Erstellt am: 28. 10. 2015 - 16:28 Uhr
FM4 Homebase Spezial: Viennale 2015
Filmemacher Stephan Richter und sein Kameramann Enzo Brandner tauchen in streng geordnete Supermarktgänge und eine bunte Warenwelt ein. Im Kontrast dazu hängen Jugendliche fadisiert am grauen Parkplatz des Konsumstempels herum. Wenn sie nicht durch die Vorstadt cruist, provoziert die Clique die abstumpften Erwachsene rund um sie und umgekehrt. Jeder kennt jeden an diesem Nicht-Ort.
Im Drama "Einer von uns" wird der 14-jährige Julian die Nacht nicht überleben. Vor rund sechs Jahren hat ein Polizist in Lerchenfeld, einem Vorort von Krems den 14-Jährigen Florian P. von hinten erschossen, weil er nachts in einen Supermarkt eingebrochen war.
Stephan Richter aus Dresden, der in Wien studiert hat und lebt, hat sich von diesem medial sehr kontrovers diskutierten Fall für seinen ersten ganz hervorragenden Spielfilm inspirieren lassen. "Einer von uns" feiert am Samstag seine Österreich-Premiere auf der Viennale und startet am 20. November regulär in unseren Kinos. Petra Erdmann hat Regisseur Stephan Richter in die FM4 Homebase Spezial zur Viennale eingeladen.
Warum wolltest du diesen Stoff als Ausgangspunkt deines ersten Spielfilms nehmen?
Das waren zwei Impulse. Der eine war die eigene Empörung darüber, wie das Thema abgehandelt wurde. Und es gab auch eine gewisse Identifikation mit dem Jungen, der Sachen gemacht hat, die mir aus meiner eigenen Jugend bekannt vorkommen. Ich fand diese Verurteilung als Kriminellen oder Kleinkriminellen ziemlich erschreckend. Und dass es da eigentlich keine Aufarbeitung in dem Sinne gab, dass man sich vielleicht auch einmal so positioniert, dass es einfach falsch ist, ein Kind, egal was es tut, zu erschießen.
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Was hat dich an der medialen Diskussion über diesen Fall besonders empört?
Ich fand, dass die österreichische Gesellschaft da nicht klar genug Stellung bezogen und gesagt hat: Egal, was er gemacht hat, wir wollen das nicht und es gilt auch, das künftig zu verhindern. Es geht auch gar nicht darum, dass man diesen Polizisten jahrelang ins Gefängnis steckt, sondern einfach darum zu diskutieren: Was passiert da? Und wie kann man so etwas verhindern?
Michael Jeannée von der Kronen Zeitung hat ja damals den Fall in etwa so kommentiert: Jemand der mit 14 alt genug ist, einzubrechen, ist auch alt genug, zu sterben. Wie waren die Recherchen in einem Fall, der auf wahren Tatsachen beruht? Kann man da alles machen als Spielfilmautor und Regisseur?
Man kann natürlich nicht alles machen, man hat ja auch eine gewisse Verantwortung, mit dem Thema respektvoll umzugehen. Ich habe mich langsam über den Prozess herangetastet . Ich hab erst mit Prozessbeobachtern wie zum Beispiel Amnesty International gesprochen, um einmal eine Faktenlage zu haben. Ich bin nach Lerchenfeld gefahren, wo das passiert ist, hab mir dort die Gegend angeschaut, hab geschaut, wie die Jugendlichen leben, wie sie so rund um diesen Supermarkt agieren. Und letztendlich bin ich dann bei betroffenen Personen gelandet, soweit sie mit mir reden wollten. Manche wollten das nicht, manche waren offener. Und so hab ich dann mein Szenario langsam aufgestellt. Bei diesem Figurenensemble im Film, da haben wir schon auch frei gearbeitet und geschaut, dass gerade die jugendlichen Schauspieler auch aus sich heraus die Geschichte erleben und in sich auch den Florian P. finden und sich überlegen: Wie würden wir reagieren, wenn wir in so eine Situation kommen? Es ist auch viel im Dunkeln geblieben, was den Fall angeht, es sind viele Rätsel und Fragen offen geblieben. Das heißt, ich musste auch eine eigene Interpretation wagen.
Deine Bilder zeichnen sich auch durch eine Präzision und eine Art der Sterilität aus. Es gibt auch so eine Form der Isoliertheit, die die Jugendlichen in so einem Setting haben. Welchen Stil wolltest du finden, um diese Tragödie einzufangen?
Der Ausgangspunkt und der künstlerische Impuls, diese Geschichte zu machen, war für mich ein Bild, das ich vor mir hatte: ein Bild von einem toten Jungen, der in einem Supermarkt in all diesen Farben und falschen Versprechungen liegt. Dieses Bild ist immer noch ein starker Teil des Films, weil es sehr viel über die Sinnlosigkeit dieser Geschichte aussagt und auch über das Traurige und das Verstörende daran. Ich hab versucht, diesem ersten Impuls im Film auch weiter Luft zu geben, und letztendlich ist das so eine Gegenüberstellung geworden von einer sehr streng formalen, geordneten, cleanen Welt und einer Welt der Jugendlichen, die vielleicht ein bisschen lebendiger oder eben nicht so formal greifbar ist. Bis auf diese Gegenüberstellung hab ich mich eigentlich sehr intuitiv herangearbeitet.
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Wie sehr hat dich dein künstlerischer Weg als Experimentalfilmemacher bei deinem ersten Spielfilm beeinflusst?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich meine Arbeit gemacht habe, bin ich immer von so kleinen Intuitionen ausgegangen, die man hat, wenn zum Beispiel kurz vorm Einschlafen ein Bild in den Kopf kommt. Auf das aufbauend hab ich weitergearbeitet, gar nicht immer daran denkend, was dann das Endprodukt sein könnte, weil man in der Kunst recht frei ist. Manchmal wird es ein Experimentalfilm, manchmal eine Fotografie, manchmal etwas ganz Anderes. Und in diesem Fall war es eine Geschichte, es war ein Spielfilm, da kann man dann nicht zum Beispiel eine Skulptur daraus machen. Ich weiß nicht genau, was der Vorteil daran ist, da so heranzugehen. Aber vielleicht einfach, dass man ein bisschen wegkommt von diesen klassischen Erzählmustern, die einem im Film immer recht schnell gepredigt werden. Vielleicht war ich da ein bisschen freier und hab mich da ein bisschen frecher bewegt.
Wie ist es dir gelungen, so eine Form der Authentizität herzustellen bei den Leuten, die da herumhängen und herumcruisen in der Supermarkt-Landschaft und an diesen Nicht-Orten?
Wovor ich am Anfang sehr viel Angst hatte, war die Arbeit mit Jugendlichen. Letztendlich war das das Schönste und der größte Vorteil an dem ganzen Projekt. Wir hatten teilweise Rollen schon sehr früh besetzt und haben eigentlich schon ein bis eineinhalb Jahre vorher mit Kids an Rollen und Ideen gearbeitet. Das sind natürlich keine Schauspieler, sondern man versucht, die Zeilen die man da so schreibt, nach deren Gestus und deren Art wieder aufzunehmen und zu verbessern. Das war eine Interaktion, ein Geben und Nehmen.
Heute ab 19 Uhr: Homebase Special zur Viennale 2015
Das Interview mit Regisseur Stephan Richter gibt es heute, Mittwoch, ab 19 Uhr in einer Homebase Spezial zur Viennale 2015 zu hören. Das genaue Programm findest du hier.