Erstellt am: 23. 10. 2015 - 17:36 Uhr
Transitzone Athen
Mit leiser Stimme und gesenktem Kopf betet die Mutter von Parisa für das Wohl derjenigen Europäer, die Flüchtlingen helfen. Die beiden Frauen aus Afghanistan befinden sich in einem Container im Transit-Lager Elaionas bei Athen. Sie wurden hier vor ein paar Tagen von Sozialarbeitern einquartiert, die sie im Zentrum Athens auf der Suche nach einer kurzfristigen Unterkunftgetroffen haben.“In diesem Lager geben sie uns Essen und saubere Kleidung, sowie andere notwendige Mittel“, sagt die Mutter, und Ihre 24jährige Tochter ergänzt: “Das, was wir suchen, ist Sicherheit und das Gefühl, dass sich jemand um uns kümmert!“.
Chrissi Wilkens
Die beiden Frauen wollen so schnell wie möglich die Reise fortsetzen, über die Balkanroute, Österreich und Deutschland nach Schweden, wohin es die ältere Schwester Parisas bereits geschafft hat. Sie haben Angst, dass die Grenzen geschlossen oder weitere Zäune gebaut werden könnten.
Parisa und ihre Mutter sind alleine unterwegs. Sie beginnen zu weinen, als sie ihre Erlebnisse schildern. Mehrmals während ihrer mehrtägigenReise wäre ihr Leben in Gefahr gewesen. Sie hätten gesehen wie sechs andere Flüchtlinge in den Bergen an der iranisch-türkischen Grenze in der Tiefe gestürzt seien. “Es war ein Unfall. Keiner konnte sie retten. Wir sahen sie sterben und mussten einfach weitergehen. Es war das schlimmste Erlebnis auf dieser Reise“, sagt Parisa zitternd.
Chrissi Wilkens
Noch ein schwieriger Weg
Immer wieder trifft man in diesem Lager Frauen, die alleine reisen. Aber auch Kriegsverletzte und Behinderte, die traumatisiert sind, schildert die Verantwortliche des Lagers Elaionas, Anthi Karangeli. Insgesamt können in den 92 Containern des Lagers bis zu 720 Schutzsuchende untergebracht werden. Die meisten von ihnen bleiben nur 2-3 Tage, bevor sie Richtung griechisch-mazedonischer Grenze weiterziehen. Der schwierigste Moment sei, wenn man sich von ihnen verabschieden muss, meint Anthi Karangeli: “Sie sind froh und umarmen uns. Wir wissen aber, dass sie eine sehr schwierige Reise vor sich haben insbesondere als wir vor ein paar Tagen erfahren hatten, dass Ungarn beschlossen hat, an der Grenze eventuell Waffen gegen sie zu richten“, abzuhalten.
Chrissi Wilkens
Wandel im Umgang mit Flüchtlingen
In Griechenland hätten sich in letzter Zeit ein paar Dinge zum Positiven gewandelt. Einige Bürger zeigen sich sehr hilfbereit, kommen täglich ins Lager, bringen Sachen vorbei oder erklären sich bereit, als Freiwillige zu helfen. “Die griechische Gesellschaft wurde die letzten Jahre „bombardiert“ von einer Politik der Angst und der Xenophobie. Nun ist ein Wechsel zu erkennen. Und dien brauchen wir gerade. Den Menschen zu vertrauen. Die Flüchtlinge nicht als eine Bedrohung zu betrachten“, sagt Anthi Karengeli. Entscheidend für diesen Wechsel sei, dass die Politik die Rechte der Schutzsuchenden jetzt immer wieder hervorhebt, meint sie.
Chrissi Wilkens
Die neue linksgerichtete Regierung von Alexis Tsipras hat in der griechischen Hauptstadt Einrichtungen für die kurzfristige Unterbringung von mehr als 2.500 Flüchtlingen geschaffen. Das Transit-Lager in Elaionas, das Mitte August geöffnet worden ist, ist das erste offene Transit-Lager für Flüchtlinge in Griechenland. Dazu wurden zwei ungenutzte Anlagen der Olympischen Spiele von 2004 in den Stadteilen Galatsi und Elliniko zu provisorischen Aufnahmelagern umfunktioniert. Doch es sind Einrichtungen, die nicht über die notwendige Infrastruktur verfügen und auch nicht für längere Aufenthalte geeignet sind.
Fehlende staatliche Strukturen
Für den Betrieb sind sie auf Spenden und Unterstützung aus der Zivilgesellschaft angewiesen, betont Nasim Lomani vom Netzwerk für die soziale Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten. Sollten die Grenzen entlang der sogenannten Balkanroute geschlossen werden befürchtet er, dass tausende Flüchtlinge in Griechenland hängen bleiben. Dann würde Athen eine enorme humanitäre Krise erleben. Die Solidaritätsgruppen seien zwar bereit, zu helfen, aber sie könnten und dürften auf keinen Fall den Staat ersetzen. “Abgesehen davon wären sie nicht in der Lage, die Bedürfnisse allein durch Spenden zu decken. Athen wird auf erhebliche Unterstützung und Hilfe seitens der EU und der europäischen Institutionen angewiesen sein“, so Lomani. Die Befürchtung, dass die Regierung Internierungslager wie jenes im Ort Amygdaleza für die Unterbringung von Flüchtlingen nutzen könnte, bereitet Menschenrechtlern und Aktivisten Sorgen.
Chrissi Wilkens
Ende September haben Solidaritätsgruppen als Antwort auf die fehlenden staatlichen Strukturen ein fünfstöckiges Gebäude im Stadtteil Exarcheia besetzt. Dort können zurzeit mehr als 70 Personen untergebracht werden. Es handelt sich um ein ehemaliges Gebäude einer Versicherung, das jahrelang leer gestanden ist. Mit Spenden und ehrenamtlicher Hilfe von Ärzten, Sozialarbeitern, Psychologen und Übersetzern versucht man, den Schutzsuchenden das Notwendigste zu bieten. Laut Medienberichten stehen Dutzende staatlicher Gebäude wie dieses leer und könnten für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden. Auf dem Viktoria-Platz im Zentrum Athens, der eine Art Treffpunkt - insbesondere für afghanische Flüchtlinge - ist, sammeln sich täglich Dutzende von Schutzsuchenden, um sich von der afghanischen Community ein Bild der Lage geben zu lassen. Vor ein paar Wochen, haben mehrere Flüchtlinge sogar dort übernachtet.
So schnell wie möglich weiter
Flüchtlinge aus Syrien kaufen sich oft schon auf den Inseln, wo sie ankommen, Fahrtkarten für ihre Weiterreise. Sie steigen gleich im Hafen von Piräus in Busse, die sie direkt an die Grenze nach Mazedonien bringen. Ein junger Afghane hält seine Nichte in seinen Armen. Er ist mit mehreren Familienmitgliedern und Verwandten unterwegs. Sie sind heute von der Insel Lesbos angekommen. Er fragt, ob die Grenzen entlang der Balkanroute noch offen seien. Sie wollen noch heute Nachmittag in einen Bus steigen um an die Grenze zu kommen.
Chrissi Wilkens
Auf einer Bank am Viktoria-Platz liegt eine große Tüte mit Klamotten die Solidaritätsgruppen hier für die Neuangekommenen gebracht haben. Die Flüchtlinge wühlen in ihnen, um warme Kleidung zu finden. Sie wissen, dass die Temperaturen gerade am Balkan niedrig sind und es stark regnen kann. Sie hoffen auf die Hilfe anderer Solidaritätsgruppen auf ihrer Route.
Chrissi Wilkens
“Schaffen wir es in drei Tagen bis nach Deutschland. Oder vielleicht Österreich?”, fragt der junge Mann besorgt. “Meine Nichte und ein anderes Kind in unserer Gruppe sind bereits schwer erkältet. Wir müssen schnell einen sicheren Ort erreichen”. Er kennt die wirtschaftliche Situation Griechenlands bereits und weiß, dass er und seine Familie hier keine Perspektive haben. Die Lebensbedingungen für Schutzsuchende und Anerkannte bleiben in dem von der Krise schwer betroffenen Land höchst problematisch, betont die Organisation Pro Asyl. Denn die staatlichen Strukturen zur Unterbringung von Flüchtlingen reichten aktuell nicht einmal für den kleinen Teil der Flüchtlinge, die längere Zeit in Griechenland bleiben. “Noch ist nicht abzusehen, dass die griechischen Behörden in der Lage sein werden, menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten für Schutzsuchende zu schaffen.“, so Pro Asyl.