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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

3. 11. 2015 - 17:41

Selbstheilung durch Pop

"Fading Frontier" - die amerikanische Band Deerhunter hat ihr zutraulichstes Album bisher aufgenommen. Sonnenschein ist dabei freilich nicht alles.

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Ende 2014 war Bradford Cox in einen Autounfall verwickelt, der ihn beinahe das Leben gekostet hat. Dass solch ein Erlebnis die Sichtweise auf die eigene Existenz und den Kosmos einschneidend verändern dürfte, ist nicht von großem Sensationswert. Mit welcher Offenheit aber der Musiker seine Erfahrungen danach, seine Gedanken, Emotionen in das neue, sechste Album seiner Band Deerhunter hat fließen lassen, überrascht.

Bislang ist das Quartett aus Atlanta, Georgia gerne mit Tendenzen zur Verstörung und Zerstörung aufgefallen, hat oft schön genervt, kaputte Konzerte gegeben, die noch den letzten Fan ärgern sollten. Vor allem Mastermind Cox hat sich immer wieder als Quängler und Gegner von Kuschelkurs und Anbiederung inszeniert - das aktuelle Album von Deerhunter ist nun eine Platte geworden, die Wärme sendet, eine Musik gewordene Umarmung.

Deerhunter

Deerhunter

Links: Chef Bradford Cox mit Hund Faulkner

Eine Musik, die ihren Frieden mit all den Vollidioten da draußen gemacht hat. Nicht bloß im Vergleich zum Vorgänger-Album namens "Monomania", das von speckigem Lederjacken-Charme lebt, von sleazy Mopedrock, von Rage und Angepisstheit, ist diese neue Platte mit dem hoffnungsvollen Titel "Fading Frontier" ein freundliches Glühen.

Bradford Cox wurde 1982 mit dem raren Marfan-Syndrom geboren - einer Krankheit, die ihn sein ganzes Leben lang immer wieder zu intensiven Krankenhaus-Aufenthalten gezwungen hat, ihn bisweilen nah an der Grenze zum Tod balancieren hat lassen und auch sein Erscheinungsbild beeinflusst hat: Cox selbst hat sein Aussehen als "awkward" bezeichnet.

Dieser Mann kennt das Gefühl, Außenseiter zu sein, und hat sich so aus der Not heraus zum stolzen, frechen Rebellen geformt, dem das System mal gestohlen gebleiben kann. Macken, Selbstzweifel, Ticks und Depression im Ego freilich inklusive. "You should take your handicaps, channel them and feed them back until they become your strengths", singt Cox im Song "All The Same", dem Eröffnungsstück von "Fading Frontier".



Klare Selbstermächtigung einerseits, aber eben auch, wie der Titel verheißt: "All The Same" - es ist Bradford Cox mittlerweile recht egal, wie die Welt sich so dreht und wie sie so über ihn denkt. Ein Gefühl, das sich durch die gesamte Platte zieht, ein Gefühl neu erwachter Hoffnung, ein Glauben an das eigene Tun und Sein, eine glückliche Gleichgültigkeit.

"Living My Life" nennt sich da also auch ein Highlight auf dieser neun Stücke und gerade mal 36 Minuten Spieldauer schlanken Platte, die aus null Fett und ausschließlich Highlights besteht. Und die aktuelle Haltung des Bradford Cox formuliert: Wir sind raus, nach wie vor, und, im Moment immerhin, doch ganz zufrieden damit.

So ist "Fading Frontier" auch die bislang poppigste Platte von Deerhunter geworden. Regelmäßig wird die Band mit dem Schlagwort "Ambient Punk" umschrieben - das haben sich Deerhunter vor Jahren selbst ausgedacht. Ausgelutscht und sehr richtig, immer wieder hat es bei Deerhunter Krach, Noise, Rock in Verbindung mit Kraut, Dream, Nebel, Gefühl und Elektronik zu erleben gegeben. Das hat auch in der Vergangenheit schon zu vielen, großen Momenten von Eingängigkeit und Zutraulichkeit geführt.

Diesmal aber wird verstärkt dem Format "catchy Indiepop" zugearbeitet. Das ist nicht langweilig. Jingle-jangle Gitarren, süßeste Melodien, gesungen von einem Erlösten und Erlöser, einem leuchtenden Prinzen der Elfen, ohne Größenwahn, jedoch nach wie vor mit genügend Gift im Stift. Die "Fading Frontier" - die Grenzen Richtung blöder Welt mögen Bradford Cox im Moment vielleicht dezent verblassen, er muss nicht mehr ständig Reibebaum sein, wie er im Stück "Living My Life" sagt. Dass er immer noch ein Danebensteher ist, weiß er - gerade eben glänzt er.



deerhunter fading frontier

4AD

"Fading Frontier" von Deerhunter ist bei 4AD erschienen.

Wir haben es hier nichtsdestotrotz zum Glück mit einer Platte der Band Deerhunter zu tun. Der easygoing Rock’n’Roll hat Brüche und Risse: Immer wieder schieben sich elektronische Störgeräusche, kosmisches Surren oder eine gar karge und schiefe Ballade wie der Song "Leather and Wood" ins Geschehen.

Die erklärten Bradford-Cox-Helden Tim Gane von Stereolab und James Cargill von Broadcast als Gäste füttern, bescheiden im Hintergrund orgelnd und quietschend, jeweils ein Stück mit einem synthetischen Retrofuturismus, in dem eine selige Gestern-Nostalgie und ein eventuell ganz gutes Morgen gleichermaßen strahlen.

Bradford Cox singt von Tod und von Krankheit, von Identitätskrisen, sexueller Not, Paranoia, verfaulenden Körpern und dieser komischen eigenen inneren Ruhe; dem Gefühl, das Universum, wenn schon nicht kapiert, so zumindest akzeptiert haben: "And when I die, there will be nothing to say except I tried / not to waste another day trying to stem the tide".

So erwacht das Ungleichgewicht. Wohlsein, Mulmigkeit, Erhellung, Hadern. "Fading Frontier" ist eine Popplatte mit unangenehmen Geheimnissen. Es brodelt, es wogt zärtlich. "Carrion" nennt sich der letze Song des Albums - gemeint wie in: "Carry On". Harmoniespendende Lebensweisheiten, kurz wollen wir sie glauben.