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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

21. 10. 2015 - 18:32

Time flies

Zeitreisen sind reichhaltiger als diverse kuriose Gerätschaften, die in die Vergangenheit oder Zukunft "fliegen". Auch für Temponaut/innen gilt: Die Abenteuer sind im Kopf.

Meine eigene Vorstellung einer Zeitreise hatte immer die Prämisse, dass ich dann zwar sehen können würde, was passiert, aber ich nicht eingreifen kann. Ich wäre also nicht körperlich vorhanden, sondern eine Art Geist, ein Bewusstsein, das sich Traum-ähnlich ansieht, was passiert ist und was passieren wird. Eingreifen und Manipulieren unmöglich.

Denn was passiert, wenn man die Vergangenheit oder Zukunft ändert, führt die "Zurück in die Zukunft"-Filmserie schön vor. Alles ist dann anders, es entstehen neue Zeitstränge und Paralleldimensionen. Bringt Marty seine Eltern nicht rechtzeitig zum romantischen Tanz zusammen, ist seine Existenz gefährdet. Mir wurde beim Nachdenken darüber bald klar: Es müssen gar keine großen Änderungen sein, die man in einer "fremden" Zeit als Time Traveller vollzieht. Eine flüchtige Begegnung oder vielleicht sogar nur das Bewegen eines Gegenstandes kann fundamentale Änderungen mit sich ziehen.

Delorian mit Marty und Doc Brown

flickr.com, User AdamL212

Viele-Welten-Interpretation

Eine meiner Lieblingsfolgen von Star Trek: The Next Generation, die sich ebenfalls mit diesen unterschiedlichen Zeitsträngen befasst, treibt diese Idee auf die Spitze. In "Parallels" wird die sogenannte Viele-Welten-Interpretation sehr anschaulich durchgespielt. Sie besagt, das alles, was passieren kann, auch passiert. Also jede Möglichkeit, jede Entscheidung und jeder Verlauf einer Begebenheit oder Situation tritt auch wirklich ein und öffnet einen neuen Zeitstrang. Diese unfassbar vielen unterschiedlichen Dimensionen existieren nebeneinander, aber wissen voneinander nichts und interagieren auch nicht. Was passiert, wenn sie doch aufeinanderprallen, wird eindringlich inszeniert, als plötzlich dutzende, hunderte, tausende Enterprise-Schiffe nebeneinander aufpoppen. Jedes Schiff und jede Crew hat eine andere Geschichte erlebt, mit anderen Abläufen.

Enterprise D

flickr.com, User Ezra S F

Zeitreisen des Geistes

Zurück zum eingangs erwähnten Traum: Bis ich das Buch "Zeitreisen" von Falko Blask und Ariane Windhorst gelesen habe, hatte ich eine sehr materielle, diesseitige Idee von Zeitreisen. Das Buch widmet sich selbstverständlich auch den Klassikern: viktorianischen Zeitmaschinen und temporalen Verschiebungen durch Fluxkompensatoren. Aber ein ganzes Überkapitel widmet sich den "Zeitreisen des Geistes". Ganz ohne esoterischen Firlefanz wird dabei die eingeschränkte Wahrnehmung des Menschen vorgeführt und dessen einigermaßen starre Vorstellung von Zeit und Raum.

Dass durch transzendentale Erlebnisse das Bewusstsein imstande sein kann, ganz ohne Körper (und damit auch ohne Gefahr der mitunter fatalen Manipulation) die uns üblichen Vorstellungen von Zeit zu überwinden, schien mir nach der Lektüre dieses Kapitels sehr plausibel. Träume wären für diese, sagen wir, erweiterte Form der Zeitreisen, eine probate Methode. Ihr Wesen ist ebenso wenig ergründet wie andere metaphysische Fragen - etwa der Klassiker, was denn nach dem Tod kommt oder was dieser denn genau ist.

Eine Uhr in einem Hintergrund aus Wasser und Schilf.

flickr.com, User Hartwig HKD

Die kleinen und kurzen Zeitreisen

Es ist aber gar nicht notwendig, so tief ins Unbewusste und Unbekannte abzutauchen, um Zeitreisen zu machen. Im Grunde ist jedes Betrachten eines Fotos eine Zeitreise, jede Wiederholung einer bekannten Geste, jede Erinnerung. Reenactment und Rollenspiele ebenso wie Filme, TV-Serien, Romane, Theaterstücke oder Spiele können diese alltäglichen Zeitreisen noch verstärken und ihnen besondere Glaubwürdigkeit geben. Dieser Umstand lässt wieder so einen Gedanken aufkommen, von dem aus man zu keinem Ergebnis kommt: Wenn es soviel Vergangenheit und Zukunft gibt, wo ist dann überhaupt die Gegenwart?

Was beim alltäglichen Sprechen und Überlegen über Zeitreisen auch oft vergessen wird, ist, dass zwischen zwei Zeitpunkten nicht zwangsweise 30 Jahre oder ein ganzes Jahrhundert liegen müssen. Temponaut/innen benötigen oft nicht mehr als ein paar Stunden Zeitreise, um Verwirrung und Entrückung zu stiften. Auch hier hat mich Star Trek inspiriert, etwa durch die Episode "Time Squared", in der ein Captain Picard aus sechs Stunden aus der Zukunft gefunden wird, aber diese Zeitdifferenz vorerst körperlich und mental nicht verarbeiten kann. Auch in "A Matter of Time" gibt es einen Zeitsprung, der nur wenige Stunden groß ist. Allerdings wiederholt er sich immer wieder, und die Crew muss herausfinden, wie sie aus diesem Loop wieder herauskommt.

Prototyp

Die beeindruckendste mir bekannte Kurzzeitreise stammt aber eindeutig aus dem Film "Primer" aus 2004. Die Faszination, die Zeitreisen ausüben, rufen nämlich nicht nur Autor/innen, sondern natürlich auch Wissenschaftler/innen auf den Plan. "Primer" versucht, dem physikalisch Möglichen möglichst nahe zu kommen. Deshalb kann man dabei auch nur in der Zeit zurückreisen. Die Zeitmaschine in "Primer" ist auch kein cooles Auto, sondern eine seltsame Box, in die man kriechen und mehrere Stunden warten muss, bis man in der nahen Vergangenheit angekommen ist.

Diagramm zur Funktionsweise einer Zeitmaschine in "Primer".

Wikimedia Commons, User Theoprakt

Ein paar Stunden auf engstem Raum eingesperrt zu sein, mit der anschließenden Chance, auf sein zeitversetztes Double zu treffen und in Schockstarre zu verfallen: Wenn das die Zukunft bzw. der Start von Zeitmaschinen sein sollte, sind Gedankenspiele und Träume wohl die sicheren und bequemeren Wege, ein Time Traveller zu werden.