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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

25. 10. 2015 - 14:48

Schönes Kraut, Konfusion in der Disco

Der Samstag beim Elevate Festival in Graz. Suuns & Jerusalem in My Heart, Demdike Stare und mehr.

Elevate Festival

Das Grazer Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs findet von 22. bis 26.10. in Graz statt.

Mehr zum Diskursprogramm beim Elevate Festival hier von Maria Motter, das sind die fünf Nominees für den Elevate Artivism Award 2015

Das vollständige Lineup des Elevate 2015 steht hier.

Es gibt auch Gitarren beim Elevate Festival in Graz, man soll das nicht vergessen. Am Samstag beispielsweise in Gestalt eines kollaborativen Auftritts der beiden kanadischen Projekte Suuns und Jerusalem in My Heart, der den Dungeon oben im Berg gut bis fast an den Rand vollmachen konnte.

Zunächst scheinen die zwei Acts wenig gemein zu haben, so entstehen in der Zusammenarbeit Reibungen und neue Symbiosen. Suuns entspricht dem Typus der recht klassischen coolen Indie-Band mit Quirks und Art-Einschlag, vier Typen, Bass, Gitarre, Schlagzeug, Synthesizer und ein paar Spritzer Elektronik, veröffentlicht wird bei einem krediblen "Indie"-Label wie Secretly Canadian. Bei Jerusalem in My Heart handelt es sich um das Unternehmen des ursprünglich aus dem Libanon stammenden Sounddesigners, Multimediakünstlers und Musikers Radwan Ghazi Moumneh, der Folklorismen seiner Heimat in eine elektronische Avantgarde führt.

Suuns

Clara Wildberger

Suuns & Jerusalem in My Heart
Jerusalem in My Heart

Clara Wildberger

Dieses Jahr haben Suuns und Jerusalem in My Heart gemeinsam ein schönes Album aufgenommen - dessen Nachstellung die Künstler in der Live-Darbietung aber nur stellenweise interessiert. Ähnlich wie die Platte recht schnell und wenig vorbereitet entstanden ist und mit voller Absicht den Geist von Improvisation transportieren soll, verstrahlt auch die Performance zwischen aufblitzenden Song-Momenten und -Passagen vor allem einen mäandernden, ausfransenden Jam-Charakter.

Es hallt und rauscht, ganz klar sind hier die Vorbilder im Krautrock der 70er zu finden, vor allem bei der Gruppe Neu! und ihrem oft kopierten Motorik-Beat. Der Krautrock führt zum Spacerock, ewige Echos, halluzinogene Psychedelik, dazu integriert die Gruppe Elemente von traditionellen Musiken aus dem Nahen Osten, einlullende Mantras dringen durch den Raum. Sehr gut ausgedacht das alles, durchaus, ja, "hypnotisch", bisweilen in seinem Design aus schicken Referenzen ein wenig durchschaubar.

Etienne Jaumet

Lupi Spuma

Etienne Jaumet
Elevate

Lupi Spuma

Auf dem Main Floor war am Samstag unter anderem der kalifornische Produzent und DJ Diego Herrera mit seinem Alter Ego Suzanne Kraft an den Plattentellern zu hören. Wer kennt den schon wieder? Der gute Mann hat beispielsweise für solch richtige Labels wie 100% Silk und Running Back produziert, als DJ ist er Musiklexikon und Edutainer, der zwischen Neo-Disco, abgebremstem balearischen House, Softpop, Krautrock und eleganter Weirdness die Rutsche legt. Sehr gut war das und für den Main Floor eine Samstagnacht zu subtil. Die Leute wollen das was passiert.

Ebenfalls gewagt gebucht war der Auftritt des französischen Musikers Etienne Jaumet. Am Maschinenpark zusammengeschraubte, sphärische Neudeutungen von elektronischem Krautrock der Berliner Schule als ausufernder kosmischer Techno ohne Tanzgarantie. Dafür aber mit live geblasenem Saxofon. Süße, süße Meditation, dezente Ratlosigkeit im Publikum.

Auch das darauf folgende, mit der Vortäuschung von Jazzhaftigkeit gewürzte DJ-Set des amerikanischen House-Produzenten und Musikers Osunlade: So recht wollte das am Samstag alles nicht zünden. Bei aller Liebe zur speziellen Soundforschung, dem Experiment und dem hippen akustischen Forschergeist - dem Abend hätten zwei, drei bekanntere Acts mit mehr Publikumsstrahlkraft nicht geschadet. Es ist halt schon auch eine schwierige Balance-Übung auf dem dünnen Seil.

Osunlade

Lupi Spuma

Osunlade
Elevate

Lupi Spuma

Im Tunnel hingeben gab es abermals Großes ohne unnötige Grandezza zu erleben: Den Live-Auftritt des englischen Duos Demdike Stare. Munkeln und Murmeln im Vorfeld: Würde diese Gruppe um zwei Uhr nachts eine Crowd rocken können? Demdike Stare gelten eher als Grübler, sie sind prominente Vertreter der seit rund fünf Jahren populären Okkult- und Depressionsmusiken, wie sie beispielsweise von einem Label wie Blackest Ever Black oder einem Act wie Raime betrieben werden.

Dunkler Ambient, Schwundstufen von Techno und Jungle, ein unangenehmes Knistern, elektronische Pechgrube. Bei Demdike Stare schwingt jedoch auf Platte meist die Komponente "Club" noch weniger mit als bei artverwandten Kollegen. Demdike Stare beziehen in ihre Arbeiten auch verstärkt mittelalterlich-verspukt tönende akustische Klangmaterialen ein, mystischen britischen Grusel-Folk aus den 60ern, unangenehm leiernde Jahrmarktmusiken oder auch angestaubte obskure Liberary Music. Tanzen kann man zu diesen Soundanordnungen nur selten, vielmehr darf man feine Alpträume dazu haben. Witch House ohne House.

Demdike Stare wissen das natürlich, sie wissen, dass ein Clubset kein bestuhlter Auftritt mit dem polnischen Staatsorchester ist. Beim Elevate gaben sie so ein gut zerstörtes Dance-Set von brutaler Schönheit, ohne dabei billig die eigene Ästhetik zu verraten.

Die Schleusen zwischen Jungle und grobkörnigem Techno öffnen sich, es faucht, rumpelt und dampft giftig. Ein Höhepunkt des Festivals. So kann es gehen. Stumpf-geiler Schwitz-Hedonismus, Unterbau und Geist kann man sich, wenn man den mag, dazu imaginieren, das Gefühl, verstanden zu haben, ein Begreifen, ein Spüren.

P.S.: Heute, Sonntag, gibt's noch das Elevate-Abschlusskonzert mit Matthew Herbert und Jimi Tenor im Grazer Orpheum.