Erstellt am: 2. 11. 2015 - 12:28 Uhr
Meeting the Supernerds
Angela Richter dürfte ein paar aufregende Jahre hinter sich haben. Begonnen haben sie mit einem Abendessen vor vier Jahren, das die Theaterregisseurin auf Ebay ersteigert hat. Kein gewöhnliches Abendessen. Mit im Paket für 1600 Euro: der Philosoph Slavoj Žižek und Wikileaks-Gründer Julian Assange. Richter recherchierte gerade für ein trans- und multimediales Theaterstück, das von Überwachung und Whistleblowern handeln sollte. Die Gelegenheit mit Julian Assange sprechen zu können, durfte sie sich nicht entgehen lassen. Julian Assange war nur der erste Whistleblower, mit dem Richter in den kommenden Jahren sprechen sollte.
GUARDIAN/GLENN GREENWALD/LAURA POITRAS
Kein Journalismus
In Supernerds folgt man den Gesprächen mit Daniel Ellsberg, Jesselyn Radack, Jeremy Hammond, Thomas Drake, William Binney, Barret Brown und Edward Snowden. Es sind keine journalistischen und auch keine kritischen Gespräche, die Richter geführt hat. Das stellt sie schon im Vorwort klar.
"Ich werde oft gefragt, wie ich die Distanz zu meinen Interviewpartnern wahre, wie ich ihnen gegenüber objektiv bleibe. Meine Antwort lautet: gar nicht. […] Ich mache aus meiner Bewunderung für ihre Taten und ihren Mut keinen Hehl. Warum sollte ich auch? Ich bin keine Journalistin und ich möchte nicht, dass man mir die üblichen vorgefertigten Antworten präsentiert."
Angela Richter sprach mit den Whistleblowern über deren Motivationen und Moralvorstellungen und auch über Positionen zu Themen wie Überwachung, Vernetzung, Demokratie und Patriotismus. Beispielsweise erfährt man etwas über Assanges Kunstbegriff, über seine Einstellung zu Aufklärung und Humanismus und über seine Vorstellung einer idealen Gesellschaft:
Alexander Verlag Berlin
"Es gibt also meiner Meinung nach einen Idealzustand, der eingetreten ist, wenn jeder Mensch uneingeschränkten Zugang zu der gesamten Geschichte der Welt hat. Geschichte darf nicht manipuliert, zensiert, gelöscht oder unvollständig überliefert werden. Wenn wir danach streben, perfekte politische oder philosophische Theorien zu entwickeln, muss zuerst das Wissen, das diesen Theorien zu Grunde liegen soll, komplett zugänglich sein."
Im Kopf der Unbequemen
Was man sonst als journalistische Meldungen in den Medien überfliegt, wird in Supernerds unmittelbarer und plastisch. Die Protagonisten der "Skandale" kommen selbst zu Wort, es sind intelligente, teilweise widerborstige und sehr unterschiedliche Charaktere. Was sie erzählen, macht jedenfalls neugierig weiter in ihre Welt einzutauchen.
Aus den acht Interviewpartnern sticht Jeremy Hammond in seiner Kompromisslosigkeit besonders heraus. Der 30-Jährige bezeichnet sich als Anarchist, ist Anonymous-Mitglied, Hacker und Aktivist. 2011 wurde er für den sogenannten Stratfor-Hack verantwortlich gemacht. Dabei wurden fünf Millionen Emails und 60.000 Kreditkartendaten einer privaten Sicherheitsberatungsfirma entwendet, die u.a. für die Überwachung der Occupy-Bewegung verantwortlich sein soll. Hammond zerstörte die Server und mit Hilfe der Kreditkartendaten spendete er Gelder an Menschenrechtsorganisationen. Er ist einer der wenigen, die verfassungswidrige Überwachung in den USA nicht nur aufdeckten, sondern auch in die Offensive ging.
"Wir können den Spieß umdrehen, indem wir erstens lernen,
uns selbst zu verteidigen: eine Sicherheitskultur pflegen, von der Bildfläche verschwinden, im Internet nur noch anonym agieren. Zweitens
können wir den militärisch-industriellen Komplex durch Hackerangriffe
und die Veröffentlichung interner Informationen gewaltsam
entlarven."
In ihrem Buch gibt Angela Richter spannende Einblicke in die Gedankenwelt der großen Unbequemen, der Querulanten unserer Zeit. Es gibt kaum mythologische Vorbilder für den Wahrheitssucher, den unrühmlichen Aufdecker. Für Angela Richter sind das Helden: Supernerds.