Erstellt am: 27. 10. 2015 - 18:48 Uhr
Die Mehrzahl von Elvis ist El Vy
Eigentlich fragt man ja immer zuerst nach der Familie: Ob der Bruder vom National Frontmann schon eine Wohnung oder vielleicht Geschirr hat, das nicht nur aus Plastik besteht. Aber zu diesen Höflichkeiten kommt es nicht, denn um Tom Berninger, der über die Band seines Bruders und über seine eigene Suche nach kreativen Ausdrucksmitteln die Doku "Mistaken For Strangers" gedreht hat, muss man sich eh keine Sorgen machen. Er ist jetzt Musikvideo-Regisseur für das neue Bandprojekt seines Bruders: El Vy. Dieses hier ist zum Beispiel das Video zur ersten gleichnamigen Single „Return To The Moon“. Zu sehen ist das Studio in dem Brent Knopf und Matt Berninger aka El Vy die Platte gemischt haben.
Während die National Mitglieder sich ihren eigenen Familien oder Jobs widmen (Aaron Dessner zum Beispiel war im Sommer als Produzent von Frightened Rabbit tätig), hat Matt Berninger mit Brent Knopf (Menomena, Ramona Falls, Dear Reader) eine neue Band gestartet. Eigentlich darf man Band gar nicht sagen: "I dont need another band! I love my band! I have a band!" Einigen wir uns also auf eine Kollaboration unter Freunden. "All the other guys in the National are collaborating with other people and we always had this philosophy that it's good to go and experiment and chase your creative ambitions!" meint der gutgelaunte und eloquente Sänger.
El Vy wird geboren, als Brent Knopf mehrere Gigabytes Songskizzen an Berninger schickt. Bei einer gemeinsamen Tour hat man sich schätzen gelernt. Zwischen der Aufforderung "If you have some leftover stuff, send it to me!" und der Veröffentlichung von "Return To The Moon", dem Ergebnis dieser Zusammenarbeit , vergehen zehn Jahre. Auf "12 hours of musical ideas" sind 11 Songs. "I love this record! It's different to the National." schreit Matt Berninger durch das Telefon als uns das Plattenlabel zu einem Gespraech verbindet.
Ohne Rücksicht auf Verluste
El Vy
„If you´re gonna make art: you´re gonna make art recklessly. No good stuff comes from safe choices!” meint er im Interview. Das neue Projekt ist trotz der Umtriebigkeit der National Bandmitglieder eine Überraschung. Auch wenn viele der Songs eine ähnliche emotionale Tiefenschärfe wie Songs von the National besitzen: El Vy ist abwechslungsreicher, zeitweise verspielter, hat mehr Pop und mehr: Soul.
Höre zum Beispiel „Paul is Alive“
Ein schön sentimentaler Song über die Liebe zur Musik. Und dass die Mama meint, früher war nicht alles besser. Klarerweise werden nicht nur die Beatles genamedroppt sondern auch Hüsker Dü, The Smiths und The Cramps. Und eine Venue namens Jockey Club. Der Song ist eine Liebeserklärung an die Zeit als man zum ersten Mal Livemusik erlebt hat und Fan geworden ist. Von Hüsker Dü oder den Minutemen. Frei nach dem Motto „This Band Could Be Your Life”.
In einem ersten Interview zum Projekt meinte Matt Berninger das Album sei „almost like a musical“, inspiriert von einer Freundschaft zweier Musiker, die Punkgeschichte geschrieben haben: Mike Watt und D Boon, den viel zu früh verstorbenen Sänger und Gitarristen der Minutemen. Denkt an eure „better half“ oder den einen Freund, die eine Freundin, die euch inspiriert, herausfordert, mit denen ihr durch dick und dünn geht. Diese Symbolik steckt hinter den beiden Punkrockern.
Auf „Return To The Moon“ heißen diese Charaktere Didi und Michael. “I´ve never been so alone until I read that the Minutemen are dead” singt Berninger in “It´s a game” und in “Sad Case” dem Song auf den Brent Knopf besonders stolz ist, heißt es “Michael, I´ve been a sad case”.
Ein inhaltliches Konzept zum Album gab es eigentlich nicht, widerspricht sich Berninger am Telefon. In den Texten verarbeitet er verschiedene Seiten eines Rockstar-Lebens: Einsamkeit. Wie zum Beispiel in „Need A Friend“ in dem Berninger sein National-typischen Urschrei-Gesang geradewegs beim Wort „heartbreaking“ anwendet und darum fleht, man möge ihm doch ein Freund sein, statt einen mit Liebe zu überschütten.
4AD/El Vy
Ähnlich wie bei Nick Cave, der trotz aller musikalischen Schwere & Melancholie, in seinen Texten auch immer seinen Humor durchschimmern lässt, darf jetzt endlich auch Matt Berninger die Humorkeule auspacken, wenn er zum Beispiel in „I´m the Man to be“ über Rockstar Klischees singt. Er muss selber lachen, als er zugibt, dass die Person in diesem Song seiner eigenen Person am Nächsten kommt. Die Details im Song („No autoerotic asphyxiation is not one of my habits!“) sind vielleicht erfunden, aber den Gefühlszustand dieser Person, kennt er nur zu gut: „The character who is just sad and depressed and drunk and fucked up and lost and angry and desperate that’s totally me. I ´m not a good socializer on tour and after shows, I can’t have smalltalk! I´m too tired and stressed out. I go back to the hotel room and call my wife. Many times you´re somewhere and you can’t reach anybody that you need to talk to (and the song) was channeling those moments of ten years in the National where I´m just falling apart. But I´m a relatively conservative rock star, I´m not Motley Crue but sometimes I turn into a pathetic lonely version of Mötley Crue!”
Eine großartige Nummer, wie auch das gesamte Album eigentlich keinen schlechten Song hat und auch im Dauerloop in voller Albumlänge ein guter Begleiter durch den Tag ist. So gut, dass man sich ehrlich fragen muss: Wie sehr wird es mir wehtun, wenn ich die Reise nach Deutschland NICHT unternehme um mir El Vy Anfang Dezember live anzusehen?
Zu wünschen ist Brent Knopf und Matt Berninger aka El Vy die Weltherrschaft natürlich, aber wer weiß, wie oft sie aus logistischen Maßnahmen überhaupt touren werden. Also lautet die Antwort: es wird wehtun diese Band bei der Liveumsetzung des Albums nicht live zusehen.