Erstellt am: 24. 10. 2015 - 12:57 Uhr
Money Boy in Wien: Hustlen und Hustensaft
Ein Hype wuchs aus dem Nichts, als Money Boy 2010 auf der Bildfläche erschien und in schräger Tonlage „Dreh den Swag auf“ krakeelte. Das Video zum Cover von Soulja Boys „Turn my Swag on“ war so amateurhaft, der Chorus derartig schief geträllert, die Bling-Bling-Attitude der Lyrics so köstlich komisch, dass der Wiener aus Rudolfsheim-Fünfhaus über Social Media weitergereicht wurde wie ein Artikel der Tagespresse. Was hier vom Screen lachte, musste einfach Satire sein - so schlecht, dass es nicht nur schon wieder gut, sondern genial war.
FM4 / Florian Wörgötter
Dieser Verdacht erhärtete sich („No Homo“, wie der Boy nach jedem noch so verdächtigen Angriff auf die heteronorme Männlichkeit anfügt), als allen klar wurde, dass hinter Money Boy der Magister der Kommunikationswissenschaft Sebastian Meisinger steht, der noch dazu zum Thema Gangster-Rap in Deutschland diplomierte. Und als solcher muss er ja mit Köpfchen und Konzept die Fäden seiner Kunstfigur ziehen, so der Tenor. Doch Money Boy betonte immer wieder glaubwürdig, dass sein wahres Ich und sein Alter Ego keine On-/Off-Beziehung führen wie etwa Sasha Baron Cohen und Ali G. Wie auch immer, Money Boy blieb sich und seinem Swag genauso treu wie der Idee, Trends aus dem Rap-Mainstream der USA in seine Welt aus Gucci-Bandanas, Kohle-Protzerei und Sex-Machine-Dasein zu importieren. Zu diesen Themen schleudert er öfter Mixtapes ins Netz, als andere ihren Status updaten. Seine kontroversen Tweets in perfektem Denglisch oder Interviews, in denen er der Jugend Heroin ans Herz legt, garantieren zuverlässig, dass die Medien den Boy nicht vergessen. Daher gingen Money Boys 15 Minutes of Fame in eine bis heute andauernde Nachspielzeit. Aus Klicks und Time wurde tatsächlich Money.
Ca$h flows everything around me
Die Tour zu seinem dritten Album „Cash Flow“ führt den Wiener von Prambachkirchen und Neusiedl über Amsterdam und Berlin bis zum Splash-Festival, dem größten HipHop-Festival Deutschlands - und gestern Abend in die Arena Wien. Verstärkt wird Money Boy von der Glo Up Dinero Gang, einem wilden Haufen junger Burschen mit narkotisierenden Namen wie Hustensaft Jüngling oder Medikamenten Manfred, der gestern leider fehlte (krank?). Sie teilen den Swag und die Vorliebe für das Sizzurp sippen. Hustensaft ist das neue THC.
FM4 / Florian Wörgötter
„Ich sag Burrrr, ihr sagt Burrrr!“
Das Publikum in der Arena ist bunt und besteht aus Teenagern, Studenten, Hipsters, Normalos, vorwiegend U30 und männlich. Darunter einige Hardcore-Fans mit Whiskyflaschen, die ihre Goldketten vergleichen. Die anderen tragen Fischerhut und Bandanas, Sonnenbrillen mit Dollarzeichen oder „Gloyality“-Shirts. Überraschenderweise auch viele Leute, denen man den Money Boy-Swag nicht ansieht: manche sind neugierig, manche wurden mitgeschliffen, manche sind nicht mal HipHop-Fans. Andere sind wegen Money Boys Art gekommen, nicht wegen seiner Musik. Jeder von ihnen hat mit seinem 19 Euro-Ticket dazu beitragen, dass die Big Hall der Arena heute ausverkauft ist. Und offenbar ist keiner da, um faule Eier zu werfen.
„Magst Du Hitler? Nope. Magst du Pizza? Yup.“
Im Song „Choices“, in dem der Riese Money Boy Gegensätze gegenüberstellt, abgegrenzt in einem klaren Yup oder Nope, teilt er das Publikum in Ja- oder Neinsager. Seine Glaubensfragen: Nazis oder Partys? Broke oder rich? Schwul oder cool? Tja. Doch Money Boy teilt nicht nur die Masse in zwei Stimmen, sondern auch sich selbst. Denn relativ schnell wird klar, dass zusätzlich ein Playback seiner Studio-Vocals über die Trap-Beats läuft, was zu manch konfusen Momenten führt, etwa wenn man Money Boy hört, doch kein Money Boy rappt. Oder er nur mehr seine eigenen Reime am Satzende doppelt. Problematisch auch, dass die komprimierte Studiostimme von seinem gelegentlichen Live-Gegröhle deutlich abweicht. Doch vielleicht kreiiert der Boy so ganz nebenbei eine neue Swagger-Kunstform: Duet for one?
„Wir wollen den Lamborghini“
Ansonsten spannt sich das Programm vom Liebeslied mit Display-Leuchten und Feuerzeugen („Das eine mal am Rummelplatz“), zum Rest-In-Peace-Song („an meine Leute, die gedied sind“) bis zum Freestyle („Die Kette ist so heavy, hätte ich sie eine Woche an / lauf ich rum wie der Glöckner von Notre Dame“). Und auch den Ladies schenkt der Gentleman ihre verdiente Beachtung: „Holt die B****** auf die Bühne!“ Die Grazien aus dem Publikum werden mit dem Refrain angefeuert: „Tu für mich mit deinem Arsch wackeln“. Schon beginnen sie, mit den Hintern zu twerken, eine fällt ihm vor die Füße. Zwei Girls nehmen ihm beim Tanzen kurz ins Sandwich, Money Boy schäumt darauf die Sektflasche über und er braucht Rauch: „Homie, bitte gib mir die Shisha“. Wenn Money Boy später im gleichnamigen Song den Swag aufdreht, werden sogar die BHs der Girls das Scheinwerferlicht erblicken. Das hat man in der Arena lange nicht mehr gesehen.
Spätestens bei seinem größten Hit „Dreh den Swag auf“, über 22 Millionen mal aufgerufen, realisiert man, was über die letzten fünf Jahre eigentlich Unfassbares passiert ist. Money Boy füllt heute nicht mehr nur die Kommentarfelder seines Facebook-Accounts, sondern auch ganze Hallen. Jeder kennt und brüllt den Refrain („Ich steig aus dem Bäääätt, dreh den Swäääg auf“) und auf sonderbare Art und Weise bringt die Masse die Schief-Lage von Money Boys Chorus in die Waage, ebenso wie Autotune ausreißende Töne korrigiert. Es verdichtet sich ein hymnischer Choral, dessen Stärke ansteckend ist. Und das ist wohl auch das Geheimnis des Abends: Money Boy steht - zum Glück - nicht allein da. Er hat seine Glo Up Dinero Gang, die ihm auf der Bühne den Rücken stärkt. Er hat sein treues Publikum, das seine Refrains auswendig mitsingt. Und er kann sich auf sein Playback verlassen, das stellenweise die Songs mehr trägt als er. Doch im Einklang sind sie stark - auf eine bizarre, aber unterhaltsame Art und Weise. Und irgendwie stört es nicht mal, dass hier kein professioneller Handwerker die Leisten legt, denn Money Boy sprüht vor Motivation, steht nach zwei Stunden noch immer auf der Bühne, die Halle halb leer, das Licht voll an, und haut Tracks raus, bis man ihm das Mikrofon abdreht. Der harte Kern des Publikums skandiert trotzdem weiter: „Money Boy! Money Boy!“
FM4 / Florian Wörgötter
„Ich bin so ein hot Wiggah“
Sebastian Meisinger lebt seinen Traum vom Hustler. Den soll er auch in Zukunft ruhig weiter leben - solange das Game ihn mitspielen lässt und solange man Hustensaft auch ohne Rezept bekommt. Genauso spielerisch sollte man Money Boy begreifen: als eigenwillige Unterhaltung, die man nicht zu ernst nehmen sollte. Und um den Spaß zu genießen, schadet es nicht, ein Auge und ein Ohr zuzudrücken.