Erstellt am: 19. 10. 2015 - 15:43 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 19-10-15.
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Am Wochenende war also WM-Viertelfinale, vier Matches, alle live, alle spannend, packend, von rohem Äußeren, aber von großer technischer, taktischer und athletischer Qualität. Am Wochenende war also Rugby, und alle Teams, die ich mag, sind weitergekommen.
Ich besitze einige Fußball-Trikots, die ich nur aus gaghaften Verkleidungsgründen an Tagen mit Spielen der jeweiligen Vereine oder Nationalteams tragen würde. Ich besitze zwei Rugby-Trikots und ich habe sie, ohne jeden Zweifel, am Samstag getragen, zuerst das dunkelgrüne der Springboks, dann das Schwarze der All-Blacks. Ich denke, dass ich das kann, weil ich im Vergleich (zu Fußball) wenig über Rugby weiß, und sicher einen naiveren Zugang habe. Ich habe nicht einmal Invictus gesehen, mir haben die Spiele der Mandela-Heim-WM schon genug Gänsehaut verpasst.
Aber: mein naiver Rugby-Zugang lässt mich alle vier Jahre, immer zu WM-Zeiten, in purer Freude baden. Das hat seine guten Gründe: Rugby ist übersichtlich; die großen, wirklich guten Nationen sind immer dieselben. Rugby ist streng geregelt, aber trotzdem vielfältig, überraschungs- und entwicklungsträchtig. Und es bedarf keiner verkrampften Dauerregeländerungs-Schmähs um das zu befördern - es passiert ganz von selber. Rugby braucht nicht nur den schnellen und wendigen Model-Athleten, sondern auch die dicken Jungs mit den Knubbelohren, man muss raufen, laufen, werfen, passen tacklen UND kicken können. Und: trotz des unvermeidlichen Professionalismus haftet auch den Allerbesten der feine Geruch des Amateurismus an, des Sporttreibens aus dem Besten aller Gründe: aus reinem Spaß. Und das wiederum ist es, was mir den Zuschau- und Mitfieber-Spaß bereitet.
Und das nicht nur, weil unter den letzten Vier nur die grandiosen spielstarken Mannschaften aus der Süd-Hemisphere stehen. Überhaupt haben sich bei der aktuellen WM, dem #rugbywc15, der achten, der siebenten, die ich mitbekommen habe, einige Positionen verschoben.
Der Süden hat den Norden ordentlich abgehängt; und sich mit Argentinien und Japan verstärkt. Die kleinen ozeanischen Insel-Teams werden deutlich untergebuttert. In Europa drängt die zweite Reihe nach. Und: defensives No-risk-Rugby ist out.
Championship outperforms Six Nations
1999 war es ähnlich (der Guardian analysiert hier sehr präzis): die drei großen Teams des Südens, Neuseeland (die Brasilianer des Rugby), Australien (das Deutschland des Rugby) und Südafrika (das Argentinien des Rugby) warfen im Viertelfinale die britischen Teams aus dem Bewerb; nur Frankreich rettete die europäische Ehre.
2015 (Argentinien ist erstarkt und zur vierten Macht des Südens geworden) kommt Europa erstmals gar nicht mehr unter den letzten Vier. Und trotz des Mini-Vorsprungs von Australien gegen Schottland gestern, trotz der guten Leistung von Wales gegen Südafrika am Samstag und den grandiosen 30 irischen Minuten gegen Argentinien ist die Schere größer geworden, der Vorsprung deutlicher.
Das hat mit den unterschiedlichen Strukturen zu tun, in denen sich die beiden Hemisphären organisieren. Der Süden hat sich nach den TriNation-Anfängen auf Vereins- und Nationalmannschafts-Ebene zu Sanzar und zur Rugby Championship zusammengeschlossen, wird sich 2016 um Halbfinalisten Argentinien (die Italiener des Rugby) und Japan (die sich mit ihrem an Neuseeland orientierten Spiel erstmals in der Weltspitze etablierten, sogar gegen Südafrika gewinnen konnten) erweitern. Hinter den Profi-Teams im Super Rugby stehen semiprofessionelle Bewerbe von Regionalauswahlen.
Anmerkung: das irische Team besteht aus Spielern der Republik Irland und Nordirland/Ulster. Auf diesem internationalen Level ist das die einzige diesbezügliche nationen- und grenzüberschreitende Ausnahme.
In Europa läuft neben den Six Nations, der Meisterschaft die bis 99 als Five Nations (mit von England, Irland, Schottland, Wales und Frankreich) durchgeführt wurde, ehe Neuteilnehmer Italien dazukam, ein eher unübersichtliches, von England und Frankreich (also dort, wo das Profi-Geld daheim ist) dominiertes internationales Ligen-System, sowie die nationalen Meisterschaften. Es gibt eine gemeinsame Liga der vier kleineren Six-Nations-Länder, gibt starke Ligen mit schwachen Nationalteams (Spanien) und umgekehrt (Georgien; da wird sogar eine Six-Nations-Erweiterung auf Seven erwogen).
Islanders in the storm
Schwächer als gewohnt haben die (klassischen) kleinen pazifischen Nationen - Fiji, Samoa und Tonga - abgeschnitten. Nicht nur weil ihnen die Breite der Spieler fehlt und Australien/Neuseeland gerne mit Staatsbürgerschaften wildern, sondern auch ganz offiziell: der sehr körperliche Stil der Islanders ist dem Weltverband ein Dorn im Auge weswegen es auch scharf kritisierte Strafmaßnahmen gab, die Spiele der Ozeanier wurde penibler und mit mehr Ausschlüssen gepfiffen. Samoa, Tonga und Fiji belegten in ihren Fünfer-Gruppen jeweils nur den vierten Rang und müssen nun eine Reduktion der WM-Startplätze für ihre Region befürchten (weil sich nur die Top 3 gleich wieder fix fürs nächste Turnier qualifizieren). Insofern hat sich der leicht kolonialistisch anmutende Straffeldzug also schon ausgezahlt.
Offense wins Games and Championships
Die Insel-Teams waren nicht nur wegen ihrer lokalen Versionen des neuseeländischen Haka, dem unüberbietbaren Höhepunkt - hier mit Übersetzung - jeder Rugby-WM ein optischer Augenschmaus, sondern auch wegen ihrer ungestümen Auslegung des Sports, dem körperlichen Vorwärtsstreben durch die gegnerische Reihen. Und somit eine gelebte Anti-These zum europäischen Spiel, das - vor allem in den letzten Jahren - von taktischer Vorsicht geprägt war und sich gern mit aus Kicks und Straftritten erzielten Punkten genügte und den öffentlichkeitswirksamen USP des Spiels, den durch schnelle Läufe, kluge Pässe und das Reißen von Lücken errungenen Versuch (dass die Erfinder den erfolgreichen Lauf mit dem Ball in der Hand hinter die feindliche Grundlinie als "try" also als Versuch bezeichneten, ist von einer poetischen Bescheidenheit, die ihresgleichen sucht) zu ersetzen drohte.
Nach einer Phase der Verwirrung in den Nuller-Jahren, nach der von Jonah Lomu, dem Allergrößten, geprägten Ära, hat der Süden auch wieder dorthin zurückgefunden, sich die Erkenntnis, dass im Rugby die spielerischen Mitteln eher zum Erfolg führen, zurückgeholt. Wie zum Beleg dafür scheiterte der Veranstalter der aktuellen WM, Immer-Co-Favorit England schon in der Gruppenphase, an seiner eigenen strategischen Unfähigkeit, an einem dümmlichen Vorsichts-Konzept.
Das Finale der Herzen
Nächsten Samstag wird in Twickenham/London mein vorweggenommenes Finale stattfinden: Südafrika wird auf Neuseeland treffen, und ich werde mich für eines meiner beiden Trikots entscheiden müssen (und es ist jetzt schon klar, es wird schwarz sein, der Springbock bleibt im Kasten). Tags darauf spielen die Pumas, das Team meiner Schwägerin, gegen Australien (das ein boxendes Kanguruh als Maskottchen hat), eine Woche später ist Finale.
Neuseeland hat das aktuell beste, weil kompletteste Team, eine Mannschaft die alles kann, Gedränge, Gasse, Paket, Pass- und Laufspiel, Tacklen und Kicken sowieso; wie sie im Viertelfinale Frankreich, die wohl aktuell beste europäische Mannschaft, betonierten, das war sagenhaft. Australien trat gestern in vielerlei Hinsicht derart fehlerhaft auf, man hatte das Gefühl, dass sie ums Ausscheiden betteln. Südafrika offenbarte gegen Wales auch einige unerwartete (inhaltliche) Schwächen und Argentinien war gegen Irland, das beste Überraschungsteams dieser an Überraschungsteams (Japan, Wales, Georgien...) nicht armen WM, letztlich nur auf Augenhöhe und schaffte es dann wegen der größeren Reife ihrer Spielanlage.
Klingt nach klaren Ergebnissen - aber mit der Papierform ist es oft nicht weit her, wenn es um den Titel geht und die Nerven flattern. Denn das abgefeimte Profitum, das man von anderen Sportarten kennt und nicht immer schätzt, das steht dem Rugby erst noch bevor; oder vielleicht auch nicht. Ich packe einfach den Moment.