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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 11. 2015 - 14:40

The daily Blumenau. Monday Edition, 02-11-15.

Rapid Wien und die österreichische Selbstzufriedenheit.

#fußballjournal15

Ich hab' ein Problem mit Rapid Wien. Ja, nichts ganz Neues, aber so schlimm wie diese Saison war's schon lange nicht. Dabei läuft es, so ganz objektiv doch nicht so schlecht: exzellenter Saisonstart, Durchmarsch in Europa, gutes Teamgefüge und (nach einem völlig logischen Einbruch) immer noch in Schlagdistanz zum Herbstmeistertitel. Dazu am Samstag ein Heimsieg und am Donnerstag wohl die Quali fürs europäische Frühjahr. Rein subjektiv hat mir jedes einzelne diese Saison gesehene Rapid-Match körperlich weh getan. Und ich hab' lange gebraucht um zu kapieren, warum das so ist.

Es hat nicht, wie zunächst vermutet, mit der ausrechenbaren, redundanten Spielanlage Rapids zu tun, die mir - auch wieder subjektiv, diese Art von Fußball-Freund bin ich halt - immer dann aufstößt, wenn sie sich in zehn, fünfzehn gelungenen (und heuer auch sehr konsequent vorgetragenen, hocheffektiven) Spielminuten einen Sieg sichert, den sie die restliche Spielzeit weder angestrebt noch verdient hat. Wie es vor allem international der Fall war: gegen Ajax, Donezk, Villarreal, sogar zuletzt gegen Plzen war Rapid die oft deutlich reaktivere Mannschaft, die sich auf individuelle Klasse oder abgefälschte Bälle verlassen musste/konnte.
Aber: für ein Spitzenteam einer kleineren Nation ist genau das im Duell mit größeren Gegnern legitim. Das ist es also nicht.

Mein immer noch diffuses Rapid-Unbehagen hat sich dann eher in den Meisterschaftsspielen manifestiert, sowohl in den ganz lässig, wie nebenbei errungenen Erfolgen als auch bei den (auch irgendwie nebenher zur Kenntnis genommenen) Niederlagen und Enttäuschungen. Und es ist umso schwerer zu erkennen gewesen, weil Tradition und auch Spielanlage von Rapid den Kampf, das Sich-Reinhauen so weit vorne auf der Fahne stehen haben, weil dieses denken so bei/in Spielern/Zuschauern/Medien verankert ist, dass sich eine andere Sichtweise quasi von selber verbietet.

Aber: das Rapid-Spiel in der Herbstsaison stellt mir deshalb die Nackenhaare auf, weil es so erstaunlich selbstzufrieden ist. Man hatte (angesichts des Blitzstarts daheim und in Europa) schnell ein Gefühl guter Selbstsicherheit. Bei der möglichen Abbiegung in Richtung "jetzt noch einen draufsetzen!" nahm man dann aber die andere Ausfahrt, die wo "Maximum erreicht! - ab jetzt absichern!" draufsteht.

Das hat viele verschiedene Gründe (dazu noch später), ist aber fatal - weil sich genau hier der Unterschied zwischen Weltklasse in Österreich und echter Klasse offenbart. Genau an diesen Crossroads ist nämlich das ÖFB-Team vielen davongefahren. Und genau an diesem Punkt setzen Leute wie Peter Stöger, Ralph Hasenhüttl, Roger Schmidt oder Ralf Rangnick an. Genau dann, wenn es läuft, noch mehr investieren: variantenreicher werden, Coaching und Training intensiven, die nächste Stufe zünden, neue Reize und Herausforderungen setzen.

Bei Rapid ist das passiert, was - mit den erwähnten Ausnahmen - immer passiert, wenn ein Austro-Team kurzzeitig Erfolg hat: man hält sich für unbesiegbar und genügt sich darin, immer wieder das zuletzt Gezeigte abzurufen; man gefällt sich also in Stagnation.

Rapid hatte wahrscheinlich gar keine andere Chance: dem Rekordmeister fehlt die entsprechende Unternehmens-Kultur, man hat erst vor kurzem Nachwuchsarbeit und Scouting professionalisiert, in den Profibereich konnte das noch nicht durchschlagen. Das A-Team spielt seit Jahren denselben Stiefel, ein lapidares (auch wegen unverrückbarer Fixgrößen wie Steffen Hofmann) und starres System. Hickersberger, Pacult, Schöttel und jetzt Barisic (also vier der letzten fünf Trainer) eint vor allem ihre Unbeweglichkeit. Um aus einem Lauf heraus etwas zu bewegen, aufzubauen und mitzunehmen, um also das Momentum zu nützen, bräuchte es schnelles Zupacken.

Dem Team um Zoran Barisic Vorhaltungen zu machen, das geziemt sich aber nicht - wie sollen sie's wissen/können? Die Ausnahmen sind rar gesät und entspringen in internationalen Quellen oder in Querdenker-Köpfen.

In den letzten diesbezüglich eh schon verbesserten österreichischen Fußball-Jahren ist so etwas nur dreimal gelungen: dem ÖFB-Team unter Koller, RB Salzburg unter Rangnick/Schmidt (ein bissl auch unter Adriaanse) und der Austria unter Stöger/Schmid. Alle drei spielen jetzt hochklassig (bei der Euro, der Champions League bzw in der deutschen Bundesliga). Und zwar vor allem deshalb weil sie eben nicht in Selbstzufriedenheit zerflossen sind, als es gut gelaufen ist, sondern weiter Druck gemacht haben. So wie es Peter Stöger gefühlt alle paar Wochen in Köln und Rangnick selbst dann täglich verströmt, wenn er wie jetzt mit Leipzig die Tabelle anführt. Und so wie der unbeirrbare Koller sowieso.

Nichts mitgenommen hat die Austria, die nach dem Stöger-Abschied Nachfolger Schmid verjagte und in ein jahrelanges Loch fiel. Wenig mitbekommen hat das immer wieder runderneuerte Salzburg, dessen beste Ideen nach Leipzig transferiert wurden. Die erwähnten Trainer aber und das ÖFB-Team spielen jetzt mit den großen Kindern im Käfig, während die anderen in der Sandkiste bleiben. Weil das scheinbar genügt.

Rapid hat es in der Hochphase - schon rein mental - einzig drauf angelegt, die Form zu konservieren. Mit der (von Marcel Koller jüngst elegant entzauberten) Doppelbelastungskeule auf der Reservebank der Ausreden. Ohne Anspruch auf mehr. Trotz deutschen Sportdirektors.

Mittlerweile ist mir auch der Grund des Schmerzes klar, den mir das Rapid-Spiel diesen Herbst bereitet: es ist dieses Sich-Fügen in österreichische Realitäten, dieser Verzicht auf das "Mehr", das Selbstbeschädigende in der Selbstzufriedenheit, die dann besonders virulent wird, wenn Medien/Öffentlichkeit und die Branche selber nur die Oberfläche erkennen und die darunter liegenden Möglichkeiten übersehen. Das tut höllisch weh.