Erstellt am: 20. 10. 2015 - 17:46 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 20-10-15.
#powercorruption&lies #sportbetrug
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Apropos: Power, Corruption & Lies
Es gibt wenig Anstrengenderes als das öffentliche Lamento des erwischten Korruptionisten, der die Maske des Biedermanns, der der Menschheit doch einen Dienst erwiesen hat, so lange wie möglich auf dem von Panik verzerrten Gesicht halten will.
Noch mühsamer ist nur das Lamento des Empörten, der zwar mitpartizipiert, aber nichts gewusst und nichts geahnt hat und die nach solchen Aufdeckungen besonders hysterische und heuchlerische Supermoral in den öffentlichen Diskurs wirft.
Radio FM4
Wer erst nach den Enthüllungen des aktuellen Spiegel ernsthaft in Erwägung gezogen hat, dass auch die Fußball-WM 2006 nur mittels Bestechung der Vergabe-Entscheidungsträger für Deutschland gewonnen werden konnte, der sollte seine Teilnahme am öffentlichen Leben bis zur Absolvierung eines demokratiepolitischen Praxis-Tests sistieren.
Weil es sich nämlich nur um Personen handeln kann, denen jeder Gebrauchtwagenhändler eine Autokratie, jeder Pirinçci die Wiedereröffnung der KZs verkaufen kann.
Selbstverständlich sind im Vorfeld des Sommermärchens Gelder geflossen, um die Standort-Wahl in eine bestimmte Richtung zu treiben. Wie immer, wenn die Supermächte der Weltsportereignisse, FIFA und IOC ihre Blockbuster Fußball-WM bzw. Olympia an die Meistbietenden verklopfen. Nicht nur im Fall von Katar oder Russland oder bei Olympia in Coca Cola-Atlanta oder Peking, also den recht klar auszumachenden eindeutigen Fällen, sondern immer.
Immer.
Bestechung ist da Folklore, Normalität.
Und während sich gewöhnliche Betriebe mittlerweile mit Compliance-Regeln für alles über den Nennwert eines Kulis überschreitet, ins Hoserl machen, verbreitert sich in der obersten Liga der korrumpierten Gentlemen die schon problematische Geschenkannahme ins Groteske, millionenschwere.
Das in dieser Hinsicht besonders heuchlerische Europa, die alte Welt, die sich für etwas Besseres und die Untiefen der Korruption bei gierigen Asiaten, verrückten Afrikanern und schmierigen Latinos für gut, sicher und exklusiv aufgehoben hält (ohne mitzubedenken, dass die Wurzeln all dessen in ihrem ureigenen Kolonialismus stecken), gab auch in der schwelenden FIFA-Affäre die Boulevard-Theater-Witzfigur der betrogenen Ehefrau, ehe ein kleiner Racheschlenker der Blatter-Partie ihren Strahle/Saubermann Michel Platini spielentscheidend aushebelte. Platini kann für ihm persönlich überwiesene zwei Millionen (für ein klassisches "Was woa mei Leistung?") keine Belege vorweisen, ist also als strukturell korrupt enttarnt. Alle, die ihm danach noch treuherzig blinkend die Stange hielten, sind Teil des Systems. Eines Systems, das sich durch Geben-Nehmen-Schmieren am Laufen hält, eines Systems, das Geschäfte mit Events, TV-Rechten, Infrastruktur, Umfeld-Business macht, Geschäfte in vielfacher Gewinnhöhe der vergleichsweise läppischen Schmiergelder.
Jeder, der sich länger als zwei Minuten mit dem Thema beschäftigt, kann das erkennen. Natürlich ist Olympia in Athen super, sind Fußball-Feste in Brasilien und Deutschland aufgelegt, aber ohne dass nachgeholfen wird, geht in solchen auf Bereicherung ausgerichteten Systemen nichts. Alle Offiziellen, die sich jetzt hinstellen und das Gegenteil behaupten, verkaufen die Öffentlichkeit für blöd.
Interessanterweise hat aber die Öffentlichkeit (und das sind in diesem Fall nicht nur die Medien, sondern auch die Stammtische, das Alltagsgelaber der Menschen) ein masochistisches Interesse daran, sich selber auch für blöd zu verkaufen. Und zwar indem man sich neben die Offiziellen, die mit angststarren Augen behaupten von nix zu wissen und doch niemals ihre Reputation und überhaupt zu riskieren, hinstellen und mit ebenso leeren Augen, Herzen und Köpfen beteuern, jetzt aber so richtig ordentlich und maßlos enttäuscht zu sein.
Beides ist ebenso verlogen wie dämlich.
Weil praktisch alle Menschen, zumindest in der überschaubaren mitteleuropäischen Gegend, selber korrupt sind, strukturell korrupt, fast alle, fast täglich. Den Vorteil auf Kosten anderer suchen, die Steuer umgehen, den Sozialstaat anpumpen und ihn gleichzeitig miesmachen, auf die Rechnung verzichten, mit kleinen Geschenken die Freundschaft erhalten, Seilschaften bilden, so unliebsame Konkurrenz ausbooten und noch mehr Übervorteilung. Alles Teile von Korruption, struktureller Korruption, die uns praktisch alle praktisch immer im Griff hat.
Genauso wie niemand objektiv ist, ist jeder strukturell korrupt.
Die dieser Tage hingeheuchelte Annahme, dass just Verantwortungsträger, die mit viel Risiko jonglieren, indem sie etwa einem fußballmäßig geistesgestörtem Land wie dem des aktuellen Titelträgers das größte Turnier der Welt hinstellen wollen, dass just diese im Big Business einer völlig korrupten Branche gefangenen Mächtigen die einzigen Anständigen sind, die ist in ihrem Nachgeschmack geradezu infam.
Natürlich sind sie die größeren und rücksichtsloseren Monster, aber sie waren Monster mit Auftrag, mit einem deutlichen Mandat ausgestattete Monster. Dieses Mandat (Kaiser, hol uns die WM!) jetzt mit philistergleicher Anmutung zu leugnen, zeigt nur wie ertappt sich die jetzt Empörten in Wahrheit fühlen (auch wenn viele Unreflektierte gar nicht wirklich wissen, was ihnen Unbehagen bereitet).
Die im Krisenfall DFB/FIFA zu beobachtende Mechanik ist im übrigen eine schlichte Kopie der heuchlerischen Empörung, die (seit ein, zwei Jahren angefacht von einer unseligen Koalition von rechtsextremen Xenophoben und bezahlten Putin-Trollen) die Medien (a.k.a "Lügenpresse") überrollt. Auch hier stellt sich ein teil einer einstmals profitierenden, mitpaktierenden Zivilgesellschaft hin und erregt sich über Offensichtliches, von ihnen auch Eingefordertes, nämlich die allzu leichte Beeinflussbarkeit der Medien. Das wiederum ist auch nur eine Reprise des Empörungsklassikers "Politikerverdrossenheit": zuerst den gläsernen und gefälligst von der eigenen Meinung zu steuernden Politiker fordern und ihn dann (auch weil er durch diese Gängelung einen Teil seiner Machtfülle abgeben musste) später scheiße finden; genauso heuchlerisch.
Noch anstrengender als das Lamento des erwischten Korruptionisten ist das des supermoralisch Empörten, der die Lebenslüge seiner virtuellen, in Schwarz und Weiß eingeteilten Welt bedroht sieht.