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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

17. 10. 2015 - 14:00

Vom Erfolg überholt?

Hat sich der Feminismus durch seinen Erfolg abgeschafft? Ein Abend bei der Berliner Tagung "Dare the im_possible", die die Möglichkeiten erforscht, das 21. Jahrhundert feministisch zu gestalten.

Dare the im_possible

In der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung geht es unter der Überschrift "Dare the im_possible / Wage das Un_mögliche" noch bis am Sonntag um die Zukunft und darum, wie das 21. Jahrhundert feministisch gestaltet werden kann.

In Kooperation mit dem Missy Magazin gibt es vier Tage lang Vorträge, Workshops, Diskussionen, Filme und Konzerte zum Thema.

Der Feminismus ist ja in den Medien durchaus präsent, meistens wird aber nur gefragt, ob er überhaupt noch gebraucht wird und ob es nicht bald mal genug ist mit der gendergerechten Sprache und der Quotendiskussion.
Die Tagung "Dare the im_possible", die derzeit in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung stattfindet, will in Erinnerung rufen, dass Feminismus aber viel mehr ist: Kritik am gesellschaftlichen System, an Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung. Feminismus zeigt gesellschaftliche Alternativen auf und formuliert politische Forderungen.

Das Interesse an solchen Fragen scheint groß zu sein, denn die Konferenz ist ausgebucht und der große Saal des Hauses ist zur Eröffnung am Donnerstag gefüllt mit Teilnehmerinnen aller Altersstufen, auch ein paar männliche Interessierte hatten sich eingefunden.

"Vom Erfolg überholt? Feministische Ambivalenzen der Gegenwart" lautet der Titel des Eröffnungsvortrags von Sabine Hark, Professorin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Zu Beginn ihres Beitrags geht sie auf die Tagespolitik ein: Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag mit großer Mehrheit die Verschärfung des Asylrechts beschlossen, die eine große Verschlechterung der Lebensumstände von Geflüchteten in Deutschland mit sich bringt.

Tipp:

Der Vortrag in Wort und Video

Die sogenannte "Flüchtlingskrise" - in Wahrheit eine Krise der Bürokratie und Staatsapparate - sei auch ein Thema des Feminismus. Denn Feminismus sei kein "Luxusproblem" sondern kümmere sich um alle Formen von Entrechtung und Gewalt, so Hart. Im Folgenden geht es dann aber um feministische Ambivalenzen und wie "Erfolg" als Chiffre zur dominanten moralischen Leitwährung wurde. Diese "Pflicht zum Erfolg" gibt nicht mehr nur in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft sondern auch im privaten Leben den Ton an und grundiert in steigendem Maße auch die Selbstbeschreibungen von Frauen* und Männern*.

Es reicht ja längst nicht mehr im Job erfolgreich zu sein, auch im Privatleben muss frau erfolgreich sein. Erfolg - das heißt eine super Beziehung als Doppelkarrierepaar mit super Kindern, dazu muss frau aber auch immer super aussehen, eine gute Figur bewahren, gesund kochen, sich fit halten, das alles möglichst spielend zu meistern und dabei auch noch glücklich und zufrieden sein. Das wird von bildungsaffinen Frauen im globalen Norden inzwischen erwartet. Nichtsdestotrotz war der Feminismus als Bewegung in den letzten Jahrzehnten durchaus erfolgreich: Frauen sind heute sichtbarer denn je. Sie besetzen die erste Reihe der Politik und die Katheder in den Hörsälen, sie bevölkern die IT-Labore, Finanzbörsen und internationalen Gerichtshöfe, ohnehin die TV-Mordkommissionen und Moderationssessel der politischen Talkshows, die literarischen Bestseller-Listen und Bühnen dieser Welt. Die Pflicht zum Erfolg und zur Arbeit bringt Teilhabe am Konsum mit sich, eine Konsumbürgerschaft, so Hart. Hat sich der Feminismus also durch seinen Erfolg abgeschafft?

Die ehemalige Bundesfrauenministerin Kristina Schröder forderte 2012 in ihrer Streitschrift "Danke, emanzipiert sind wir selber!" den "Abschied vom Diktat der Rollenbilder" und von der "Bevormundung" ihrer Generation durch "Feministinnen und Strukturkonservative".

flyer für die veranstaltung

Heinrich-Böll-Stiftung

Sonja Eismann leitete eine Talkrunde mit der Grünenpolitikerin Gesine Agena, der Unternehmerin Anke Domscheit-Berg und dem Kulturwissenschaftler Patrick Catuz. Nach den Visionen des Feminismus im 21. Jahrhundert befragt, war sich die Runde schnell einig, dass es angesichts von ungleicher Bezahlung, dem Monopol der unbezahlten Care-Arbeit von Frauen, vom rosa/hellblauen Backlash in den Spielzeugabteilungen und Kinderprogrammen für den Feminismus noch jede Menge zu ist. Patrick Catuz von der Uni Wien sah vor allem in Österreich die "angry young men" als dringlichstes Problem an, bei den Männern unter 30 sei die FPÖ die stärkste Partei. Allerdings verspüre er wenig Lust, sich um die zu kümmern, vielleicht müsse man mit neuen Männerbildern bei den Kids anfangen. (Eine Haltung, die man in Deutschland angesichts der Jungnazis in den ostdeutschen Dörfern und den "besorgten" Pegida- Bürgern durchaus nach vollziehen kann.)

Außerdem empfinde er die Gegenwart als eine recht langweilige, konservative Zeit, es müssten so langsam mal neue Beziehungsmodelle, neue Wohn- und Liebesmodelle her.

In den nächsten Tagen geht es in der Heinrich-Böll-Stiftung weiter um Feminismus, Gott und die Welt, um die Fortpflanzungsindustrie, die Kopftuchdebatte, um digitale Gewalt, Friedensarbeit, um Behindertenrechte, das problematische Bundesland Sachsen, um Abtreibung und die Zukunft der Frauenzeitschriften.