Erstellt am: 29. 10. 2015 - 15:02 Uhr
"Dich hatte ich mir anders vorgestellt…"
"Sie haben größere Chancen, im Lotto zu gewinnen, als ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, he, he!" lacht die Ärztin, nachdem die Nackentransparenzmessung keine Auffälligkeiten angezeigt hat.
Fabien hat dennoch ein komisches Gefühl. Schon bei seiner ersten Tochter, Louise, bereitete ihm das Down-Syndrom die größte Angst. "Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil diese Behinderung so präsent ist und sie jeder kennt …"
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"Dich hatte ich mir anders vorgestellt…
Diese Angst überfällt ihn wieder nach der Geburt von Julia, seinem zweiten Kind. Als er seine Tochter zum ersten Mal sieht, ist er wie betäubt und unter Schock. Für ihn hat das Baby alle Anzeichen des Down-Syndroms. Aber die Schwestern und Ärzte beruhigen ihn "Alle Kinder sind verschieden. Und außerdem sieht ein Neugeborenes immer ein bisschen komisch aus."
Das sei eine merkwürdige Situation gewesen, erzählt er im Interview. Er sei sich so sicher gewesen, aber alle hätten das Gegenteil behauptet und er habe nur auf den nächsten Abschnitt gewartet. Der kam dann, als ihm eine Ärztin erklärte, dass Julia einen Herzfehler habe. Ein Herzfehler, der meistens mit dem Down-Syndrom verbunden ist.
Für Fabien gleicht das dem Weltuntergang: "At that moment you have very egoistic thoughts because first of all you think about your own life – what is going to change in your own life."
Er habe sich sein Leben mit vielen Reisen mit seinen Kindern vorgestellt. Mit Kindern, die selbständig und unabhängig werden. Dann habe er sich vorgestellt, dass er sich bis an sein Lebensende um Julia kümmern müsse. Und dass sie eine Erwachsene mit einem eingeschränkten Leben sein würde. "So first I thought about my life. And I didn’t want Julia to be my daughter"
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"Plötzlich ertappte ich mich bei dem Wunsch, Julia möge ihren Herzfehler nicht überleben, damit dieser Albtraum ein Ende hätte. Bei dem Gedanken wurde ich noch wütender auf mich selbst. Wie konnte man sich bloß den Tod seines Kindes wünschen?"
Eher mechanisch kümmert er sich um das Baby. Sorgt für sie. Aber empfindet keine Zuneigung. "I was doing what I was able to do", erinnert er sich.
Spezialordinationen, Therapiezentren und Krankenhäuser werden seine täglichen Ziele. Eine unbekannte Welt tut sich ihm auf – sein erster Gedanke ist der eines Abenteuerparks. In dem ihm eigenen Humor beschreibt er diesen als Jahrmarkt der üblen Gefühle. Als "Handicapland".
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"I always take the life in a humoristic way. Even in the worst moment.", erzählt er. Und dass er damals gleichzeitig lachen und weinen wollte.
... aber ich bin trotzdem froh, dass du da bist."
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Die entscheidende Wende kommt, als Julia am Herzen operiert werden muss. Er hat Angst vor der Operation und den Folgen und erkennt, dass er seine Tochter liebt. "If I don't love, I don't feel fear."
Seither ist Fabien der liebende Vater. Den Weg bis dahin erzählt er in der Graphic Novel "Dich hab ich mir anders vorgestellt" ehrlich und schonungslos. Und teilweise erschreckend.
In den Reaktionen auf das Buch hätten ihm viele Eltern von ähnlichen Gefühlen berichtet. Fabien wollte einfach einen Comic schreiben – diese Geschichte habe sich dann angeboten. Aber wenn jemand nach dem Lesen verstehen würde, dass Menschen mit Downsyndrom genauso liebenswert sind und selbständig leben können, so sei das ein großartiger Nebeneffekt.
Betroffenen rät er, den persönlichen Kontakt zu anderen Betroffenen zu suchen. "And you learn that people with Downsyndrom are able to read, to drive, to love, to live alone, to have a work. And that is what makes you more happy."
Keineswegs sollte man in irgendwelchen Foren recherchieren. "So when you have a problem – don't go into the internet."
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Fabian Toulmé wollte eine universelle Vater-Tochter Geschichte erzählen. Das ist ihm gelungen.