Erstellt am: 3. 11. 2015 - 16:38 Uhr
Einfach dazwischen
FM4 Auf Laut: Intersexualität
Dienstag, 3. November von 21 bis 22 Uhr auf Radio FM4, anhören für 7 Tage on Demand.
Mann und Frau. Es scheint, als könnte die Welt zusammenbrechen, aber nicht diese beiden Kategorien, zumindest nicht für den Großteil der Menschen.
Auch in Österreich ist die Idee von zwei gegensätzlichen und eindeutig definierbaren Geschlechtern vorherrschend. Dabei kommen in Österreich jedes Jahr rund zwanzig Kinder mit intergeschlechtlichen Merkmalen auf die Welt. Für das österreichische Gesetz ist das eine Abweichung von der Norm und es ist eine "Heilbehandlung" notwendig. Intersex-Personen sind gezwungen, eines der Geschlechter anzunehmen bzw. müssen Eltern entscheiden, an welches Geschlecht ein Kind "angepasst" werden soll.
Die Ausnahme der Ausnahme
Diese Rahmenbedingung macht in Österreich die gesellschaftliche Akzeptanz von Intersex schwierig. Es gibt nur drei Menschen, die öffentlich über ihre Intersexualität reden. Einer von ihnen ist Gorji Marzban, Professor an der Boku, Künstler, Autor und Mitglied im Verein Intersexueller Menschen Österreich. Gorji wollte mit seinem Coming Out nicht nur Intersexualität sichtbarer machen, sondern auch aufzeigen, dass es auch anders geht.
Als er im Iran auf die Welt kam, fiel seine Intersexualität nicht auf. Er wuchs als Mann auf, doch in der Pubertät merkte er, dass er anders war als seine Klassenkameraden: "Ich kam nicht in den Stimmbruch und ich bekam auch keine Barthaare. Mein Körper veränderte sich nicht." Mit 19 Jahren ging er zu einem Arzt und damit begann für ihn ein Martyrium. Ihm wurde eine Testosteron-Behandlung verschrieben: "Bei der ersten Gabe hatte ich das Gefühl, dass ich fünf Menschen erwürgen könnte. Ich wollte das auch. Es war ein euphorisches Gefühl, das mir bis dahin ganz fremd war und es löste schwere Depressionen in mir aus."
In Österreich hat ein Arzt Marzban geraten, die Hormon-Therapie auszusetzen. Dadurch war es ihm möglich, ein Kind zu zeugen. Heute nimmt er wieder Hormone, aber medizinische Eingriffe wurden an seinem Körper nicht durchgeführt. "Ich sehe mich als positives Beispiel. Eigentlich wäre es schön und normal, wenn man jemanden nicht mit Gewalt verändert."
![© Radio FM4 Intersexualität](../../v2static/storyimages/site/fm4/20151145/intersexualität_body.jpg)
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Warum gibt es in Österreich Eingriffe?
Intersexualität ist nicht eindeutig und kann sehr unterschiedlich sein, sie kann auf äußeren Geschlechtsmerkmalen, hormonellen oder chromosomalen Merkmalen basieren. Es gibt Situationen, in denen ein medizinischer Eingriff notwendig ist, damit ein intersexuelles Kind überleben kann, etwa wenn der Urin nicht abfließt.
Doch eine Operation, die nur einer klaren Geschlechtszuweisung dient, ist aus rechtlicher Sicht problematisch, argumentiert Juristin Eva Matt von der Plattform Intersex Österreich. "Die erste Frage, die sich aus juristischer Perspektive stellt, ist: sind das überhaupt Heilbehandlungen?"
Das Recht stützt sich auf medizinische Argumente, allerdings gibt es inzwischen auch in der Medizin intensive Debatten über den Sinn und Unsinn solcher Eingriffe und Behandlungen. Ein weiteres großes Problem ist, dass Eingriffe und Behandlungen großteils an Kindern durchgeführt werden. "Die können nicht selbst einwilligen, das machen die Eltern. Wie weit darf aber die Zustimmung der Kinder gehen? Diese Eingriffe betreffen den Kern der Persönlichkeit", sagt Matt.
Tipp
Über Intersex sprechen Gorji Marzban und Eva Matt bei der diesjährigen Inter*Tagung in Wien. Sie findet vom 6-8. November statt und will Intergeschlechtlichkeit sichtbarer machen und Tabuisierung abbauen.
Deswegen setzt sich Gorji Marzban dafür ein, dass solche Eingriffe nicht mehr ohne Einwilligung durchgeführt werden können. "Ich stehe dazu, dass auch andere dieses Recht bekommen, über das eigene Geschlecht zu entscheiden und wenn es sein muss, dass sie einfach dazwischen bleiben."
FM4 Auf Laut - Intersex
"Was oft schon vor der Geburt beginnt und uns unser Leben lang Tag für Tag begleitet, ist die Frage nach unserem Geschlecht. Wir entscheiden ständig zwischen männlich und weiblich, egal ob wir eine Kundenkarte beantragen, eine Pizza bestellen wollen oder einfach nur aufs Klo gehen. Für die meisten Menschen scheint dies kein Problem zu sein. Doch was tun, wenn mensch anders ist? Muss mensch sich trotzdem entscheiden? Warum eigentlich?" So hinterfragt der Verein intersexueller Menschen Österreich (VIMÖ) auf seiner Website die gesellschaftlich dominante Zweigeschlechtlichkeit.
Was heißt intersexuell? Vor fast über einem Jahrzehnt hat der Film "Tintenfischalarm" Zwischengeschlechtlichkeit zu einem öffentlichen Thema in Österreich gemacht. Mittlerweile hat sich einiges geändert, aber dennoch ist Intersexualität weiterhin ein weitgehend tabuisiertes Thema.
Was bedeutet es, zwischengeschlechtlich geboren zu werden? Warum werden nach wie vor Operationen an zwischengeschlechtlichen Menschen bereits im Kindesalter vorgenommen, obwohl dies medizinisch meist nicht erforderlich ist? Wie ist die Situation heute von intersexuellen Menschen und was fordern sie von der Gesellschaft ein?
Claus Pirschner diskutiert darüber anlässlich der bevorstehenden Inter*Tagung in Wien mit Tobias Rasa Humer von VIMÖ, mit Eva Matt von der Plattform Intersex Österreich (PIÖ) und mit AnruferInnern. Was ist Intersexualität und was hältst du von der dominanten Einteilung der Gesellschaft in zwei Geschlechter?
Die Sendung gibt es für 7 Tage on Demand.