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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

25. 10. 2015 - 11:52

Statt Gänsehaut pur eher desolate Stimmung

Die erratische US-Indierock-Ikone Cat Power spielte erstmals ein Konzert in Österreich.

FM4 Musik

Konzertreviews, Bandinterviews und frischer Sound auf

Es gibt Konzerte, zu denen geht man nicht einfach, nein, man pilgert hin, denn der oder die Künstlerin auf der Bühne ist eine wirklich geliebte, eine hochverehrte, ja, eine Art Heiligen-Figur gar. Cat Power ist so eine Figur. Chan "Cat Power" Marshall stammt aus dem Süden der USA, aus Georgia, wo Religion auch präsenter ist als etwa in anderen Teilen Nordamerikas, da passt das "Heiligen"-Bild also gewissermaßen im doppelten Sinn. Der Soul, der Gospel, der alte Blues, der ursprüngliche Folk und Country ist dort gegenwärtiger als anderswo, und Cat Power ist von klein auf beeinflusst von diesen Musikstilen und ihren dazugehörigen Lebensarten.

Cat Power

Ute Hölzl / Radio FM4

Chan Marshall ist seit Mitte der 90er Jahre eine Ikone der alternativen Popmusik - eine erratische Künstlerin, immer wieder aus der Bahn geworfen von Alkohol, Drogen, psychischen Problemen und anderen Missgeschicken. Ihre Konzerte waren meist nicht das, was man unter einem Konzert versteht, es waren verkürzte Auftritte mit oft nur angespielten Liedern, Publikumsbeschimpfungen, Zusammenbrüchen. Zu einer Zeit, als so etwas wie der Heroin Chic angesagt war - also das offensichtliche Konsumieren von Heroin, angedeutet etwa durch große Magerkeit, bleiche Haut und Schatten unter den Augen - war das auf eine Art kein big deal, dass Cat Power "performte", wie sie es eben tat. Ein "troubled artist" wie sie hatte etwas Faszinierendes, was noch eine größere Bedeutung bekam, da hinter dieser Erscheinung ja eine hochtalentierte Sängerin, Songwriterin, Musikerin steckte.

Cat Power

Ute Hölzl / Radio FM4

Sterben wie Kurt Cobain, oder sich aufräumen, um die wahre Cat Power leuchten zu lassen? Chan Marshall entschied sich irgendwann schließlich für Letzteres, und dennoch befand sie sich - wieder einmal - im Krankenhaus, als ihr letztes Album, das 2012 erschienene "Sun", die Top Ten der US-Charts erreichte. Die Trennung von US-Schauspieler Giovanni Ribisi - er ist der Schwager von Beck - hatte Chan Marshall größer zugesetzt. Ihre Europatour zum Album wurde abgesagt. Also: Erase and rewind. Setzen wir einfach dort fort, wo wir schon vor etwa zwei Jahren gewesen hätten sein können: Cat Power ist auf Tour. Interview gibt sie in Wien keines, weil es bei ihr ja vielleicht nie wirklich den Zustand des "all is well" gibt, oder einfach weil sie nicht über die - kaum vermeidbar - Vergangenheit reden möchte, sich nicht selbst analysieren möchte. Fair enough. Also, auf zu diesem Konzertabend, mit einem verstohlenen Daumendrücken in der Jackentasche, damit ja alles halten wird, alles gut läuft für Cat Power.

Sie war tatsächlich da und hat ein Konzert gespielt. Chan Marshall aka Cat Power. Und sie hat ihre alten Haare mitgebracht: die langen braunen Haare mit den dichten Stirnfransen. Wird ja doch keine Perücke sein, durchfährt mich eine Angst, nicht wirklich gut sehend von hinten an der Seite in der Arena, wo ich stehe. Während der Aufnahmen zu "Sun" schnitt Chan Marshall ihr Haar kurz und blondierte es, mit fast schon Britney Spears-scher Radikalität und Wahnsinn, nachdem ihr Lebenspartner sie sitzen gelassen hatte.

Cat Power

Ute Hölzl / Radio FM4

Ich steige bei diesem Cat Power Konzert erst beim dritten oder vierten Song ein - Chan Marshall steht mehr als pünktlich auf der Bühne, ganz allein mit elektrischer Gitarre. Die Arena ist fast komplett voll. Zu spät, um sich durchzukämpfen bis nach vorne, wo man diese Art Wohnzimmer-Konzert wohl am besten erlebt haben muss. Die Worte "make it out alive" singt Cat Power gerade als ich reinkomme - vom Song "Hate", vom Album "The Greatest", einer der Platten aus dem Jahr 2006. Der minimalistische Sound, den Cat Power hier heute also zelebriert, ist der von ihren früheren Platten. Keine dezent-souligen Backing Vocals liegen auf ihren Songs, kein Dave Grohl sitzt an Drums, etc.

Das könnte Gänsehaut pur werden. Ist es aber nicht, sondern eher eine desolate Stimmung. Ein junger Mann neben mir sagt zu seiner Freundin - es sind viele Paare hier, hetero und gay, dass das aktuelle Album von Cat Power viel tolle Elektronik hat, das aber heute anscheinend hier anders klingt. Ja, klar, meint wiederum ein anderer junger Mann in meiner Nähe, das wusste er auch: Cat Power solo und die aktuellen Stücke, die kennt er gar nicht, nur die alten, und die liebt er; er muss etwa fünf Jahre alt gewesen sein, als Cat Power Mitte der 90er Jahre ihr erstes Album veröffentlichte, aber er entdeckte später ihre Songs, sagt er, und einen Sessel würde er sich jetzt wünschen - Cat Power im, sagen wir mal, Konzerthaus statt in der zugigen Arena, wo ein Bier nach dem anderen vor, hinter und neben mir getragen wird, wie das nun so ist bei Rock-Konzerten, während man - wie in diesem Fall - fast schon verzweifelt versucht zu verstehen, was Cat Power sagt. Aber noch spricht sie nicht. Nur Wortfetzen ihrer düsteren Songtexte dringen nach hinten: Wortfetzen wie "the deepest defence" oder "cut your hands".

cat power

Ute Hölzl / Radio FM4

Cat Power nimmt nun am Piano Platz: "I could stay here, I could stay right here", singt sie in "Colors And The Kids" von ihrem Album "Moon Pix", das siebzehn Jahre alt ist und ihr viertes war. Ich vermisse die heftig-zarte Inbrunst, die das Stück auf der Platte hat. Cat Power ist distanziert. Ich bin nicht wirklich berührt, obwohl ich es sein möchte und obwohl Chan Marshall etwas von der Ausstrahlung der Musikerinnen aus den großen alten Poptagen hat: Laura Nyro, Carly Simon, Carole King. "We all die together", singt sie in "Names" von ihrem 2003er Album "You Are Free". So desolat wie der Inhalt dieses Songs ist weiterhin die Stimmung. "Can you please help me?", fragt Cat Power in "Maybe Not", noch ein Stück von diesem Album "You Are Free". Der Sound passt ihr nicht, sagt Cat Power dann, und dass sie unentspannt ist wegen der "acoustics". Gestresst sei sie gerade, aber "it has nothing to do with you". Cat Power bleibt weiter am Piano sitzen. "You guys have saved my life", meint sie, indem wir an sie glaubten, als sie nicht glaubte, dass sie überhaupt ein Publikum habe. Das Getue eines "tortured artist"? Nein, keineswegs. She means it.

Cat Power

Ute Hölzl / Radio FM4

Dann endlich ein Song von ihrem aktuellen Album "Sun", das Stück "369", samt den Worten "I feel tired" im Text. Dennoch sieht Chan Marshall beinahe wieder wie die aus, in die sich Karl Lagerfeld verliebt hatte, als sie in New York vor einem Hotel stand. Lagerfeld verpflichtete Chan Marshall damals als Gesicht seiner Chanel-Schmuckkollektion. Karl, of course, has long since moved on, hat frische Musen wie Kendall Jenner, aber Chan ist noch immer Chan - Cat Power. Wir erleben hier eine neue Cat Power, die gewissermaßen heute aber wieder die alte ist. Ein Song aus ihrem 1996 erschienenen, zweiten Album "What Would The Community Think" steht an: "In This Hole", gefolgt von "The Greatest" - ganz ohne Gospel-Backgroundvocals drauf, das rohe Skelett.

Noch immer ist die Stimmung angespannt. "I feel like have a responsibility to do my ultimate best, as I never came here", sagt Cat Power. Applaus, und dann schnorrt sich Chan Marshall eine Zigarette aus dem Publikum - eine verändernde Zigarette, eine, die den Knoten etwas löst. Von ihrem Kind erzählt sie - seit letztem Jahr hat sie eines, ich kenne die Umstände nicht, aber ich glaube, sie adoptierte -, dass sie dieses ständig fotografiere mit dem Handy, obwohl sie Handys hasse. Von city planning spricht sie, vom environment, von nightmares of weird dudes, Ägypten und den Pharaonen. Chan Marshall is rambling on, mehr mit sich selbst als mit dem Publikum, so als ob sie in einer Bar sitze und ihrem Gegenüber etwas mehr oder weniger Zusammenhängendes erzählt.

So, fertig geraucht: "Thank you for the cigarette!" Ein Bob Dylan-Cover folgt: "Paths Of Victory", von ihrem 2000er Album "The Covers Record".

Cat Power

Ute Hölzl / Radio FM4

Cat Power ist nun wieder an der E-Gitarre. Nach Songs wie "Metal Heart" oder "Fire" verlangt das Publikum, was aber nicht erfüllt wird. Wir hören dafür Stücke wie "Say" von "Moon Pix", oder "The Werewolf" von 2003, mit leicht verändertem Text: der Werwolf ist kein "he", sondern eine "she". Dann folgt wieder ein Song vom aktuellen Album: "Bully", samt seinem Harter-Stoff-Text: "remember that night in Paris, all those candles you lit, you and all the alcohol... standing in the street in a hospital sheet." Diese Tour-de-Force - am Album gut eingepackt in schmeichelnde Musik - kann nur eine Coverversion von "Just Like Heaven" von The Cure abfangen.

Und dann etwas Blödeln: "Hit the road, Chan, ... hit the road, Jack." Blödeln, aber eigentlich ist alles hier ernst, auch wenn Chan Marshall lacht und Geschichten erzählt und dabei etwa vom alten Sound eines BBC-Studios schwärmt, von Jarvis Cocker und Noel Gallagher erzählt. Chan und die Stars. Sie ist zynisch: Oasis - Rock Stars? Nein, The Jesus Lizard - 90er Jahre US-Rock Saubarteln -, das waren Rock Stars, meint Chan Marshall. Nein, sie singt jetzt nicht "Wonderwall" von Oasis. Uff. Do you speak French?, fragt Chan Marshall und singt, framboise je t´aime: Himbeere ich liebe dich. Eine kokette Chan Marshall? Ehrlich gesagt, mich nervt es. Ich finde das damit verbundene angestrengte Hinhören, was Cat Power denn vorne auf der Bühne mit sich und nächstem Umkreis bespricht - wer halt nahe ist, hört´s, wer nicht, who cares. Ist wohl keine Absicht; ein unbewusster Gegenentwurf zum Professionalismus junger Künstler und Künstlerinnen. Die verrückte Frau auf der Rock-Bühne - das macht heute keine Künstlerin mehr, nicht einmal Courtney Love, nur Soko, und die ist - auch wenn man´s immer vergisst - gelernte Schauspielerin.

Ute Hölzl / Radio FM4

Thank you for your support, spricht Cat Power, die keinen einzigen der Songs angesagt hat, und verschwindet, ohne noch ein abschließendes Lied zu singen. Ich bin etwas erschöpft nach diesem Konzertabend, nicht weil soviel Aufregendes passiert ist, sondern ich ihn insgesamt als etwas mühsam empfunden habe. Schade, dass die Songs nicht gestrahlt haben, wie sie strahlen hätten können. Es war dennoch wichtig, hier gewesen zu sein.

Alles Gute, Chan Marshall!