Erstellt am: 18. 10. 2015 - 13:03 Uhr
Dreams are my Reality
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
Die Freuden der Realitätsflucht, ein feines Verzichten auf Fakten, ein Sich-Hineindenken in eine gefühlte, mögliche Wahrheit. Der australische Musiker Robert Forster hat einen kleinen, knappen Song geschrieben, der der Vorstellungskraft und der Träumerei ein Loblied singt. Man soll sich von der Vernunft und den Tatsachen nicht die Momente kaputtmachen lassen.
Mit seinem kongenialen, darf man mal so sagen, Partner Grant McLennan hat Forster in der gemeinsamen Band The Go-Betweens in den 80ern und nach einer Reunion in den Nuller-Jahren etliche, ewige Popsongs der Rührung, der schönen Wehmut, der Eleganz ersonnen. Kürzlich ist nach sieben Jahren Pause unter dem schlichten Namen "Songs To Play" sein sechstes Solo-Album erschienen.
Robert Forster
Forster navigiert da durch schlank angerichteten, keineswegs altersmüden Kammerpop, der von Folk ebenso zehrt wie von 80er-Gitarenwave - bloß eben in Watte gekleidet. Während, vereinfacht gesagt, sich Grant McLennan bei den Go-Betweens gerne mit offenen Armen den großen Emotionen hingab und einen großen, catchy Popmoment einen großen, catchy Popmoment sein lassen konnte, spielte Forster lieber auch mit Ironie und Zynismus, zog Brüche in seine Lieder ein und würzte sie mit leisem Gift.
Der Song "Let Me Imagine You" ist ein Höhepunkt auf "Songs To Play" - auch hier ist etwas schief. Ein einfaches Liedchen, leicht nachzuvollziehen, ein Lied, das sich in ein paar kurzen Gedanken über das Verliebtsein des Erzählers freut. Es gibt jedoch auch Zweifel und Mysterien.
Als ein besser gelaunter Lou Reed versucht Forster wieder einmal in brüchigem Sprechsingsang, die Töne zu treffen und die Melodien zu finden. Erhebender als jedes virtuose Geknödel. Er besingt eine Person, die grade nicht da ist, vielleicht existiert sie gar nur in seinen Hirngespinsten? "Let Me Imagine You" – Robert Forster möchte gar nicht so genau wissen, was diese Person gerade so treibt: "Please don‘t tell me, let me dream and guess. I missed the ballet you directed. Was it a big success?"
Tapete
Ist sie eventuell gerade in Paris, fragt sich Forster, hat sie gar ihre Memoiren schon fertiggestellt? Der Musiker suhlt sich im Ausmalen von Fantasie-Szenarien und im wohligen Vermissen. Weil aber eben nicht alles Wonne sein kann, lädt er diesen Song auch, mit einem Zwinkern zwar, mit leisen Tönen von Missgunst auf, die dann eben ihn, den Erzähler, in ungünstigem Licht erscheinen lassen: So fragt er sich, ob die ferne Person nicht schon wieder das ganze Geld für Klamotten ausgegeben haben könnte, und was ihn das wohl alles wieder kosten würde. Das will er schon gar nicht wissen.
Am Ende gibt's dann noch Kritik am konstanten Anwesenheitsterror der digitalen Gegenwart, der Fear of Missing Out und der Tatsache, dass man eben mehr oder weniger immer wissen kann, was dieser oder jener so gerade macht oder isst: "Please don‘t twitter, let me imagine you, I find it sweeter, let me imagine you". Robert Forster verkauft diese Zeile nicht angestaubt onkelhaft, sondern zwanglos im Vorbeigehen. Ein bittersüßes, beschwingtes Lied, das in wenigen Bildern einen Charakter, ein Gefühl zum Leben erweckt.