bedeutet das, dass er hier bald nicht mehr gebraucht wird. Denn die Versorgung am Bahnhof wird in den nächsten Tagen schrittweise zurückgefahren, das Sanitätszelt abgebaut, um die Mannschaft im neuen Transitlager an der Autobahn zu verstärken. Dort werde die Infrastruktur in den nächsten Tagen dann weiter ausgebaut. Robert Leitner spricht davon, dass auch dort zusätzlich Bierzelte aufgebaut werden könnten. In der festen Unterkunft hingegen werden eine Säuglings- und Kleinkinderstation, sowie die Sanitätsräume untergebracht.

Wenn man Leitner zuhört, merkt man, dass er voll und ganz im humanitären Einsatz für die Refugees aufgeht. Manchmal kommt auch etwas zurück. So habe ihm "eine Ex-Politikerin", wie Leitner meint, von einem Interview in der größten schwedischen Tageszeitung erzählt. Eine syrische Asylwerberfamilie wäre dort zu den posititven und negativen Erlebnissen ihrer Reise befragt worden. Als positiv hätten sie einzig den Aufenthalt am Salzburger Hauptbahnhof erwähnt, die Aufnahme, die Versorgung und die Weiterbringung. "Wenn's so positiv geschrieben ist, darf man und kann man als Mitarbeiter des Roten Kreuzes stolz sein."

"Wellness-Oasen"

Die Ex-Politikerin, die Robert Leitner von dem Artikel erzählt hat, könnte durchaus Ricky Veichtlbauer gewesen sein. Die ehemalige Bundesrats- und Landtagsabgeordnete für die SPÖ ist wohl ebenso lang wie Leitner am Hauptbahnhof tätig. Eigentlich wollte sie, seit sie in Pension ist, mehr entspannen und sporteln, aber mit den Ereignissen in den letzten Wochen komme sie nicht mehr viel dazu.

Ricky Veichtlbauer

Simon Welebil / FM4

In den ersten Tagen, als die Refugees an den Salzburger Bahnhof gekommen sind, haben sie und andere Menschen Einkaufswagen mit Lebensmitteln und Kleidung gefüllt und sie an die Bahnsteige gekarrt. Sie habe nicht anders können als helfen. Doch ihre Aufgaben haben sich schnell verschoben. Die Kleidungsausgabe in Salzburg hat die Caritas übernommen. Ricky Veichtlbauer kümmert sich mittlerweile mit der etwa 60 Personen großen Gruppe Train of Hope - Salzburg hilft um die Sanitärversorgung.

"Wir haben uns bemüht, eine kleine Wellness-Oase zu machen für die Geflüchteten", sagt sie, als sie mir einen der Duschcontainer zeigt, und die sei hervorragend angenommen worden. Viele der Refugees hätten sich hier das erste Mal seit Tagen oder Wochen wieder sauber machen können, was sie sehr genossen hätten.

Ricky Veichtlbauer geht ihrer Aufgabe ebenfalls mit vollem Einsatz nach. Sie hat sich sogar ein Smartphone zugelegt, um sich mit der Gruppe leichter auszutauschen und Termine zu koordinieren, auch Nachrichten von Refugees gibt es in ihrem Posteingang. Nur Facebook-Account habe sie noch keinen, das überlasse sie den Jüngeren.

"Das Innenministerium versagt hier total"

Auch Train of Hope Salzburg ist gerade mitten in der Übersiedelung in die Asfinag-Halle in Salzburg Liefering. Der letzte Duschcontainer am Bahnhofsvorplatz ist bereits geschlossen. Begeisterung für ihren neuen "Arbeitsplatz" kann Ricky Veichtlbauer allerdings nicht aufbringen. "Es könnte meiner Meinung nach schon menschenwürdiger sein, als es jetzt ist", meint sie vorsichtig.

In den letzten Tagen sei nämlich eine Entwicklung eingetreten, über die sich auch der Salzburger Bürgemeister beschwert, neben "Transitflüchtlingen" kämen vermehrt Menschen in das Quartier, die in Österreich um Asyl angesucht haben. Für sie wird das "Transitlager" zum Daueraufenthalt. "Asylwerber müssen schon seit 25 Tagen in dieser Schneepflug-Garage hausen - von wohnen keine Rede", sagt Veichtlbauer.

Oftmals schon haben sie selbst und andere Bekannte Quartiere für Flüchtlinge aufstellen müssen, die hier Asyl, aber keinen Platz in der Bundesbetreuung bekommen. "Sie sind in Wirklichkeit obdachlos", sagt Ricky Veichtlbauer. Enttäuscht ist sie von der Innenministerin, die sie vor kurzem in Salzburg selbst gefragt habe, wohin sie denn diese Flüchtlinge bringen sollte. In eben diese Asfinag-Halle habe sie als Antwort bekommen. "Das Innenministerium versagt hier total", meint Veichtlbauer dazu.