Erstellt am: 15. 10. 2015 - 15:28 Uhr
Weiß wie Schnee und rot wie Blut
Weiß wie Schnee und rot wie Blut: gleich in der ersten Einstellung werden wir mit zwei der Primärfarben für Crimson Peak konfrontiert. Später wird noch Schwarz hinzukommen, immerhin wird hier ein schauriges Märchen erzählt.
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Alle Reviews der FM4 Filmredaktion
Die Farben leuchten, die Gewänder wallen, die Blicke sind tief und hintergründig. Besser gesagt: sie behaupten, hintergründig zu sein, so wie alles an diesem Film Tiefe behauptet, ohne sie zu liefern. Subtilität hat hier nichts zu suchen; hol schon mal das Beil, wir werden es brauchen.
Universal Pictures
Amerika, Ende des 19. Jahrhunderts. Die junge, ernsthafte Amerikanerin Edith hat Schriftstellerambitionen und hält wenig von frivolen Gesellschafts-vergnügungen. Trotz ihrer No-Nonsense-Attitüde verfällt sie ausgerechnet dem Charme eines englischen Baronets - der hat ihn aber auch auf Maximalstufe aufgedreht, um die junge Erbin einzuwickeln. Ein einziger bedeutungsvoller Blickwechsel mit seiner strengen Schwester macht klar: Die beiden haben nichts Gutes im Sinn.
Ein Schicksalsschlag nach dem anderen
Wie es sich für eine gute Gothic-Horror-Geschichte gehört, taumelt die tragische Heldin von einem Schicksalsschlag zum nächsten: jung ihrer Mutter beraubt, wird sie von deren grusligem Geist mit einer Warnung heimgesucht (man sollte meinen, Mütter gingen etwas zärtlicher mit ihren trauernden Kindern um, selbst als Geister); nach dem - milder Spoiler - gewaltsamen Tod des geliebten Vaters steht sie völlig ohne Verwandte da und ist damit - einen Umzug nach England später - dem zwielichtigen Geschwisterpaar ausgeliefert. Auch das riesige alte Haus, in dem sie mit dem mittlerweile Angetrauten und dessen immer boshafter werdenden Schwester wohnt, ist nicht gespensterfrei. Die Geister selbst sind für echte Horrorfans vermutlich eine herbe Enttäuschung: CGI-Skelette mit verzerrten Mündern und krallenartigen Händen, in dunkle Rauchschwaden gehüllt. Wenn sogar ich als Angsthasenkönigin mich nicht fürchte, kann man getrost von einem Gruselniveau von Null ausgehen.
Universal Pictures
Im Doppelspiel gruslig vs. grauslich gewinnt letzteres haushoch - das kann er gut, der Guillermo del Toro; mir ist von "Pan’s Labyrinth" die eine Szene mit der Flasche immer noch in schaudernder Erinnerung, und auch in "Crimson Peak" gibt es so einige Szenen, die der Ami durchaus als graphic bezeichnen würde, und die Rede ist hier nicht von Tom Hiddlestons blankem Po. Mia Wasikowska ist wie immer präsent und nuanciert, Hiddleston mit seinem flackernden Blick die Idealbesetzung für den byronesken Lord, Charlie Hunnam kommt sympathisch rüber als Jugendfreund der Heldin; Jessica Chastain hat einen etwas eigenartigen englischen Akzent und schaut hauptsächlich böse drein. Da wäre noch etwas mehr drin gewesen, ihre Figur der Schwester ist nämlich eigentlich der interessanteste Charakter von allen.
Orgie in Scharlachrot
Crimson Peak ist ab heute in den österreichischen Kinos zu sehen.
Schön ist "Crimson Peak" schon anzusehen, eine Orgie in Scharlachrot, Cremeweiß und Rauchschwarz; die Kostüme (Puffärmel! Puffärmel überall!) sind gorgeous, die SchauspielerInnen detto; das Set, vor allem das englische Anwesen Allerdale Hall, ist ein von Hand gebautes, bröckelndes Meisterwerk. Wenn zuerst die Herbstblätter und dann die Schneeflocken malerisch durch das kaputte Dach in die düstere Halle des alten, langsam im Moor versinkenden Schlosses rieseln, möchte man vor dem Art Department niederknien und ihm nicht eine Kerze, sondern einen fünfarmigen Kerzenleuchter darbringen.
Universal Pictures
"If you think of a film as a banquet, then this is rich, lavish and full of flavor", sagt Regisseur Guillermo del Toro im Interview. Recht hat er leider nur mit den ersten beiden, denn gerade flavor fehlt hier ganz entschieden.
Klar, del Toro wollte eine klassische Gothic Romance erzählen, und die gehorcht nun mal gewissen Gesetzmäßigkeiten; die Story übererfüllt aber alle Genrekonventionen dermaßen, dass man jede Wendung schon meilenweit vorher daherkommen sieht. Auch die Figuren sind Genre-Archetypen, die über ihre festgelegten Rollen hinaus keinerlei tiefere Charakterisierung bekommen. Das einzige Element, das mit dem Genre bricht, sind del Toros signature Splatter-Momente, die Mary Shelley nie durchgehen hätte lassen. Immerhin ist das Gemetzel hier fest in Frauenhand; ob das die vielbeschworene "weibliche Stärke" ist, darüber könnte man diskutieren.
Übrig bleiben hinreißende Bilder und das etwas unbefriedigende Gefühl, schönen Menschen zwei Stunden lang beim Punkt-für-Punkt-Abhaken der "Gothic Horror für Beginner"-Liste zugesehen zu haben.