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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 10. 2015 - 15:07

Wie es leuchtet und dröhnt

Der Freitag beim Elevate Festival in Graz war musiktechnisch wieder einmal exquisit ausgedacht. Es funktioniert. Geräusche von auf und halb neben dem Dancefloor.

Elevate Festival

Das Grazer Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs findet von 22. bis 26.10. in Graz statt.

Mehr zum Diskursprogramm beim Elevate Festival hier von Maria Motter, das sind die fünf Nominees für den Elevate Artivism Award 2015

Das vollständige Lineup des Elevate 2015 steht hier.

Leicht macht es sich das Elevate Festival freilich auch dieses Jahr nicht. Da wird kein TechHouse-DJ aus Berlin hinters Pult geschoben, bloß weil zufällig Wochenende ist. Vielmehr muss es brummen, in den Gelenken quietschen und manchmal auch ein bisschen gut wehtun. Die Liebe zur Musik sprüht aus jeder Rille.

Die Macher des Festivals haben wieder ein Auskenner-Programm zusammengedoktert, das speziellbeflissen in den hintersten Winkeln nachbohrt. Man kann sich das anlesen, man kann dazu tanzen.

Elevate

Elevate

Am Freitag hat da beispielsweise das Wiener Label Editions Mego in der oben im Schloßberg immer noch ganz richtig „Dungeon“ genannten Höhle (Hölle?) den Abend gestaltet. Editions Mego ist das beste, wichtigste, einflussreichste österreichische Label ever, sicherlich zum Teil auch, weil es sich eben nicht als österreichisches Label definiert - Betreiber Pita Rehberg sitzt halt in Wien. Um irgendwelche Austropopwunder muss man sich hier nicht scheren, man sendet universell in die Welt.

Editions Mego hat über die Jahre hinweg aus vielen, vielen Teilen eine starke und dauerhafte Identität und Ästhetik etabliert, die Vergleichbares sucht. Und die eben viel mehr beinhaltet, als digitalen Noise oder das, was irgendwann mal „Glitch-Elektronik“ genannt worden ist. Am Freitag beispielsweise unter dem Mantel von Editions Mego am Start: Die österreichische Musikerin Christina Nemec mit ihrem Projekt CHRA, Steve Hauschildt, den man vornehmlich für seine Arbeiten für das Chicagoer Post-Everything Label Kranky kennt, oder den Engländer Helm, der wiederum vor allem mit dem immer noch heiß gehandelten Label PAN verbandelt ist. Ein Label, das sicherlich nicht geringfügig von Editions Mego beeinflusst ist.

CHRA; Pita

Clara Wildberger

CHRA, Pita
Philipp Quehenberger

Clara Wildberger

Philipp Quehenberger

Host Pita gab in den Umbaupausen den akustischen Überbrücker und guten Störer, Philipp Quehenberger bei seinem Auftritt standesgemäß und magnetisch den erratischen Hexenorgler, rauchend. Zitternde Drones, dunkler Ambient, der nach Nebel riecht, Surren, Summen, minimalistischer Bergwerk-Techno. Ein Label, ein strahlendes Geflecht aus Ideen und Attitude. Eine Nacht von praller Intensität. Bestrafung, Erlösung, Erhellung.

Der Tunnel, traditionell der zweite Floor beim Elevate Festival, huldigte am Freitag roughem, kargem, gerne auch verbeultem und angerostetem Techno, wie er nach wie vor und zu Recht hoch im Kurs steht. Maschinenschlossermusik voller kaputter Kraft und greller Abgefucktheit als Antidot zu Umkleidekabinenhouse.

Low Jack

Lena Prehal

Low Jack
Tunnel Elevate

Len Prehal

Unter anderem waren hier der Engländer John Heckle und der in Paris ansässige Produzent Low Jack mit Live-Sets zu erleben. Publikumsumfragen werden mit solchen Namen nicht gewonnen. Heckle hat unter anderem bei Mathematics Records veröffentlicht, Low Jack beim speckig-hippen Label L.I.E.S.. Elektronik aus der Gosse, Rotz im System.

Auch hier: Man kann das alles wissen und vor coolem Wissen leuchten oder hier schlicht Techno als anonyme Macht voller Körperlichkeit begreifen, die aufrührt, scheppert, heilt und eint. Alle werden Schwestern im Beat.

Auf der Main Stage im Dom im Berg waren naturgemäß die Regler auf Party gedreht, aber auch hier mit Wissen und Gespür in der Programmierung. Durch die Auswahl der auftretenden Künstlerlinnen und Künstler, als die wir nach so einer Nacht die DJs zu bezeichnen uns nicht zu fein sein wollen, wurde unaufdringlich eine Geschichte erzählt. Ein musikalisches Kontinuum, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, gestrickt, dass seinen Anfangspunkt eventuell in dieser Stadt namens Chicago hat.

Bok Bok

Elevate

Bok Bok
DJ Funk

Elevate

DJ Funk

Die New Yorkerin Venus X, der versatile Engländer Bok Bok vom coolen Label Night Slugs, Footwork- und Juke-Daddy RP Boo oder die steile Legende DJ Funk. Früher, sprühender House, Juke, Footwork, blinkende Bassmusik, immer wieder eingebaute Verbeugungen vor HipHop, Schlenker nach Dancehall, und der betont runtergerockte, superminimalistische Ghetto House.

DJ Funk gab eine Art Mischung aus DJ-Set und Live-Performance, mit sich selbst am Mikrofon als sein eigener Hype-Man und Autodromdurchsager. Oft nicht mehr als ein paar Kicks aus einer sicherlich schon sehr alten 808 und kurze wieder und wieder wiederholte sloganhafte Anfeuerungsrufe mit vermutlich nicht jugendfreiem Inhalt. Da bleibt nichts trocken. Wunderbar schäbige Ekstase. Die große, große, billig-euphorische Pracht. Bildungsauftrag durch Spaß.