Erstellt am: 13. 10. 2015 - 19:00 Uhr
Ungewöhnliche TTIP-Verhandlungsrunde steht bevor
Die elfte Runde zum Freihandelsabkommen TTIP startet am 19. Oktober unter außergewöhnlichen Umständen. Das erste der gewohnten Leaks im Vorfeld kam diesmal nämlich offenbar von den Befürwortern des Abkommens, denn das Leak betrifft eine neue Initiative der EU-Verhandler. Die neuen EU-Vorschläge zu "Handel und Nachhaltigkeit" kommen den Forderungen der TTIP-Kritiker nach der Verankerung von Sozial- und Umweltstandards grundsätzlich entgegen.
Veröffentlicht wurden die neuen Vorschläge am Sonntag von der "Süddeutschen Zeitung", einen Tag, nachdem eine der größten Demonstrationen der jüngeren Geschichte Deutschlands in Berlin stattgefunden hatte. Mehr als 150.000 hatten gegen das Freihandelsabkommen demonstriert und auch in anderen Hauptstädten wie etwa in Amsterdam gab es am europaweiten Aktionstag Demonstrationen. Die Zahl der von den Gegnern gesammelten Unterschriften hat mittlerweile die Marke von drei Millionen überschritten.
Die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des Investorenschutzes wurden bereits Mitte September veröffentlicht. Eine Reaktion der USA dazu steht noch aus.
TPP als Parallelaktion
Dieser neue Forderungskatalog der EU-Verhandler wird für die USA allerdings ebenso schwer zu verdauen sein, wie die europäischen Pläne für einen Investitionsgerichtshof, der mit echten Richtern besetzt ist. Die Verhandlungen der USA zum pazifischen Gegenstück TPP wurden derweil mit einem Kraftakt abgeschlossen. Neben Neuseeland mussten vor allem Mexiko und Kanada klein beigeben, nach ihrer Rückkehr mussten sich die Regierungschefs deshalb viel Kritik gefallen lassen. In Kanada fiel der Abschluss von TPP mitten in die letzte Woche des laufenden Wahlkampfs, in den USA ist der Wahlkampf um die Nachfolge Barack Obamas ebenfalls bereits voll im Gange.

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Freihandel, Betriebsräte und Streikrecht
Die neuen Vorschläge aus Europa vor allem zum Arbeitsrecht tragen unverkennbar die Handschrift der Sozialdemokraten, namentlich der deutschen. Die Kernpunkte dabei sind die explizite Verankerung von Arbeits- und Umweltschutz in einem eigenen Kapitel zu "Handel und nachhaltiger Entwicklung". In erster Linie soll damit verhіndert werden, dass einer der beiden TTIP-Vertragspartner Umweltstandards senkt oder Arbeitsschutzmaßnahmen zugunsten von Ѕtandortvorteilen für die eigenen Industrien lockert.
Der diesem Artikel der "SZ" zugrundeliegende Vorschlag der Kommission wurde jedoch nicht geleakt
Auch das Recht auf Streik und die Wahl von Betriebsräten sollte im TTIP-Abkommen festgeschrieben werden, so lautet wenigstens der Wunsch aus Brüssel, wenn man dem Artikel in der "Süddeutschen" Glauben schenkt. Es ist dabei davon auszugehen, dass die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament, ohne deren Zustimmung TTIP so gut wie keine Chance auf eine Mehrheit hat, ihre Zustimmung zum Abkommen mit der Erfüllung dieser Forderungen mehr oder weniger junktimiert hat.

APA/dpa/Nigel Treblin
Begleitend ließ der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ganzseitige Anzeigen in deutschen Tageszeitungen schalten. Gabriel betonte dabei die Notwendigkeit für Europa, die TTIP-Verhandlungen abzuschließen, denn ansonsten würden die Industriestandards der Zukunft von den USA mit China im Alleingang ausgehandelt. Gabriel sprach sich zum Thema "Investorenschutz" erneut für die Abschaffung des Regimes privater Schiedsgerichte und die Etablierung eines internationalen Gerichtshofs aus. Diese Reaktion ist an sich nicht verwunderlich, denn sowohl den deutschen wie auch den französischen Sozialdemokraten, deren Führung die TTIP-Verhandlungen unterstützt, drohen sonst die Gewerkschaftsflügel abhanden zu kommen. Am Samstag hatten die deutschen Industriegewerkschaften maßgeblich zur Rekordteilnehmerzahl beigetragen.
Was von den USA verlangt wird
Kanada ist mit 35 Verfahren von Investoren derzeit das meistverklagte Land der Welt, fast alle wurden unter dem NAFTA-Freihandelsabkommen mit den USA und Mexiko eingereicht.
Aus den USA ist bis jetzt keinerlei öffentliche Reaktion von Politikern auf diese Vorschläge aus Europa erfolgt. Allerdings haben die USA noch jede Institutionalisierung internationaler Gerichtshöfe in der Vergangenheit kategorisch abgelehnt. Die neuen Vorschläge zum Sozial- und Umweltrecht aber laufen darauf hinaus, dass die USA eine ganze Reihe älterer internationaler Abkommen zum Arbeits- und Umweltrecht, die sie nie ratifiziert hatten, wenigstens in Teilen nachträglich unterzeichnen. Dass die USA ihre langjährige Position hier verändern, ist angesichts ihrer Verhandlungsführung beim Abschluss des TPP-Abkommens kaum vorstellbar.

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"Lex Disney"
Der TPP-Vertrag zeigt überhaupt keine Anzeichen einer solchen Kompromissbereitschaft, im TPP-Kapitel über den "Schutz von geistigen Eigentumsrechten", das am Freitag von Wikileaks veröffentlicht wurde, haben die USA ihre bekannten Positionen gegen den Widerstand der kleineren Staaten vollständig durchgesetzt. Diese als "Lex Disney" bezeichnete Ausdehnung von Copyrights auf 70 Jahre wurde zusammen mit Japan durchgeboxt. In diesem nach den USA größten TPP-Staat - Japan ist Nummer vier im Welthandel - steht das Hauptquartier des Sony-Konzerns.
Kanada, Neuseeland und kleinere Staaten wie etwa Peru oder Vietnam müssen nun ihre Gesetze ändern, denn die Copyright-Regelung der USA - 70 Jahre nach Tod des Autors - die schon vor Jahren nach Europa exportiert wurde, gilt nun auch für diese Staaten. Ebenso muss Kanada, wo das Urheberrecht im Lichte der digitalen Medien erst vor wenigen Jahren behutsam modernisiert wurde, einen Gutteil dieser neuen Regelungen wieder auf den vom US-Regime des "Digital Millennium Copyright Acts" diktierten Stand aus dem Jahr 2000 zurückfahren.

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Defensive Grundzüge
Eine Analyse des kanadischen Rechtsprofessors Michael Geist zu den Auswirkungen des TPP-Vertrags auf Kanada.
Spätetestens hier zeigen sich an TPP dieselben Züge wie beim gemeinhin als Schwesterabkommen bezeichneten TTIP: Hier wird überhaupt nichts modernisiert, vielmehr wird der von den USA dominierte Status Quo in die Zukunft fortgeschrieben. Genau das ist mit den vielzitierten Standards, die gesetzt werden sollen, nämlich in der Realität gemeint. In TPP kommen diese US-Standards nur deutlicher zutage, weil hier nicht zwei eng miteinander verknüpfte Wirtschaftsblöcke vergleichbarer Größe über einen noch engeren Zusammenschluss verhandeln.
In TPP stehen die USA jedoch 11 anderen Volkswirtschaften gegenüber, darunter Staaten wie Vietnam, Malaysia, Peru oder Chile. Das ist der Grund, warum das TPP-Abkommen dem gescheiterten ACTA-Vertrag so ähnlich sieht. ACTA war vor allem von den US-Verhandlern aber auch der damaligen EU-Kommission als gültige Weltdoktrin für den Umgang mit "geistigen Eigentumsrechten" geplant gewesen. Deswegen war ACTA auch so breit angelegt, weil alle künftigen internationale Verträge darauf rekurrieren sollten.
Weitere Ungewöhnlichkeiten
TPP ist fertig ausgehandelt, der konsolidierte Text soll erst nach den Wahlen in Kanada für die Parlamentarier freigegeben werden. Die haben zwar das letzte Wort, können aber nur noch mit "Ja" oder "Nein" entscheiden. Dasselbe gilt für alle Unterzeichnerstaaten, also auch für die USA und dort meldete sich die favorisierte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton zu Wort.
Bei TPP sei nach ihrem Wissenstand nicht das Gewünschte herausgekommen, sagte Clinton am Mittwoch zu CNN, denn das wäre ein Abkommen gewesen, das neue Arbeitplätze in den USA schafft und die Löhne steigen lässt. Diesen Eindruck habe TPP bei ihr aber bis jetzt nicht erweckt, so Clinton, deren Wahlkampfmaschine langsam auf Touren kommt. All das hätte man natürlich auch schon früher wissen können, wenn ein Freihandelsabkommen wie TPP startet und Länder mit zum Teil absurden Unterschieden zum US-Lohnniveau wie Vietnam, Peru und Malaysia unter den Verhandlungspartnern sind.
Ebensogut hätte man in Europa schon etwas früher erahnen können, dass die Verhandler der EU-Kommission bei einem Wirtschaftsabkommen mit den USA nicht automatisch an die Verankerung sozialer Standards bis hin zum Streikrecht denken und dass der Gesetzgeber Umwelt- wie Arbeitsrechte auch später nach unten nivellieren kann.