Erstellt am: 21. 10. 2015 - 17:08 Uhr
Kommunikation wäre das Um und Auf
Weggesperrte Hunde der Militärstreife bellen, ein Polizeihubschrauber landet unweit der ehemaligen Grenzkontrolle mit der auffälligen Kunst-am-Bau, einem Windspiel. Seit Slowenien Schengen-Mitglied ist, also seit Dezember 2007, ist die EU-Binnengrenze hier in Spielfeld offen. Für die Menschen, die jetzt hier eintreffen, ist diese Grenzenlosigkeit aber nicht vorgesehen. Es herrscht Ausnahmezustand.
Ein junger Mann rastet auf einem Stein und blickt auf den Platz wo sich die Registrierungen abspielen: "Look at me". Er trägt eine dünne Winterjacke, seine Kleidung ist sauber, er wirkt erschöpft. Tarek ist einer der tausenden Refugees, die hier gestern den Grenzübergang zwischen Slowenien und Österreich passieren konnten. Und wie viele andere will auch Tarek noch weiter.
Er habe ein Bankkonto mit 20.000 Euro, die Zertifikate B1 und B2 für seine Deutsch-Kenntnisse und eine Universität in Deutschland, sagt Tarek. In Ankara habe er den Antrag auf ein Visum für Deutschland gestellt und sieben Monate darauf vergeblich gewartet. Eine Tante und ein Onkel leben in Deutschland. "Meine Uni hat vor zwei Tagen angefangen, ich sollte dort sein", sagt Tarek entschlossen, in Damaskus hat er begonnen, Medizin zu studieren. "ISIS destroyed my university". Ein österreichischer Polizist nähert sich. Die Menschen sind glücklich, in Österreich zu sein, sage ich. "Aber sind die Österreicher alle glücklich?", sagt der Polizist.

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Ohne Freiwillige unvorstellbar
"Wir bekommen laufend Personen, Flüchtlinge, die aus Slowenien Richtung Österreich kommen. Wir haben hier unser Camp errichtet. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, werden zuerst polizeilich registriert und kommen dann in einen Bereich, der vom Roten Kreuz betreut wird", erklärt Oberst Joachim Huber von der Polizei. Registrierung heißt: Ausfüllen eines Formblattes und Identifizierung. Fingerabdrücke werden keine genommen.
Das Rote Kreuz hat Dienstagnachmittag ein einziges Versorgungszelt vor Ort: Auf Bierbänken stehen Kartons mit Weißbrotscheiben, Wasserflaschen, Kekse für die Kinder. Es gibt Babywindeln und Damenbinden. Geplant war eine "blockweise Abfertigung, stündlich bis zu siebzig Personen", erklärt der Einsatzleiter vom Roten Kreuz. Raimund Gaisch kommt aus Deutschlandsberg, er ist ehrenamtlich hier tätig wie andere HelferInnen.

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Unter den Refugees sind auch hochschwangere Frauen und Personen, die an grippalen Infekten leiden. Ein Arzt ist eineinhalb Stunden in der Früh und dann wieder am Abend vor Ort, man ist auf die Bereitschaft Freiwilliger angewiesen. Eigentlich ist am Grenzübergang nur die Registrierung geplant, dann sollte die Weiterreise in Richtung der Notquartiere in Graz und Kärnten stattfinden. Die ganze vergangene Nacht hindurch fuhren Busse, trotzdem waren in der Früh fünfhundert Refugees in den Notzelten des Roten Kreuzes in Spielfeld.

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Verständigungsversuche
"Here, I heard that they will treat us like humans", sagt Abdur Razzaq. Er hofft, sich frei bewegen zu können. Denn in allen Lagern von Griechenland über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien habe man sie festgehalten nach der Registrierung. In Serbien weigerte sich die Polizei seiner Erzählung nach, die Papiere der Refugees an Kroatien zu übergeben. "Sie wollten die Grenze dicht machen". Die Refugees saßen stundenlang im Freien im strömenden Regen. In Kroatien hätten sie keine Information bekommen, was mit ihnen passieren würde. Der 28jährige Syrer steht jetzt auf österreichischem Staatsgebiet, in Spielfeld.
Auf einmal kommen mehrere hunderte Menschen auf die weißen Zelte zu, in denen die Registrierung durch die österreichische Polizei stattfindet. Einige laufen. Schnell bildet sich eine lange Schlange Wartender. Wenig später weiß die Polizei, es sind insgesamt 4000 Refugees in kurzer Zeit angekommen. Geplant war das so nicht.
Mit den slowenischen Behörden will sich das Bundesheer eigentlich absprechen, wann wieviele Personen von einem Staatsgebiet auf das andere weiter gehen dürfen.
Spricht man weder Arabisch noch Dari, kann man sich nur mit jenen Refugees unterhalten, die Englisch sprechen. Entsprechend ist das Bildungsniveau der Interviewten.
Eine junge Frau steht einfach nur da und strahlt über ihr ganzes Gesicht. An einer Hand hält sie ein Kleinkind. Als sie meine Kamera sieht, beugt sie sich zu ihrem jüngsten Sohn, flüstert ihm etwas ins Ohr und kurz darauf nehmen beide Haltung an. Vier weitere Kinder laufen um sie herum. Die Frau und ich geben uns zur Begrüßung die Hand, jedes Kind streckt mir daraufhin seine Hand entgegen und kudert. Ihre Mutter will etwas mitteilen. Sie freue sich so sehr, es hierher geschafft zu haben, übersetzt ein Mann aus einer Gruppe anderer Refugees für sie. Mit drei ihrer Kinder ist sie unterwegs, ihr Mann warte in Deutschland mit ihrem Fünfjährigen auf sie. Österreich, das weiß der spontan übersetzende Abdur Razzaq, ist ein Nachbarland. Wo es Wlan gibt, schaut er sich die Straßenrouten an, nützt GPS zur Orientierung.
Heute, Mittwochmittag, haben laut Polizei 1500 Refugees die Trennzäune, der Sammel- und Registrierungsstelle durchbrochen und sind weiter marschiert. Polizei und Bundesheer versuchten zu verhindern, dass die Menschen auf die Autobahn weitergehen. Mehrere hundert Refugees gehen der Bundesstraße entlang Richtung Graz. Als Grund für den überraschenden Aufbruch vermutet die Polizei eine Fehlinformation: Deutschland wäre näher gelegen angenommen worden.
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
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"Jetzt sind wir hier angekommen und ich fühle mich richtig sicher", sagt ein sechzehnjähriges Mädchen aus Damaskus. "Nenn' mich Eva", sagt sie und fragt nach jeder ihrer Antworten "Any more questions?". Ihr Vater ist in Syrien ums Leben gekommen, ihre Schule brannte, zwei Mal sei sie gerade noch mit dem Leben davon gekommen. Ihre Mutter brachte sie und ihren jüngeren Bruder nach Griechenland, dann machten sich die Geschwister alleine weiter auf den Weg. Die griechische Polizei schlug auf sie ein, kurz sagt sie nichts, zeigt auf ihre Beine. Sie traue niemandem außer sich selbst und ihrem Bruder. Das Mädchen will nach Deutschland und wenn möglich nach England und ihre Mutter nachholen. "I want to continue my studies, I wanna become an emergency doctor." Notärzte, die sind am Grenzübergang in Spielfeld zurzeit mehr als gefragt.