Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""War Porn""

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

3. 11. 2015 - 11:08

"War Porn"

Der Kriegsfotograf Christoph Bangert veröffentlicht im Fotobuch "War Porn" Bilder, die Redaktionen als zu schrecklich abgelehnt haben. Er will, dass wir hinschauen.

"Wenn man den Horror aus der Kriegsberichterstattung herausnimmt, dann fehlt ein großer Teil dessen, was den Krieg nun einmal ausmacht", sagt der Deutsche Christoph Bangert. Als Kriegsfotograf ist er u.a. im Irak, Afghanistan und Gaza gewesen. Sein jüngstes Fotobuch hat er in ungewöhnlich kleinem Format herausgebracht: In "War Porn" zeigt Bangert Fotos, die zuvor unveröffentlicht blieben. Als BetrachterIn hat man so die Kontrolle, was und wieviel man sich anschaut. Das Medium Buch lässt eine Reflexion zu. Online und im Fernsehen indes stehen die Bilder nie still.

Seit 2003 arbeitet Christoph Bangert als Kriegsfotograf. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

"Wir können nicht nur Bilder zeigen von dem Drama dieser Ereignisse. Wir müssen auch den Horror selbst zeigen", plädiert Bangert. Der Titel seines Fotobuchs - "War Porn" - ist provokant und offenherzig zugleich, indem er sagt: Das, was ich mache, ist ausstellend. Es schwinge auch Selbstkritik mit, sagt der Kriegsfotograf. Dass Bilder, die den Schrecken selbst zeigen, auch voyeuristisch wirken können, sei ein Dilemma, das man nicht gänzlich umgehen könne. Doch das dürfe keine Ausrede dafür sein, diese Bilder nicht anzuschauen. Wir müssen uns überwinden, hinzuschauen, fordert der 1978 geborene Christoph Bangert.

Allumfassend dokumentieren - was heißt das?

"Ich war nie in der Situation, in der ich nicht fotografieren konnte oder wollte. Es gibt natürlich Zensur. Es kommt ganz oft vor, dass Militär oder Polizei mir sagt, dass ich nicht fotografieren darf. Aber ich habe mich immer überwinden können, zu fotografieren", erzählt Bangert, der es als seine Aufgabe erachtet, in diesen Situationen zu sein und das, was er erlebt, allumfassend zu dokumentieren.

Eine Doppelseite aus "War Porn": Blutender Mann

Kehrer Verlag

Aber was heißt "allumfassend"? Man kann den Bildausschnitt so wählen, dass ein Zaun offen ist oder man wählt den Ausschnitt derart, dass man nur den Zaun sieht. "Ja, man kann natürlich sehr einfach auch manipulieren. Als professioneller Journalist muss man so ehrlich arbeiten, wie man nur kann. Aber Objektivität im Journalismus gibt es nicht. Das, was ich mache, ist einmal ein Dokument des tatsächlich Geschehenen und es ist gleichzeitig meine Interpretation dieser Ereignisse. Es ist also nur ein Abbild dieser Ereignisse", antwortet Christoph Bangert.

Nicken und Augenblinzeln als Einwilligung

Grundsätztlich fotografiert er nur Menschen, die damit einverstanden sind. Oft werde er als einziger Ausländer von Menschen regelrecht dazu aufgefordert, obwohl sie sich in einer Extremsituation befinden. Schwerverletzte wären oft von Verwandten oder Freunden umgeben. Es wäre ganz selten der Fall, dass man alleine mit einem Opfer von Gewalt in einer Situation wäre. Selbst bei Toten sei das so. Das war auch der Fall, als ein Mann in Bagdad die Leiche seines Bruders gefunden hat, der zehn Tage zuvor entführt worden war.

"Zu dieser Zeit gab es unheimlich viele Entführungen in Bagdad von Sunniten und Schiiten, von der jeweils anderen Gruppierung. Diese Leute wurden furchtbar zugerichtet. Zu dieser Zeit wurden viele Menschen gefoltert, indem ihnen mit Akku-Schraubern in die Beine gebohrt wurde. Das kann man sich also überhaupt nicht vorstellen, was da passiert." Trotzdem wollte sein Bruder, dass der zu Tode gefolterte Mann fotografiert würde. Es gäbe einen gewissen Wunsch nach Veränderung, indem diese Taten bekannt würden, und dass von außen in diese schreckliche Situation eingegriffen würde, weiß Bangert. Meistens passiert jedoch überhaupt nichts. Alles, was er tun könne, wäre zu versuchen, das Material zu veröffentlichen. "Was wir dann mit diesem Material und diesen Informationen tun ist in unserer aller Hand, in der Hand der Gesellschaft."

Veröffentlicht wurden dann von einer Redaktion im Fall des zu Tode gefolterten Mannes am Ende nur Ausschnitte des Bildes, in dem nur die Füße des Toten zu sehen waren, die jedoch normal aussahen. Der Horror konnte dadurch überhaupt nicht vermittelt werden. Der Vorfall und die Fotos stammen aus dem Jahr 2006. "Das passiert nach wie vor. Jetzt gerade, in diesem Moment. Es werden nach wie vor viele Einheimische entführt, auch enthauptet. Das macht nicht nur ISIS, das machen auch schiitische Todesschwadronen und andere Gruppierungen. Dieses Leid, das die Bevölkerung im Irak und jetzt auch in Syrien erlebt, ist tatsächlich fast unbeschreiblich".

Eine Doppelseite aus "War Porn": Eine Leiche unter einem Tuch

Kehrer Verlag

Vertrauen in einheimische KollegInnen

Vor Ort arbeitet Christoph Bangert eng mit lokalen JournalistInnen zusammen, die auch kulturell übersetzen und erklären, was stattfindet. "Diese modernen Konflikte sind sehr kompliziert und vielschichtig. Wenn es Helden gibt, dann sind es diese einheimischen Übersetzer, Fahrer und Journalisten, zu denen der Konflikt gekommen ist. Die sollten wir eigentlich feiern, nicht uns Ausländer, die wir hinfahren und jederzeit wieder nach Hause fahren können."

Das klingt sehr einfach. Aber so wäre es. Natürlich würde es Mut erfordern, sich einzugestehen, dass man überfordert wäre. Aber die Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren, habe er. Panik, aus einer Situation nicht mehr rauszukommen, kenne er auch. Aber die verginge, vor allem durch die Anwesenheit Einheimischer. "Wenn die das aushalten können, muss ich das auch können".

Wozu sollte ich mir das anschauen?

Beim Betrachten von Christoph Bangerts Bildern bekommt man schnell einen überraschend anderen Eindruck dessen, was Krieg bedeutet. Es wird einem klar: Kriege finden nicht in Schützengräben statt.

Dass Menschen solche Fotos nicht anschauen wollen, weil sie fürchten, danach schlecht zu träumen, kann Christoph Bangert verstehen. Er hat selbst bei einigen der Bilder große Schwierigkeiten, sie anzuschauen. Das sind derart schreckliche Dinge, das könne einen nicht kalt lassen, dann wäre man kein Mensch mehr. Aber: "Es sind ja nur Abbilder und wir müssen uns damit beschäftigen. Wir müssen uns bewusst machen, dass es Menschen gibt, die dieses Leid und diese Schrecken und diese Kriege durchlebt und überlebt haben", so Bangert, "Meiner Ansicht nach ist es fast unmoralisch, diese Bilder nicht anzuschauen und das Leid dieser Menschen nicht anzuerkennen. Wir haben nicht das Recht zu sagen, damit will ich mich nicht beschäftigen. Wir müssen uns damit beschäftigen."

Eine Hand hält das Fotobuch "War Porn" mit einem Brieföffner oder einer Schere geöffnet

Kehrer Verlag

"War Porn" von Christoph Bangert ist im Verlag Kehrer erschienen und geht in die dritte Auflage. Einige Doppelseiten im Buch sind geschlossen. Als LeserIn kann man sie entlang einer Perforation öffnen und so selbst entscheiden, was man sehen will.

Drama vs. Horror

Wenn es nicht die schrecklichen Bilder sind, die sich gut verkaufen, welche dann? Es sind jene voll Drama. "Was die Leute manchmal verwechseln: Bilder, die den Horror zeigen, und jene, die das Drama zeigen. Konflikte sind dramatische Ereignisse. Da knallt es, es gibt Rauch, schreiende Menschen und Staub, rollende Panzer und Männer mit Waffen. Das sieht dramatisch aus. Und diese Drama-Bilder sehen wir häufig. Diese Bilder sind nicht falsch, sie sind Teil der Ereignisse. Aber es gibt auch den Horror. Dieses Elende, dieses Einsame, dieses absolut Traurige dieser Ereignisse. Und das lassen wir oft weg. Das macht uns so fertig im Grunde und wir flüchten uns in eine Berichterstattung, die sich auf dieses Drama beschränkt: Auf die Explosion und auf junge Typen mit Kalaschnikows."

Der sogenannte Islamische Staat hat die Regeln geändert

Früher versuchten Kriegsführende, ihre Gräueltaten zu verbergen. Jetzt rühmt sich der sogenannte Islamische Staat mit einer regelrechten Bildmaschine an Folter und Tötungen. "Früher mussten Kriegsparteien Journalisten einladen, um ihre Version der Ereignisse zu zeigen. Heute ist das nicht mehr nötig. Das ist das Neue: Durch die sozialen Netzwerke können die Empfänger direkt erreicht. Der Mittelsmann Journalist ist ausgeschaltet", erklärt Christoph Bangert die Veränderung. Umso gefragter wären JournalistInnen, die eine Alternative zur Propaganda bieten könnten. Aber der sogenannte Islamische Staat hat es einheimischen JournalistInnen schwer gemacht. "Eine Berichterstattung aus dem Irak und aus Syrien aus den Gebieten, die von ISIS beherrscht werden, ist gar nicht möglich. Das ist etwas Neues. Dass eine solch extreme Gruppierung einen Staat führt und keine Berichterstattung zulässt. Man nichts hat, außer die Propaganda."

Auch als BildbetrachterIn hätte man Verantwortung. Propaganda-Material an sich ist nichts Neues, es gibt auch Propanda-Material vom amerikanischen Militär oder der deutschen Bundeswehr oder anderen Kriegsteilnehmern. Christoph Bangert plädiert dafür, Propaganda als solche in der Bildunterschrift zu benennen und BetrachterInnen klar zu machen, man zeige dies, um klar zu machen, was dort gerade passiert. Standbilder aus diesen Videos, die die Enthauptungen der Ausländer zeigten, hält er für einen guten Weg der Printmedien, zu zeigen, was vor sich ginge.

"Ich würde nicht dazu raten, so ein Video anzusehen. Aber das Standbild von dem Video, wo man sieht, da ist jemand, der hat einen orangen Anzug an und dem wird im Laufe des Videos der Kopf abgeschnitten, hat eine Funktion. Und die ist nicht, die Werke des IS zu verherrlichen, sondern es macht klar, wie wahnsinnig diese Ideologie und diese Menschen sind." Video und Fotografie könne man dabei nicht vergleichen. Ein Bild kann man immer wieder betrachten. Man kann die Augen schließen und wieder aufmachen – das Bild ist noch da. Bildermacher schaffen nicht nur Dokumente, sondern Erinnerungen in den Köpfen der Menschen. "Wir erinnern uns in stehenden Bildern und Eindrücken, nicht in Sequenzen oder Texten", weiß Bangert.

"Ich schaue mir diese Hinrichtungsvideos nicht an. Das sind Kollegen. Und das könnte auch ich sein. Das kriege ich nicht hin, das kann ich nicht ansehen. Muss ich auch nicht. Ich denke, man muss sich aber mit dem Ereignis beschäftigen. Das fällt uns im stehenden Bild oft viel leichter."

Eine Doppelseite aus "War Porn": Gefesselter Mann

Kehrer Verlag

Und wie dokumentiert man Drohnenangriffe?

Moderne Kriege sind mehr und mehr technisiert. Man dürfe sich Kriege heutzutage nicht mehr vorstellen wie den Zweiten oder Ersten Weltkrieg, mit Schützengräben und einer Front. "So ist es natürlich nicht. Es ist alles sehr vielschichtig. Es sind oft Stellvertreter-Kriege, die dann wiederum nicht sehr technisiert sind. D.h., es ist tatsächlich so, dass die Kriegsparteien, die den Krieg antreiben, Zugang zu dieser Technik haben. Aber oft ist es so, dass die Leute, die tatsächlich kämpfen – syrische Rebellen – technisch gar nicht so gut ausgerüstet sind. Sondern das sind junge Männer mit Kalaschnikows. Und den Teil des Krieges wird es wohl immer geben. Wir haben die Illusion, dass durch die Technik der Krieg sauberer wird und Menschen nicht mehr zu schaden kommen. Das ist Quatsch. Meine Aufgabe als Journalist ist, nicht nur zu zeigen, wer jetzt mit dem Joystick in der Hand irgendwo in einem Container sitzt in Landstuhl oder wo und den Knopf drückt. Sondern ich interessiere mich für die Zivilisten. Ich will wissen: Wie gehen die ganz normalen Leute, zu denen der Krieg gekommen ist, damit um? Wie überleben die das? Wie schaffen die das? Die meisten Opfer der modernen Kriege sind Zivilisten."

Beliebig und alltäglich

Christoph Bangert war vergangenen Freitag zu Gast im Schauspielhaus Graz, anlässlich des Stücks „Cactus Land“ von Lily Sykes, bei dem ein Kriegsreporter im Mittelpunkt steht.

Das Leid der Zivilbevölkerung im Irak und in Syrien dürfe man nicht unterschätzen. Der heutige Konflikt ist in Bangerts Augen eine Fortführung des Krieges im Irak, der mit der Invasion der Amerikaner 2003 angefangen hat. "Die Menschen gehen durch die Hölle. Das kann ich schwer in Worte fassen. Dieser Terror, dem die Menschen ausgesetzt sind. Da wird nicht immer nur geschossen oder so, sondern das ist auch so im Versteckten. Familienväter sind auf einmal weg und unauffindbar, wurden entführt. Über Jahre. Die tauchen nie wieder auf. Niemand weiß, wo sie sind. Autobomben gehen irgendwo hoch im Markt. Da gehen Leute einkaufen mit der Familie – so, wie wir das auch machen. Und niemand weiß: Warum geht da jetzt die Bombe hoch?"