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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

20. 11. 2015 - 10:44

Schauderhafte Gesten oder: Mitmachtext

Wieso muss man fast nie Schlachtenbilder vervollständigen? Welche Nachrichtensprecher haben die schönsten Töchter? Wie fuchteln ironische Franzosen? Und was hat es mit der Marmeladenverschwörung auf sich?

So, liebe Fans.
Für den nächsten Text brauche ich jetzt bitte eure Hilfe.
Seid ihr dabei!?
Ja?
Ich kann euch nicht hören!!!
Ja!?
Keine Angst, es ist ganz einfach!

Also, wir üben das jetzt mal ganz kurz.
Immer, wenn in diesem Aufsatz eine Überschrift kommt, postet ihr bitte “WOOOOHOOOOO!” ins Forum.
Kurze Probe:

Mein nächster Roman heißt voraussichtlich

Nackt im Prager Affenzoo

Jetzt!

“WOOOOHOOOOO!”

Das ist alles?

Da geht doch mehr!

Katholiken sind so erfrischend unorthodox!

Na, wo seid ihr!?

“WOOOOHOOOOO!”

Schon viel besser.

mc

Bei dieser großen Auswahl an Heringen steigt natürlich die Lust auf einen Ehering-Schmaus.

Wunderbar, dann beginnen wir jetzt mal mit dem Text, in dem es einleitend darum geht, dass eigentlich nur bei Popkonzerten das Publikum darum gebeten wird, an der Darbietung mitzuwirken.
Bei Texten ist das eher selten der Fall, das Genre des Lückentextes natürlich ausgenommen.

Auch bei Vernissagen werden die Besucher kaum einmal gebeten, eine freie Fläche auf einem Schlachtenbild mit einem selbstgemalten Krieger auszufüllen. Erstens, weil das Werk des Künstlers durch den unbeholfenen Pinselduktus der Besucher wohl geschmälert würde und zweitens, weil auf Schlachtenbilder spezialisierte Maler heute zu einer verschwindenden Minderheit gehören. Und selbst im Theater* kommt es nicht allzu oft vor, dass Zuseher plötzlich angehalten werden, Nebenrollen zu übernehmen.

mc

*Stichwort Theater: An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Anna-Sophie von Gayl und Dalida Donau für die Teilnahme an meinem sommerlichen Gewinnspiel namens Theaterbesuch mit Marc bedanken. Die beiden zuvorkommenden Damen mit den fantastischen Namen luden mich in das Stück “Kafka” im Theater in der Josefstadt sowie in “Dorian Gray” im Akademietheater ein. Beide Begegnungen beziehungsweise Stücke waren sehr angenehm beziehungsweise okay, was mir zwar schöne Abende, aber kaum Stoff für den versprochenen Erlebnisaufsatz geboten hat. Allzu viele Absätze füllt es eben nicht, wenn kaum Spektakuläres geschieht.

Meine Vorurteile gegenüber der Theaterwelt konnten die beiden Stücke nicht nachhaltig erschüttern. Dass es auch empfehlenswerte Darbietungen in den kleinen und großen “Häusern” gibt, ist und war mir natürlich immer bewusst. Das im bewussten Aufsatz zu erwähnen, hätte seine polemische Kraft aber geschmälert, die übrigens zu so mancher beipflichtenden Zuschrift von Lesern aus der Theaterszene geführt hat.

Nachdem ich im Falle von “Kafka” aber Regiekarten von Frau von Gayl bekam, mir für meine barschen Zeilen also sogar Großzügigkeit zuteil wurde, überlege ich, künftig nur noch Beiträge nach dem Strickmuster “X ist scheiße - Wer überzeugt mich vom Gegenteil?” zu publizieren. Womöglich demnächst an dieser Stelle zu lesen:

  • Ich hasse die Spitzengastronomie
  • Luxushotels und Langstreckenflüge - Nein, Danke!
  • Längst aufverkaufte Konzerte, die ich so gerne besuchen würde - Eine Schande!

Beim Popkonzert soll man aber allerweil mitsingen. Wenn das Auditorium dem Sänger nicht laut genug Folge leistet, reißt er die Augen auf und legt die Handfläche hinter das Ohr. Das ist eine Geste, die mir nicht unbedingt gefällt, ich würde aber nicht behaupten, sie zu hassen.

Im üppigen Reich der Gesten scheinen bei kritischen Geistern vereinzelte Gebärden regelrecht verhasst zu sein. Zumindest performte für mich kürzlich die Tochter eines berühmten Nachrichtensprechers die Top Fünf ihrer Hassgesten.

Jetzt wollen natürlich alle zweierlei wissen: Erstens, um wessen Tochter es sich handelte. Verkehrte ich etwa mit Jacqueline Wolf? Traf ich vielleicht Chantal Leitner? Oder handelte es sich gar um Kimberly Rafraider? Die Diskretion zwingt mich zum Schweigen.

Zweitens möchte die Leserschaft nun die Top Fünf Hassgesten der Anchorman-Sprössin erfahren. Auch in diesem Fall muss ich leider enttäuschen, denn ich habe sie fast alle vergessen. Allerdings fand ich diese Charts eine sehr fesche Idee und beschloss daher, meine eigenen zu erstellen. Um das Konzept der Ansager-Erbin nicht gänzlich zu kopieren und weil mir gar keine fünf einfallen wollen, beschränke ich mich jedoch auf die Stockerlplätze.

Drei schauderhafte Gesten

Wo seid ihr?
“WOOOOHOOOOO!”
Ich kann euch nicht hören!
“WOOOOHOOOOO!”

1. Quaquaquack

Bei dieser schlimmen Geste formen Daumen und Restfinger eine Art Entenmund. Man könnte auch sagen: Schnabel. Doch jetzt steht “Entenmund” schon da und ich kann es aus technischen Gründen leider nicht mehr weglöschen. Jedenfalls wird die Entenmund-bildende Hand unter der Andeutung schneller Schnatterbewegungen auf das Gegegenüber zubewegt.
Bedeutung: Jaja, blabla, du kleine Plaudertasche.
Man mag mich dafür schelten, aber meine langjährige Gestenerfahrung sagt mir, dass fast ausschließlich Frauen, Typus Deutschlehrerin, die Schnatterhand bemühen, wenn sie argumentativ in Bedrängnis kommen oder eine sarkastische Bemerkung nicht als solche verstehen. Die Schnatterhand ist gleichzeitig lächerlich und doch erniedrigend, denn man ist ihr machtlos ausgeliefert, sofern man nicht hineinbeißt.

2. Gänsefüßchen

Ich will nicht behaupten, niemals Zeige- und Mittelfinger auszustrecken und damit Anführungszeichen anzudeuten, allerdings wird diese Geste derartig inflationär verwendet, dass sie gehörig an Appeal eingebüßt hat.
Bemerkenswert ist, dass die Gänsefüßchen-Gebärde ausschließlich als Ironie-Boost eingesetzt wird und nie in der Hauptfunktion von Anführungszeichen, dem Zitieren. Zumindest konnte ich noch nie beobachten, dass jemand Bonmots von Geistesgrößen zum Besten gibt und diese mit permanenten Fingerbeugen untermalt.
Außerdem würde mich interessieren, ob und wie man in Frankreich Anführungszeichen in die Luft zeichnet. Vielleicht mit der «Geste aus der Twix-Werbung»?

3. Klopf auf Kopf

Einen glücklichen Umstand zu erwähnen, dann “Klopf auf Holz” zu sagen und sich dabei auf den Schädel zu klopfen, war nie lustig, ist nicht lustig und wird es auch niemals sein.
Ein bisschen lustig dagegen ist, wenn jene, die tatsächlich daran glauben, dass man Fortuna besänftigen oder Glück konservieren kann, indem man auf Holz hämmert, ihr Sprücherl aufsagen und dann auf ein Regal aus Ikea-Pressspan klopfen.

So.

Hiermit ist mein Aufsatz eigentlich schon fast zu Ende, aber das Publikum schreit wie immer nach einer Zugabe, die ich ihm natürlich nicht verweigern will. Die Zugabe trägt den Titel

Die Marmelade-Verschwörung

Na?
“WOOOOHOOOOO!”
Lauter!
“WOOOOHOOOOO!”

mc

Regelmäßig bekommt man selbstgemachte Marmelade geschenkt, von Verwandten, Kollegen und (Achtung, Gänsefüßchen-Geste dazudenken!) "Freunden". Man tut so, als würde man sich freuen, doch in Wahrheit freut man sich natürlich überhaupt nicht. Was soll man denn tun mit der ganzen Marmelade? Essen!? Man kann doch nicht andauernd nur Marmalade essen!

Wenn man die Freude über die Konfitüre-Gaben allerdings zu gut heuchelt, kann es zum Äußersten kommen, dem Folge-Geschenk. "Unsere Marillenmarmelade hat dir doch so gut geschmeckt!" Und schon steht das nächste Glas in der Marmelade-Lade, also jener geheimen Lade, in der die vielen ungeöffneten Gläser verstauben, die man über die Jahre angesammelt hat. Davon dürfen die Marmelade-Schenker natürlich niemals erfahren, sonst würden sie sich grämen und schnell wäre man entfriendet.

Irgendwann kommt dann der Tag, an dem man zu einer Festlichkeit eingeladen ist. Das beschwerliche Tagwerk lässt einen vergessen, ein Gastgeschenk zu besorgen. Es ist schon spät, die Geschäfte sind längst geschlossen, man überlegt und grübelt und sucht und.... Da! Die Marmelade-Lade! Dutzende alte Marmelade-Gläser!

Man kratzt das Etikett mit der Aufschrift "Weichsel 2012" unter Zuhilfenahme eines feuchten Schwamms vom Glas und klebt einen neues mit der Aufschrift "Weichsel 2015" darauf.

Die authentische Handschrift verleiht dem Präsent genug Glaubwürdigkeit, um es schon kurz darauf den Gastgebern zu überreichen, die sich überschwänglich für den vermeintlich selbst eingekochten Fruchtglibber bedanken, um das Glas am nächsten Tag wiederum in deren Marmelade-Archiv zu verbannen.

Das verleitet mich zur kecken Behauptung, dass es in Wahrheit schon lange keine selbstgemachte Marmelade mehr gibt. Warum sollte man auch welche anfertigen, wenn man doch eh ganze Schränke voller Geschenksmarmelade im Schrank stehen hat?

Vor einigen Jahrzehnten wurden womöglich sehr wohl ein paar tausend Gläser befüllt, die seitdem permanent im Umlauf sind. Die Etiketten werden zwar immer wieder erneuert, doch in den Einmachgläsern befindet sich längst verdorbene Marmelade. Dieser Kreislauf fliegt nie auf, weil niemand die Gläser öffnet und die Gläser werden deshalb nie geöffnet, weil die meisten insgeheim vermuten, dass diese teuflische Marmelade-Zirkulation Realität ist UND weil Marmelade eigentlich längst nicht so beliebt ist, wie uns die Mächtigen in Brüssel und Washington immer einreden wollen!!!
Was bezwecken sie bloß damit!?
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