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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 10. 2015 - 17:34

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 21-10-15.

Der Kampf um die Deutungshoheit. Heute: die Zivilgesellschaft und die besorgten Bürger.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

In diesem, aber vor allem auch im Zusammenhang der Aufklärung zum Thema Syrien-Konflikt, empfiehlt sich - wie seit der Neuübernahme immer - ein Blick in die aktuell Anstalt.

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Vor allem in Österreich war der Begriff der Zivilgesellschaft, abseits gar seltener Lichtermeere und -ketten, bis vor Kurzem nur wegen seiner schwächelnden Schatten- bis Nicht-Existenz ein Thema.

Und jetzt, plötzlich, dieses Gedränge, man könnte sagen dieses G'riss drum. Eine Kandidatin ähnlichen Namens fordert eine Aufstellung durch sie, die Medien positionieren sie schlagzeilenträchtig und der VP-Bundeschef geht mit dem Gestus des Mobilisierers, der Macht über sie hat, hausieren.

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Die recht neue Praxis der Aufmerksamkeits-Ökonomie, der aktuellen Hausse, die dieser Zivilgesellschaft zugestanden wird, will den Begriff aber eigentlich neu deuten: als Gegensatz, als Konterpart zur anderen jüngst entdeckten Gesellschaft, der der "besorgten Bürger".

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Wo die Besorgten für Angst und abwehrende Passivität stehen, wird die Zivilgesellschaft mit Zukunftsmut und Aktivität gleichgestellt. Die ganz Österreich in all seiner verbitterten Abwehrhaltungsmentalität höchst verblüffende Fähigkeit zur positiven Improvisation, der Beleg des von den Besorgten bezweifelten "Wir-schaffen-das!" hat diese divide, diesen Graben verstärkt.

Mitterlehner sagt da, dass der Bürger nicht mehr nur Konsument sei. Will man ein Thema wie die Flüchtlingsfrage lösen, "muss man aus Betroffenen Beteiligte machen". Soll heißen: "Nur mit den Bürgerinnen und Bürgern können wir das lösen. Ich glaube es ist uns gut geglückt in der Erstphase, auch mit Unterstützung des Christian Konrad, die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft anzuregen und sie zu mobilisieren."

Und zwar indem Mainstream-Media dieses angeblich neue Phänomen für linkslinks und supergutmenschig erklärt und so in ein punziertes Eck drückt; Indem VP-Chef Reinhold Mitterlehner hier in der ORF-Pressestunde einen plumpen Vereinnahmungs-Versuch unternimmt, und sich einer (letztlich sexfreien und zeugungslosen) Vaterschaft rühmt. Wenn sich dann noch die potentielle Präsidentschafts-Kandidatin Griss hinstellt und von dieser - scheinbar auch für sie neuen - Zivilgesellschaft fordert, sie finanziell und ideel zu unterstützen (weil nur dann würde sie kandidieren), dann ist das die Fortsetzung der Mitterlehner-Logik auf der Monty-Python-Metaebene.

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Es wird also - nicht zum erstenmal, aber in dieser österreichischen Dichte in neuer Rekordhöhe - inflationär und beliebig mit einem Begriff umgegangen, der aus sich selbst heraus stetes Diskursthema der demokratischen Debatte ist (sein muss). Spart man Gramsci oder Habermas aus und definiert die Zivilgesellschaft anhand von Partizipations- und Protestfragen, könnte man auf einem sehr neutralen Schweizer Level angelangen - wäre nicht die Schweiz diesbezüglich gerade ein denkbar schlechtes Beispiel.

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Wegen ihrer grundsätzlichen definitorischen Verwirrtheit und der Neigung zu Schablonendenken können Medien/Öffentlichkeit also aktuell gar nicht anders als offensives zivilgesellschaftliches Engagement im Gegensatz zu den defensiven Angstparolen der Besorgten Bürger zu sehen. Indem man den Einspringer als besserwissenden Streber anpatzt und so das (zumindest bei einem Gutteil der Bürger noch existente) schlechte Gewissen übertüncht, lässt sich trefflich über Aktivität (also das, was die Besorgten eigentlich einfordern, von den Anderen, nie von sich selber) sudern.

Dazu kommen in diesem Zusammenhang auch die Handreichungen neoliberaler Zwischenrufer, die sich selber als ideologiebefreit begreifen (und schon allein dadurch die größten Ideologen von allen sind) und die neue Zivilgesellschaft allein durch den Verdacht von emotionaler (also ideologischer) Handlung schubladisieren.

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Letztlich weiß also die rechte Hand nicht was die linke tut. Einerseits soll die Zivilgesellschaft die Arbeit leisten, die die Institutionen sich (aus Angst vor der Stimmung bei den Besorgten) versagen (bzw: in der sie versagen), andererseits wird sie dafür als naiv und selbstsüchtig abgewatscht. Einerseits sourcen auch die Bedächtigen, selbsterklärt Unideologischen der Besorgten ihr (Grund)Bedürfnis nach Menschlichkeit an die Aktivisten aus, und baden kurz im Wir-Gefühl einer tatsächlich umspannenden Gesellschaft; andererseits genügt den meisten ein einziger populistisch gestreuter (und in der Regel eingebildeter) Funke, um sich von all dem umfassend zu distanzieren. Einerseits definiert die Politik ihre Citoyens für unmündige, nur durch ihre bedeutsamen Anstöße motivierbare Stimmvieh-Manövriermasse, andererseits fordert sie nach dem Gratis-Arbeitseinsatz an den Bahnhöfen und anderen Hotspots jetzt auch Fundraising für politische Kandidaturen. Nach der Monty Python-Metalogik wäre jetzt ein Bezahlsystem für die Zulassung als Wähler der nächste Schritt.

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Die Zivilgesellschaft, das sind alle. Nicht nur die NGOs, nicht nur die Aktivisten, nicht nur die an demokratischer Partizipation interessierten, sondern auch die passiv-Nörgler; und auch die Besorgten Bürger. Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe, die sich da rausnehmen und -rechnen kann; es sei denn es handelt sich um Akteure, die das System stürzen wollen, also um Kräfte außerhalb des Verfassungsbogens.

Wenn die und ihr politisch legitimierter Arm versuchen den Begriff der Zivilgesellschaft als Kampfwort wie Gutmensch und als Gegenpol zum Besorgten Bürger zu etablieren, dann ist das schon schlimm genug. Dass alle anderen, voran die Mainstream-Medien, bei dieser Begriffsverwirrung mitmachen, und - wegen übergroßer Empörungsbewirtschaftung - gar nicht bemerken, dass es sich (wieder einmal) um einen Kampf um die Deutungshoheit handelt, ist aber deutlich übler.