Erstellt am: 20. 10. 2015 - 19:53 Uhr
Bodymoving/Bootybouncing
Elevate Festival
Das Grazer Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs findet von 22. bis 26.10 in Graz statt.
Mehr zum Diskursprogramm beim Elevate Festival hier von Maria Motter, das sind die fünf Nominees für den Elevate Artivism Award 2015
Das vollständige Lineup des Elevate 2015 steht hier.
"Relax, it's only a crisis" lautet der Titel eines DJ-Mixes, den Steven Warwick aka Heatsick für das britische Magazin The Wire aufgenommen hat. Der Satz stammt aus einer Vorlesung von Douglas Crimp, von der Warwick eine Aufnahme in sein Set integriert hat. Der amerikanische Kultursoziologe spricht darin über Profiteure der New Yorker Finanzkrise der frühen siebziger Jahre und die Anfänge der dortigen, queeren Disco-Szene, während darunter minutenlang ein puristischer Industrial-/Disco-/Funk-Beat aus "Progressive Disco" von PD pumpt.
Der Mix schlägt in weiterer Folge zwischen Queer Theory und Fluxus-Aktionsrecordings, Disco, House und Noise noch so einige Haken und steht sowohl programmatisch für den Stil und das Musikverständnis von Heatsick - nach allen Enden offen - als auch für das Programm des Elevate Festivals. Musik und Diskurs, das Zerhacken von Genrebeschränkungen, Party, guter Lärm, aber auch: gesellschaftspolitisches Bewusstsein, Haltung.
Heatsick:
- Do, 23.10., Dom im Berg
und:
- Fr, 24.10. Stallbastei beim HörgeREDE Festival: "Holy Water"-Text-Performance mit Video
Dorian Concept feat. Cid Rim & The Clonious:
- Do., 23.10., Dom im Berg
Nachdem Heatsick, der seine Musik auf Geschmacksinstanzen wie PAN, Rush Hour oder Not Not Fun veröffentlicht, am Eröffnungstag den Dom im Berg mit einem Liveset bespielt, übernimmt Dorian Concept mit Cid Rim und The Clonious die Bühne. Es wird dies eine der letzten gemeinsamen Auftritte des Trios, zumindest im Rahmen der aktuellen "Joined Ends"-Shows, sein, und er wird wieder super werden.
Ash My Love, BulBul und Ventil, alle:
- Do., 22.10., Tunnel
Auf dem zweiten Floor verbinden Lärm und Spaß unter anderem die heimischen Crews von Bul Bul und Ash My Love, die soeben erst gemeinsam eine zauberhafte Split-EP veröffentlicht haben, sowie die Livetechno-Berserker Ventil.
DJ Funk Gonna Hurt Somebody
DJ Funk:
- Fr., 24.10., Dom im Berg
Während draußen vor dem Eingang zum Dom während des ganzen Festivals die Tweets der inhaftierten US-Whistleblowerin Chelsea Manning über die Felsen flimmern, verwandelt sich die weiße Riesenhöhle des Dom im Berg am Freitag in die FM4 Bühne. Der Schwerpunkt liegt hier auf Bassculture in ihren verschiedensten Auslegungen.
Elevate Festival
Mit DJ Funk steht dort ein Mann auf der Bühne, der das Attribut Legende in Texten über sich bereits als ständigen Begleiter führt. Vergangenes Jahr hat er unter dem Titel "Gold" eine drei CDs umfassende Rückschau auf zwanzig Jahre Bootybouncing im Dienste des Ghetto House veröffentlicht. Diese symbiotische Kombination aus House und Hip Hop, aus trockenen 909-Beats, Claps und Vokalschnipsel mit allerlei sexually explicit content hat DJ Funk rund um die Label-Institution Dance Mania seit Beginn der neunziger Jahre maßgeblich mitentwickelt. If this don't make your booty move, your booty must be dead.
FM4 Bühne feat. RP Boo, MikeQ, Bok Bok, Venus X, DJ Ripley:
- Fr., 23.10., Dom im Berg
In direkter Verbindung zum Chicagoer Ghetto House der Neunziger steht auch RP Boo, der mit DJ Funk die Heimatstadt ebenso teilt wie die Vorliebe für zerschnipselte Stimmen in Endlosloops und schnörkellose Kicks. In atemlosem Tempo flitzt das von ihm, ja, geprägte Genre Footwork als "breakneck mutation" (© The Guardian) von Ghetto House besonders in den letzten Jahren über die globalen Dancefloors, seit die Compilations "Bangs & Works, Vol.1 + 2" via RP Boos Haupt-Label Planet Mu den zuvor eher als lokales Phänomen wahrgenommenen Sound in die Welt getragen haben. Als hübsche Gründungslegende zu seinem Künstlernamen sei noch der folgende Satz zitiert: "When you say it real fast and loud, it sounds like "our people." "
Venus X / Elevate Festival
Gleichzeitig, davor und danach betreten auch die ähnlich energiegeladene Geschmacksinstanzen Bok Bok, MikeQ, DJ Ripley und Venus X die Berghöhle. Venus X und ihre niederschwellige, eklektische New Yorker Partyreihe GHE20G0TH1K wurden zuletzt von Stars wie Rihanna und Diplo als Blaupause für derart ungenierten Ideenklau benutzt, dass sie sie lieber einstellte, als Teil des Ausverkaufs einer appropriierten Kultur zu werden.
Editions Mego Showcase:
- Fr., 23.10., Dungeon
In den Uhrturm Kasematten, einem Floor, der mit "Dungeon" kaum passender benannt sein könnte, tobt inzwischen ein Showcase des Experimentallärm-Superlabels Editions Mego, das dieses Jahr sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert. Nicht weniger als sechs Acts der von Peter Rehberg von Wien aus betriebenen Drone- und Noiseinstanz betreiben dort Grundlagenforschung zwischen Ambient und Musique Concète, Keyboard-Improvisation, Basshall, Synthmodulation und Techno. Gemeinsam haben die Beteiligten Steve Hauschildt, Helm, Prostitutes, Philipp Quehenberger, CHRA und Pure jedenfalls die unbedingte Konsequenz in ihrer Arbeit und ihren Liveshows, zwischen denen am Elevate Festival Labelboss Pita persönlich Musik auflegen oder Plattennadeln über Slipmats kratzen lassen wird.
"Enter The Nuum" mit Demdike Stare, Paradox, Rhythmic Theory u.a.:
- Sa., 24.10., Tunnel
In Bezug auf Simon Reynolds Begriff des Hardcore Continuums steht der Tunnel-Floor am Samstag mit dem Motto "Enter The Nuum" ebenfalls im Dienste der allersorgfältigsten Erforschung der Dunkelheit. Die britischen Hexenmeister Demdike Stare füllen die Felshöhle mit Rauch und Geisterbeats, während etwa der Bristoler Breakbeat-Althase Paradox und der Geheimact Rhythmic Theory Wände mit Beats und deren Verzehnfachung und Phasenverschiebung bauen. Oder einreißen, je nachdem.
Suuns / Jerusalem in my Heart / Elevate Festival
Suuns & Jerusalem in my heart:
- Sa, 24.10, Dungeon
Im Dungeon wird man inzwischen Zeuge, wie - im Elevate-Line Up eher ungewöhnlich - die kanadische Artpunk-Band Suuns mit dem libanesisch-kanadischen Avantgarde-Elektroniker Radwan Ghazi Moumneh alias Jerusalem in My Heart eins werden. Ihr gemeinsames, selbstbetiteltes Album ist im Frühling dieses Jahres bei Secretly Canadian erschienen und verschmilzt die krautigen Synthesizer, den nöligen Gesang und die eindringlichen Oszillationen der ersteren mit den arabischen Einflüssen und endlosen Sequenzer-Loopschleifen des anderen. Spitzenprojekt.
The Black Madonna:
- Sa., 25.10., Dom im Berg
Auf der großen Bühne geht inzwischen eine Künstlerin ans Werk, die Anfang des Jahres auf so einigen Listen der heißesten Acts to watch aufgetaucht ist und noch für die nächste Zeit ihr Debütalbum versprochen hat. Seit zwei Jahren ist The Black Madonna, im wirklichen Leben Marea Stampers, Resident und Bookerin im ältesten noch bestehenden Club Nordamerikas, nämlich der Smart Bar in Chicago, wo sie außerdem als Nachlassverwalterin der ewigen House-Ikone Frankie Knuckles arbeitet. Clubmusik zwischen klassischem Chicago-House, rohem Funk und orchestraler Disco ist für sie im krassen Gegensatz zu einer bloßen Aneinanderreihung von Rhythmen und Melodien ein Mittel zur Verbindung von Menschen aller Jahrgänge, Klassen, Farben, Genders.
I remember house before it was called house
I remember house when house respected house
I remember house when house grew from the roots of house
I remember house when house was soul music and r'n'b,
before house was disco, before house was disco
I remember house before the super-clubs
I remember house when people knew the lyrics of house
I remember house before record labels sold the house
I remember house when house was about love
HERBERT & Jimi Tenor:
- So, 25.10., Orpheum
And then some. Osunlade im Dom im Berg, HörgeREDE Festival für (noch) experimentelle(re) Kunst am Freitag und Samstag in der Stallbastei, und dann, Szenenwechsel, der große Elevate-Abschlussabend am Tag vor dem Feiertag im Grazer Orpheum: Matthew Herberts Rückkehr zur elektronischen Musik mit zumindest keinem auf den ersten Blick hervorgekehrten Konzept, Jimi Tenors immer wieder umwerfende Live-Fusion von Techno, augenzwinkerndem Pop, Afro-Funk, Disco-Jazz und noch circa einer Million Einflüsse mehr. Creative Response.