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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

31. 10. 2015 - 10:00

Glückseligmachende Gänsehaut

Die wahnwitzigen Halloween-Horror-Nights in den Universal Studios in Los Angeles: Ein Erlebnisbericht.

Endlich angekommen: Dieses Gefühl empfand ich mehrfach im Rahmen einer ausgedehnten Kalifornien-Rundreise, die vor kurzem endlich mit Freunden unternehmen durfte. Angekommen an jeden Orten, die mich über den Umweg des Kinos und des Fernsehens von Kindheit an verfolgten. Und die mich als Bewegtbild-Süchtigen größtenteils mehr prägten als mein steirischer Heimatort oder die spätere Wiener Umgebung.

Angekommen in den Straßen von San Francisco, wo so viele Cops ermittelten, in den zerklüfteten Felsenlandschaften von Alabama Hills, in denen unzählige Western gedreht wurden, in der existentialistischen Leere des Death Valley, in die Michelangelo Antonioni einst seine desillusionierten Hippies schickte, in der sonnenverbrannten Weite der Mojave Wüste, in der zuletzt Christian Bale unter der Regie von Terrence Malick strandete. Und natürlich in Los Angeles, wo an jeder Ecke die Filmfiktion mit der Realität kollidiert.

Ebendort ereignet sich dann eine Ankunft der ganz speziellen Art. Eine gloriose Heimkehr in das Reich der Zombies, Aliens und Slasher, in dem ich mich seit pubertären Bubentagen ganz besonders zuhause fühle. Die „Halloween Horror Nights“ in den Universal Studios, die den ganzen Oktober über stattfinden, versprechen geballte Schockerlebnisse und die Konfrontation mit heißgeliebten Movie-Monstren.

Halloween Horror Nights

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Abend der albtraumhaften Inszenierungen

Don’t open, dead inside“ verkündet ein riesiges Graffiti auf den Toren der Universal Studios, natürlich eher eine Verheißung als Abschreckung für meine Begleiter und mich. Eher bedrohlicher wirken dann schon die gewaltigen Menschenmassen, die sich an diesem warmen Sonntagabend im Oktober vor dem Eingang zusammenfinden.

Aber dank der typisch lockeren kalifornischen Attitude, die uns oft auf der Reise begegnet, macht hier niemand Stress. Schnell und höflich wird das Prozedere, das dem Sicherheitscheck am Flughafen gleicht, abgewickelt, auch wir wollen schließlich nicht, dass sich ein echter Attentäter unter die Unmengen an falschen Killer schmuggelt, die hier das Gelände überfluten.

Halloween Horror Nights

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Dann schürt eine Dame auf einem Podest Hysterie und Euphorie gleichermaßen. „Wir sind ausverkauft, Ladies and Gentlemen, 22.000 Leute sind auf dem Gelände, es wird die Nacht der Nächte, are you ready for Horror and Terror alnight?“ Stichflammen tosen auf, Explosionen werden vom Kreischen tausender Menschen übertönt, Darsteller mit Grusel-Masken und heulenden Kettensägen stürmen auf die Menge los.

Wir lernen gleich am Anfang: Hinter den unzähligen Maskierten an diesem Abend stecken sensible Akteure, die wie elegante Ballettänzer zwischen den Besuchern hindurchsausen, mit ihren äußerst echt aussehenden Waffen (Äxte, Messer, Schwerter, Baseballschläger) nie wirklich in die Nähe kommen, auch wenn es bis zum letzten Moment so aussieht. Das hochkonzentrierte Grauen, verteilt auf etliche Spukhäuser, Thrillrides und auf das gesamte Freiluftgelände, ist ein choreografiertes Spiel mit fixen Regeln und null realer Gefahr. An albtraumhaften Inszenierungen mangelt es bei den „Halloween Horror Nights“ aber ganz und gar nicht.

Halloween Horror Nights

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Michael, ich bin zuhause

Wie liebevoll das heidnische Horrorfest in den Universal Studios tatsächlich (vor-) gefeiert wird, erleben meine Kumpels und ich im ersten „Maze“, zu dem wir dank sündhaft teurer Front-of-the-line-Pässe sofort vorgelassen werden. Wir betreten das Heim von Michael Myers, eingerichtet im Stil des legendären „Halloween“-Originals von John Carpenter, also quasi einen heiligen Pilgerort für meine Wenigkeit.

Halloween Horror Nights

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Raum für Raum tasten wir uns, eingereiht in eine endlose Schlange, durch die Dunkelheit. Neben und hinter uns taucht Michael immer wieder aus dem Nichts, sticht mit seinem Küchenmesser an uns vorbei, begegnet uns auch in seiner kindlichen Inkarnation mit Clownmaske. Als wir ein Schlafzimmer betreten, in dem eine blonde Frau im Bett liegt und sich von hinten das Böse mit übergeworfenem Leintuch nähert, wird mir klar, wie manisch man hier Carpenters Meisterwerk nachstellt. Wohl hunderte Male stranguliert der Michael-Darsteller sein röchelndes Opfer an diesem Abend für die Zuseher, nicht auszumalen, was all die Akteure hier im Dienste des schaurigen Entertainments leisten.

Bevor uns die laue Nachtluft wieder hat, werden wir in ein Spiegelkabinett geführt. Mehrere identische Michaels laden dort drin zur Audienz, einige zucken aus ihrer Starre auf. Als ich an ihnen vorbei taumle, klopft mein Herz vor allem vor unbändiger Freude. „Michael, I’m home!“ möchte ich schreien, mein größter Traum ist in Erfüllung gegangen, ich bin mitten in einem Lieblingsfilm gelandet.

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Kannibalen-Schlachtkammern und Endzeit-Partys

Mit jedem Maze, den wir betreten, steigert sich die Euphorie. Schon alleine das Titelthema von „The Walking Dead“, dass aus Lautsprechern plärrt, macht mich kribbelig, als die ersten Zombies auf uns zutorkeln. Wie in der Serie selbst sind aber die Menschen noch entschieden gefährlicher. Eine Kannibalen-Schlachtkammer, in der vor einem Trog bedauernswerte Darsteller aufgeschlitzt werden, gehört zu den makabersten Sichtungen des Abends. Ich werde wohl nie wieder die süße „Zombie Bahn“ im Wiener Prater beehren, nach einem mehrgängigen Hauben-Menü des Grauens lässt sich schwer zur Tiefkühl-Kost zurückkehren.

Halloween Horror Nights

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Fast schon putzig und wohlig gruselig dagegen wirken die Spukhäuser von „Insidious“ und „Crimson Peak“, in letzteres lädt Guillermo del Toro mittels Videobotschaft. Ich möchte in den ungemein stilvoll dekorierten Räumen verharren, die Details studieren, hier am liebsten einziehen, aber die Mitarbeiter schieben uns durch, denn in der Schlange draußen warten Tausende.

Auch vom Bildschirm grinst James Franco, der zur Weltuntergangs-Party ruft: „Welcome to my house, the apocalypse is waiting!“ Mit einer 3D-Brille tapsen meine Freunde und ich durch das psychedelische Inferno von „This Is The End“, einen fast schon jugendfreien Rausch aus bizarrem Kiffer-Humor und knallbunten Ungeheuern, der zu den originellsten Erfahrungen der „Halloween Horror Nights“ gehört.

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Aliens, Achterbahnen und Angstattacken

Der Tonfall verschärft sich wieder in einer Lagerhalle, in der die Auseinandersetzung „Alien vs. Predator“ droht. Erfreulicherweise muss ich nie an die schrottige Franchise denken, die Paul W.S. Anderson einst initiierte. Sondern an den seligen H.R. Giger und seine einmaligen Visionen. Für die Effekt-Zauberer der Universal Studios ist der Event die perfekte Gelegenheit, maximale Alien-Action zu bieten. Zugegeben, es ist auch nicht ohne, dass der zotteligen Predator hier hinter jedem Mauervorsprung lauert.

Aber als wir in einen Raum kommen, in dem eine Gruppe von Menschen, von Facehuggern bedeckt, wild herumzuckt, schließen sich für mich knisternd Schaltkreise in meinem Kopf. Mein 14-jähriges Ich, dass einst in einem Provinz-Kinosessel tiefer rutschte, als sich ein geiferndes Alien auf Sigourney Weaver stürzte, erwacht wieder. Es ist unglaublich. Die Präzision, der Aufwand, der Bombast, das viele Kunstblut. Ein ausgeweidetes Opfer brüllt, unter dem Haufen aus Latex-Haut und Plastik-Eingeweiden steckt eine Darstellerin, ich möchte mich bei ihr bedanken, but the show goes on.

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Ich laufe mittlerweile mit einem Dauergrinsen durch die Zuschauermenge, die übrigens zu einem überwiegenden Teil aus Latinos zu bestehen scheint, die gleich mit der ganzen Familie den Schrecken zelebrieren. So aufgeganserlt bin ich, dass mich meine Begleiter nach all den Spukhäusern zu einem Ride überreden. Dabei jagen mir im Prater selbst die harmlosen Achterbahnen nackte Angst ein. Gebt mir bluttriefende Monster, Boogey Men und Gummi-Gedärme, aber nur wenn ich dabei festen Boden unter den Füßen habe.

Ausgerechnet der infantile „The Mummy“-Ride (was für ein öder Film) beschert mir dann sowas wie die erste Panikattacke meines Lebens. Alle weiteren Höllenritte werden dann ohne mich absolviert, nur in das „Transformers 3D“ Spektakel wage ich mich noch, nachdem mir meine Freude schwören, dass man dabei bloß virtuell durchgerüttelt wird. Spaß machen der unfassbare Bombast und die sinnlose Zerstörungswut des Michael Bay trotzdem nur bedingt. Auch wenn ich in den paar Minuten die Zukunft des Blockbuster-Kinos gesehen habe, möchte ich wieder mit Michael Myers in seinen Häuschen gemütlich kuscheln.

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Can I please kill you?

Aber nach einer Erholungspause in Springfield bei einem Krustyburger geht es zum Finale. Wir besteigen die „The Purge: Terror Tram“ und tuckern mit etlichen anderen Besuchern zu einem dunklen Waldstück. Dort lauert bereits ein illustres Häufchen Serienkiller und Massenmörder im Gebüsch, die zynische Satire des dazugehörigen Films, der den amerikanischen Waffenwahn parodiert, wird mit wehenden Flaggen und unzähligen Akteuren zum Leben erweckt.

Alle Fotos: Christof Baumgartner/Christian Fuchs

Am Ende des Pfades, nach einigen ausgesucht brutalen Tableaus, bleibt uns die Luft weg. Ein riesiges Flugzeug-Wrack liegt herum, eine Front zerbombter Häuser wartet, überall liegen Gummi-Leichenteile, ein Mitarbeiter klärt auf, dass das Set von „War Of The Worlds“ in den Halloween-Wahnsinn integriert wurde.

Was kann diesen Aufwand noch toppen? Auf jeden Fall ein Selfie mit Norman Bates. Schon als im Dunkeln das „Psycho“-Haus auftaucht, schießen Tränen der Rührung in meine Augen. „Can I kill you?“ fragt mich das Anthony Perkins-Double dann beim Fotoshooting. „Sure Norman!“ nicke ich und habe das Achterbahn-Trauma wieder vergessen. Besser geht es nicht mehr.

Halloween Horror Nights

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Auf dem Weg zum Ausgang, den wir durchaus auch etwas erschlagen von der totalen Sinnesüberreizung antreten, begegnen uns dann noch alte heimische Bekannte. „Dark Christmas“ nennt sich eine düstere Hommage an den Krampus und das österreichische Perchtentreiben. Als der Nikolaus persönlich mit einer blutigen Axt auf mich zukommt, schließt sich ein besonderer Kreis. Ausgerechnet hier, in der schwülen kalifornischen Nacht, fühle ich mich tatsächlich in die ländliche Kindheit zurückversetzt. Nur schreie ich diesmal nicht, wenn die Krampusse ausschwärmen. Sondern lächle glücklich. Endlich angekommen.